RKI-Chef Wieler übt Kritik an Corona-Politik der vergangenen Monate
RKI-Präsident Wieler macht klar, dass die jetzt beschlossene Maßnahmen nicht ausreichen werden, um die Pandemie deutlich zu bremsen. Den Wegfall der Maskenpflicht an Schulen hält er für einen schweren Fehler.

Bereits am Vorabend der Bund-Länder-Runde hatte Lothar Wieler in ungewohnter Emotionalität vor einem "sehr schlimmen Weihnachtsfest" in Deutschland gewarnt. Bei der Pressekonferenz gemeinsam mit dem geschäftsführenden Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am Freitag bekräftigte der RKI-Chef seine Einschätzung: "Ganz Deutschland ist ein einziger Ausbruch, das ist eine nationale Notlage", sagt er - und sparte auch nicht mit Kritik an politischen Entscheidungen, die gegen den Rat des RKI getroffen worden waren.
RKI warnte im Sommer davor, die Maskenpflicht an Schulen zu beenden
Seine Behörde habe im Sommer ausdrücklich gesagt, dass "die Wegnahme der Maskenpflicht an Schulen nicht zielführend" sei, so Wieler, trotzdem sei sie reihenweise beschlossen worden. "Wenn Konzepte da sind, müssen sie auch konsequent umgesetzt werden." Wo das nicht der Fall sei, würden Schulen eben in Quarantäne gehen oder Schüler massenhaft erkranken, so Wieler weiter. "Und ich möchte nicht, dass auch nur ein einziges Kind stirbt an einer Infektion, die wir hätten vermeiden können."
Während Spahn in der Pressekonferenz den Appell an die Bevölkerung aussandte, mit freiwilligen Maßnahmen Kontakte zu reduzieren, meldeten die Nachrichtenagenturen, dass Österreich ab Montag in den kompletten Lockdown geht. "Wir sind in einer Lage, in der man nichts mehr ausschließen sollte", antwortete der Minister auf die Nachfrage nach einem solchen Szenario für Deutschland. Ab Februar soll dann im Nachbarland auch eine allgemeine Covid-19-Impfpflicht gelten - Österreich wäre damit das erste Land in der EU, das diesen Schritt geht.
Spahn ist weiter gegen eine allgemeine Impfpflicht
Spahn hatte eine Impfpflicht für Deutschland stets ausgeschlossen. Dafür war er von Experten zuletzt heftig angegriffen worden, laut einer aktuellen Forsa-Umfrage sprechen sich inzwischen auch 64 Prozent der Deutschen für eine Impfpflicht aus. Spahn blieb bei seiner Haltung. Man könne zwar alles diskutieren, "aber ich bin skeptisch, weil ich ein Gefühl habe, was das mit dem Land machen würde". Im Bundesrat votierten die Länder unterdessen doch einstimmig für das umstrittene, von SPD, Grünen und FDP vorgelegte Infektionsschutzgesetz, das bereits am Vortag den Bundestag passiert hatte.
Damit wird 3G (Zutritt für Geimpfte, Genesene und Getestete) am Arbeitsplatz, in Bussen und Zügen voraussichtlich ab Mittwoch in Kraft treten. Weitere Beschränkungen gibt es vor allem für Ungeimpfte. Sie sollen keinen Zutritt zu Freizeitveranstaltungen, Gastronomie und Hotels mehr haben, wenn in einem Bundesland eine bestimmte Anzahl an Corona-Patienten ins Krankenhaus eingewiesen wird (2G). Die meisten Länder reißen diesen Schwellenwert schon jetzt. Ausgangsbeschränkungen und flächendeckende Schulschließungen sollen dagegen nicht mehr möglich sein. Auch bundesweite Beschränkungen von Reisen, Übernachtungsmöglichkeiten und Schließungen von Restaurants sind mit dem neuen Gesetz tabu.
Lothar Wieler: Es braucht "massive Kontaktreduktionen"
Lothar Wieler hält die beschlossenen Maßnahmen angesichts der dramatischen Situation in vielen Kliniken für zu wenig. Allein mehr Impfen und Zutrittsregeln nur für Geimpfte und Genesene reichten nicht aus, sagte er und forderte schnell ein schärferes Vorgehen. Es brauche "massive Kontaktreduktion, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen". Die Bürger sollten wenn möglich zu Hause bleiben, Großveranstaltungen sollten abgesagt und die Personenzahl bei kleineren Veranstaltungen reduziert werden. "Hotspots, wie schlecht belüftete Bars und Clubs", sollten geschlossen werden. Der RKI-Chef verglich die Lage mit einem Tanker, der auf eine Hafenmauer zufährt. "Wenn wir sofort mit aller Kraft gegensteuern, dann wird er noch eine Weile weiterfahren und die Hafenmauer vielleicht noch seitlich rammen. Er wird sie aber hoffentlich nicht mehr frontal einreißen. Wir alle müssen jetzt gegensteuern."
Die Ministerpräsidenten der unionsgeführten Länder erneuerten im Bundesrat ihre Kritik am Infektionsschutzgesetz. Es schränke die Möglichkeiten der Länder zu stark ein. Man stimme aber zu, um zu verhindern, dass Deutschland ohne Rechtsgrundlage für Corona-Auflagen dastehe, sagten Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff und Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (beide CDU). Möglich machte das ein Kompromiss: Das Gesetz soll in drei Wochen evaluiert und gegebenenfalls nachgebessert werden.



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