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Der Bund stärkt die Schauplätze der deutschen Demokratiegeschichte

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Die Erinnerungsstätte Rastatt, das Hambacher Schloss, der Friedhof der Märzgefallenen in Berlin, die Frankfurter Paulskirche, das Weimarer Nationaltheater oder die Nikolaikirche in Leipzig zeigen eindrücklich, wie wechselvoll die deutsche Freiheitsgeschichte ist. Bald soll eine neue Stiftung ein Band zwischen diesen historischen Orten knüpfen, mit vernetzenden Projekten und Veranstaltungen.

von Hans-Jürgen Deglow
Das Bundesarchiv im Residenzschloss von Rastatt zeigt auf inzwischen über 1200 Quadratmetern eine Dauerausstellung über „Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte“. Foto: dpa
Das Bundesarchiv im Residenzschloss von Rastatt zeigt auf inzwischen über 1200 Quadratmetern eine Dauerausstellung über „Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte“. Foto: dpa  Foto: dpa

Die Märzrevolution nahm ihren Anfang in Baden – und sie endete auch hier. Am 23. Juli 1849 wurde die Bundesfestung Rastatt als letzte Bastion der Revolutionäre durch preußische Truppen erobert. Eine besondere Beziehung zu dieser, auch als „Badische Revolution“ bekannt gewordenen Demokratiebewegung, hatte der spätere Bundespräsident Gustav Walter Heinemann. Unter den Todesopfern des Aufstandes war einer seiner Ahnen: Urgroßonkel Karl Walter kämpfte als Freiwilliger in der badischen Revolutionsarmee.

Als Teil der bürgerlich-liberalen Märzrevolution in den Staaten des Deutschen Bundes hatten die Revolutionäre im Südwesten eine Republik unter der Souveränität des Volkes angestrebt –  eine Kampfansage der Freiheitskämpfer an die Herrschaft des Adels.


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Heinemann (1899 – 1976) war bewusst, welch zartes Gebilde die Demokratie ist. 1970 – die NS-Diktatur lag gerade erst 25 Jahre zurück – mahnte er in einer Rede, „in der Geschichte unseres Volkes nach jenen Kräften zu spüren und ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, die dafür gelebt und gekämpft haben, damit das deutsche Volk politisch mündig und moralisch verantwortlich sein Leben und seine Ordnung selbst gestalten kann“. 

Heinemann sah für Deutschland die Verpflichtung, seine freiheitlich-demokratischen Traditionen zu pflegen. Daraus resultierte die Suche nach einer symbolträchtigen Stätte der Erinnerung. Die Wahl fiel auf das Rastatter Residenzschloss, wo 1849 erst der Revolutionsrat getagt und später das preußische Standgericht Urteile gesprochen hatte, und dass sich nun schon seit 1974 – heute als Außenstelle des Bundesarchivs – als Forum für historisch-politische Bildung präsentiert sowie als renommierter außerschulischer Lernort.

Orte in ihrem historischen Kontext würdigen

Rastatt ist nicht der einzige berühmte Ort in der deutschen Demokratiegeschichte. Andere bekannte Schauplätze sind die Frankfurter Paulskirche, das Hambacher Schloss, oder der Friedhof der Märzgefallenen in Berlin-Friedrichshain. Was bislang fehlte, war ein belastbares, verbindendes Band zwischen diesen einzelnen Stätten, auch eine Art öffentliches Bekenntnis zur Absicht, die Demokratie zu stützen, indem man die Orte in ihrem historischen Kontext würdigt.

Das ändert sich mit einer Initiative, die im Bundestag starken Rückhalt findet: die Errichtung einer bundeseigenen „Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte“. Ihren Sitz soll sie in Frankfurt am Main haben. Eingebunden ist die Stiftung in das „Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung der Orte deutscher Demokratiegeschichte“ von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU).

Demokratiegeschichte ist auch Freiheitsgeschichte

Im „Rahmenkonzept zur Weiterentwicklung der Orte deutscher Demokratiegeschichte“ heißt es, Deutschland brauche Orte, „an denen Erinnerung Gestalt annimmt und die zur Beschäftigung mit Vergangenheit und Gegenwart anregen“. Vernetzende Projekte und Veranstaltungen könnten Impulse geben. „Unsere Demokratiegeschichte ist auch unsere Freiheitsgeschichte“, heißt es weiter in der Konzeption, mit der ein Auftrag aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD umgesetzt wird.

Im Parlament sagte Staatsministerin Grütters bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs: „Demokratie ist kein Geschenk, sondern eine Errungenschaft. Demokratie zehrt davon, gelebt und gestaltet zu werden, notfalls muss sie erkämpft und erstritten werden.“ Die Bundesstiftung soll die historischen Stätten auch „deutlich sichtbarer“ werden lassen, und zum anderen Projekte von Einrichtungen und Initiativen gezielt fördern. Ziel sei es zudem, dass die Stiftung künftig das Engagement des Bundes koordinieren und bündeln soll, dass sie eine kompetente Beratungsstelle auch für neu aufzubauende Erinnerungsorte ist. Grütters: „Die Rückschau auf demokratische Sternstunden ist auch eine Schule der Demokratie.“ Die Stiftung sei deshalb auch ein herausragender Beitrag zur Extremismusbekämpfung.

CDU-Politiker Volker Kauder erklärte als Berichterstatter der Unionsfraktion: „Von Rastatt über das Hambacher Schloss, Weimar, Bonn bis hin zur Paulskirche in Frankfurt – in Deutschland gibt es eine Vielzahl von Orten, an denen deutsche Demokratiegeschichte geschrieben wurde. Leider sind zu viele davon kaum im öffentlichen Bewusstsein verankert oder, falls doch, oft nur regional besser bekannt.“ Dies werde sich mit der Stiftung ändern. Kauder: „Engagement braucht historische Vorbilder, die zeigen, dass einzelne Menschen etwas bewirken können.“ Die Geschichte belege nämlich leider auch, dass Demokratien scheitern könnten.

Grüne: Ostdeutsche Demokratiegeschichte mehr in den Blick nehmen

Reinhard Grundl (Grüne) mahnte in Richtung Regierung, noch mehr die Revolution des Jahres 1989 in den Blick zu nehmen: „Sie adressieren anscheinend die klassischen Bildungsbürger als Zielgruppe, genauer gesagt: die guten alten BRD-Bildungsbürger; denn die ostdeutsche Demokratiegeschichte bleibt völlig unterbelichtet.“ Dabei gebe es natürlich keine deutsche Demokratiegeschichte ohne die Friedliche Revolution von 1989/90 und ohne die ostdeutschen Orte der Demokratie, Orte wie die Nikolaikirche in Leipzig, so der Grüne. Der Fokus im Konzept liege auf Orten der Repression wie die verschiedenen Stasizentralen, und viel zu wenig auf die Orte der Opposition. Simone Barrientos (Linkspartei) warb dafür, den Sitz der Stiftung nicht nach Frankfurt am Main, sondern nach Frankfurt an der Oder anzusiedeln: „Das täte der ostdeutschen Seele ganz gut.“

Allerdings ist der ostdeutschen Revolution sehr wohl ein eigenes Kapitel im Rahmenkonzept gewidmet – nur nicht mit einer Festlegung auf einen einzigen Ort: So wird auf den Spatenstich für das Freiheits- und Einheitsdenkmal im Mai 2020 verwiesen, das auf der Berliner Schlossfreiheit an die „glücklichsten Momente der jüngeren deutschen Demokratiegeschichte erinnern wird: die Überwindung der SED-Diktatur durch die Friedliche Revolution in der DDR im Herbst 1989/90 und die Wiedergewinnung der Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990“. Weiter heißt es. „Es bleibt das Ziel der Bundesregierung, u. a. auch in Leipzig, dem Schauplatz der für die Friedliche Revolution entscheidenden Montagsdemonstration, mit einem Denkmal an die historischen Ereignisse zu erinnern, das unter Aspekten der Demokratiegeschichte entsprechend zu kontextualisieren wäre.“

Erinnerung an viele „Runde Tische“ in der Spätphase der DDR

Leipzig verfüge mit der Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes oder dem Zeitgeschichtlichen Forum über besondere Erinnerungsstätten. Hingewiesen wird auch auf den seit dem 27. Dezember 1989 im Schloss Schönhausen tagenden  „Zentralen Runden Tisch” der DDR – und viele weitere lokale „Runde Tische“ in der ganzen DDR.  Unentschlossenheit der Konzeptautoren? Oder ist die schwammige Verortung der 89er Revolution nicht vielmehr der Tatsache geschuldet, dass sie eben eine – auch räumlich - breite Bewegung innerhalb der ostdeutschen Bevölkerung war?

Die SPD-Fraktion im Bundestag betont: Die Demokratie brauche miteinander verknüpfte Orientierungspunkte und damit auch diese Stiftung, um der Erinnerung an die wechselvolle Geschichte der Demokratie Sichtbarkeit zu verleihen. In einer aktuellen Mitteilung der Fraktion heißt es zudem: „Wir dürfen in unserem Land in Frieden und Freiheit leben, auf einen funktionierenden Rechtsstaat vertrauen, einen erheblichen Wohlstand genießen und sind Teil eines vereinten Europas. Das verdanken wir unserer Demokratie.“

Rheinland-Pfalz, Neustadt an der Weinstraße: Blick auf das Hambacher Schloss auf dem Schlossberg.
Rheinland-Pfalz, Neustadt an der Weinstraße: Blick auf das Hambacher Schloss auf dem Schlossberg.  Foto: dpa

Gedenkorte vor den Feinden der Demokratie schützen

Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler sagte unserer Redaktion: „Die Demokratie in Deutschland braucht ihre Gedenkorte, die neben die anderer Zeiten und Traditionen treten können – und müssen. Auch darum, damit sie nicht den Feinden der Demokratie bzw. den Skeptikern bürgerschaftlicher Partizipation in die Hände fallen.“ Münkler gehört einer Expertenkommission an, die von Bundespräident Frank Walter Steinmeier angeregt wurde und als Initiative von Monika Grütters aufgegriffen wurde. Ziel: die Frankfurter Paulskirche zu einem zentralen Erinnerungsort der deutschen Demokratiegeschichte zu machen.

In einem Beitrag für die „Zeit“ hatte Steinmeier im vergangenen Jahr gemahnt, Stätten wie das Hambacher Schloss und die Paulskirche sollten „nicht nur Ereignisorte sein, sondern wir sollten gemeinsam dafür sorgen, dass sie Lernorte der Demokratie werden“. Deutschland sollte den Ehrgeiz haben, bis zum Jubiläumsjahr von demokratischer Revolution und Nationalversammlung 2023 die Paulskirche in eine moderne Erinnerungsstätte für die Demokratie zu verwandeln. In der Paulskirche hatte 1848/49 die Frankfurter Nationalversammlung die Paulskirchenverfassung formuliert, die erste gesamtdeutsche und demokratische Verfassung Deutschlands. Sie wurde zwar nie wirksam, legte aber die Grundlage für spätere Verfassungen.

Theodor-Heuss-Museum in Brackenheim könnte Teil des Rahmenkonzeptes werden

Es sind nicht nur so bekannte Orte wie die Frankfurter Paulskirche oder die Nikolaikirche in Leipzig, an denen deutsche Demokratiegeschichte geschrieben wurde. Auch an vielen anderen Orten jenseits der Regierungssitze oder großen Städte fand Großes statt: im Hambacher Schloss, im Deutschen Nationaltheater Weimar oder in der  Pädagogischen Akademie – dem späteren Bundeshaus – in Bonn. Die neue Stiftung soll diese Orte vernetzen. Der Gesetzentwurf war am 10. März 2021, das Rahmenkonzept für die neue Linie der Erinnerungskultur am 13. April 2021 vom Bundeskabinett beschlossen worden. Danach ist der Entwurf in die erste parlamentarische Beratung gegangen.

Regelmäßige Veranstaltungen sind in Weimar und Bonn vorgesehen. Einen besonderen Stellenwert sollen das Deutsche Historische Museum und das Haus der Geschichte bekommen. Der Frankfurter OB Peter Feldmann (SPD) hat vorgeschlagen, die Stiftung im noch zu bauenden Haus der Demokratie nahe der Paulskirche anzusiedeln. Wenn alles planmäßig verläuft, könnte die Stiftung 2023/24 ihre Arbeit voll aufnehmen.


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In die praktische Umsetzung des Rahmenkonzeptes soll auch die bundesweit aktive Arbeitsgemeinschaft „Orte der Demokratiegeschichte“ eingebunden werden. Die AG will ebenfalls die Wahrnehmung der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte lokal, regional und deutschlandweit fördern, und hat gleich 100 Orte in ganz Deutschland ausgemacht, die bedeutsam sind – darunter auch das Theodor-Heuss-Museum in Brackenheim, der Geburtsstadt des ersten Bundespräsidenten. Hier wird das Leben des liberaldemokratischen Parlamentariers, Literaten und Journalisten vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik nachgezeichnet.


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