Heilbronns Polizeipräsident beklagt schwindende Akzeptanz von Corona-Kontrollen
Vorwürfe und Endlos-Diskussionen: Die Rolle der Polizei sei noch nie so infrage gestellt worden wie heute, sagt Heilbronns Polizeipräsident Hans Becker im Interview mit Stimme.de.

Heilbronns Polizeipräsident Hans Becker sorgt sich um die Akzeptanz polizeilicher Maßnahmen im Zusammenhang mit den Corona-Verordnungen. Im Interview mit der Heilbronner Stimme erklärt der 63-Jährige, warum er sich auf Grundsatz-Diskussionen über die Maßnahmen nicht einlässt - auch, wenn er sich manches selbst anders wünschte.
Es gibt viele Menschen, die nehmen die Polizei gerade als die strengen Corona-Kontrolleure wahr. Wie geht es Ihnen damit?
Hans Becker: "Wir sind seit einem Jahr auf eine Art und Weise gefordert, wie wir das noch nie erlebt haben. Wie es für die Allgemeinheit etwas Erstmaliges war, ist es das auch für uns. Mit dem Infektionsschutzgesetz hatten wir vorher nicht so viele Berührungspunkte. Das war ein Gesetz, das es gab. Aber es war für die Polizei ohne Relevanz. Und auf einmal ist es einer unserer Aufgabenschwerpunkte."
Haben Sie Ihre Rolle gefunden?
Becker: "Wir haben sie erstmal suchen müssen und auch finden. Ja, wir haben sie gefunden. Weil die Inzidenzwerte in Heilbronn und Hohenlohe so hoch sind, haben wir in der Region eine ganz besondere Aufgabe."
Würden Sie die Einschätzung teilen, dass dieses Thema zunehmend die Gesellschaft spaltet?
Becker: "Wir stellen fest, dass die Akzeptanz der Regeln und Vorschriften insgesamt abnimmt. Die meisten Menschen sehen aber nach wie vor das Vorhandensein der Pandemie und akzeptieren die Einschränkungen und Regeln. Das ist auch gut so."
Wie äußert sich diese abnehmende Akzeptanz, von der Sie sprechen?
Becker: "Das merken wir bei unseren Überwachungsaktionen. Wir führen da ewige Diskussionen. Und wir bekommen da mittlerweile Vorwürfe zu hören, die für uns in den Jahren vor Corona so nicht dagewesen sind. Vorwürfe wie: Es gibt gar keine Pandemie, alles ist politisch gesteuert. Ihr macht euch zum Handlanger. Die Rolle der Polizei ist noch nie so sehr infrage gestellt worden wie heute."
Sie meinen jetzt in Bezug auf Querdenker-Demos?
Becker: "Nein, ganz allgemein in Bezug auf Alltagskontrollen. Bei den Querdenker-Demos ist es noch extremer ausgeprägt. Deswegen setzen wir ja bei jeder dieser Demos unser Anti-Konflikt-Team ein. Die machen nichts Anderes wie Kommunikation und Kommunikation."
Die Anti-Konflikt-Leute wären doch auch hilfreich im regulären Streifendienst, oder?
Becker: "Wenn es so weitergeht, brauchen wir die auch noch im Streifendienst. Gerade in den letzten Tagen stellen wir fest, dass die Verstöße gegen die Corona-Verordnung zunehmen. Das liegt nicht nur daran, dass wir unsere Überwachungsmaßnahmen erhöht haben, sondern vor allem daran, dass die Einschränkungen nicht mehr so hingenommen werden wie zuvor."
Die Leute sind halt müde.
Becker: "Ja. Und sie nutzen nicht mehr nur Innenräume für gemeinsame Feiern, sondern weichen auch nach draußen aus an entlegene Orte, auf Grillplätze im Wald zum Beispiel. Ich kann nur sagen: Wir gehen da konsequent vor. Wir haben die Präsenz daher auch noch einmal erhöht. Gerade in den relevanten Zeiten, in denen Freizeitgestaltung stattfindet."
Können Sie die Sehnsucht der Menschen nach mehr Miteinander nicht verstehen?
Becker: "Natürlich. Uns fehlt auch der gemeinsame Sport, ganz besonders sogar. Das soziale Miteinander. Der Ausflug als Team. Wir wünschen uns einfach, dass die Menschen sich an die Regeln halten und dass sie erkennen, dass die Polizei ihre Arbeit so macht, wie sie sie machen muss. Das eine ist unser Job - zu dem stehen wir auch, zu 100 Prozent - aber es ist halt auch für unsere eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter belastend."
Wie meinen Sie das?
Becker: "All die Dinge, die allgemein für Bevölkerung belastend sind, sind auch belastend für den Menschen in Uniform. Es macht etwas mit uns. Es legt sich ein Stück weit auch auf die Stimmung in unserem Präsidium nieder. Seit einem Jahr bereits haben wir ständig diese vielen Corona-Einsätze, viele Überwachungen, viele Diskussionen, die schwindende Akzeptanz in der Bevölkerung. Es sind Endlos-Diskussionen, und auch Vorwürfe gegen uns Polizisten. Auf die Dauer ist das anstrengend."
Wie hoch sind denn die aktuellen Zahlen an Verstößen?
Becker: "Letztes Wochenende haben wir 260 Verstöße festgestellt. Wir gehen mittlerweile, nach einem Jahr der Pandemie, davon aus, dass die Regeln und Einschränkungen bekannt sein müssten. Und es gilt immer noch - wir haben da Schwellen festgelegt: Verstöße bei uneinsichtigen oder bei bewussten Verschleierungen werden konsequent zur Anzeige gebracht. 99 von den 260 Verstößen. Da hat sich die Quote deutlich erhöht."
Bedeutet das für diese 99 Betroffenen tatsächliche Folgen oder stimmt es, was Querdenker auf ihren Demos sagen: Bußgeldverfahren verlaufen sowieso im Sand?
Becker: "Wir legen die Anzeigen der Bußgeldbehörde vor und diese entscheidet über die Sanktionierung und die Höhe des Bußgelds. Wir haben nicht den Eindruck, dass das nicht konsequent verfolgt wird, im Gegenteil."
Erwarten Sie als Polizeipräsident von Ihren Polizisten, dass sie in ihrer Freizeit Verstöße gegen die Corona-Verordnung melden?
Becker: "Das würde ich nicht in jedem Fall erwarten. Sie müssen jetzt nicht bei jedem, der seine Maske nicht trägt, etwas tun. Es kommt darauf an, wie gravierend Verstöße sind. Die große Corona-Party in der Nachbarschaft, da erwarte ich, dass die Kollegen sich melden."
Werden auch Sie als Polizeipräsident so verbal hart angegriffen wie der Streifendienst auf der Straße: Ihr macht euch zu Handlangern?
Becker: "Das bleibt nicht aus. Ab und zu führe ich so Diskussionen. Aber meine Kollegen müssen das tagtäglich aushalten. Für uns ist wichtig: Wir haben einen klaren roten Faden. Wir stehen auf dem Boden des Grundgesetzes, wir machen unseren Job, den wir auch tun müssen. Wir wissen, dass wir durch ein großes Vertrauen der Bevölkerung getragen werden. Gerade die letzte Allensbach-Umfrage im März hat gezeigt, mehr als 80 Prozent der Menschen vertrauen der Polizei. So etwas ist ein wichtiges Ergebnis für uns, das brauchen wir."
Gibt es intern bei der Polizei die gesamte Bandbreite an Meinungen und Kritiker an den Corona-Maßnahmen?
Becker: "Natürlich kann ich nicht in die Köpfe reinschauen, was die Kollegen teilweise denken. Das ist in Ordnung. Wir leben in einer Demokratie, wir als Polizisten sind Teil der Gesellschaft. Polizisten dürfen natürlich Kritiker der Maßnahmen sein. Es gibt bloß Grenzen. Sie müssen sich regelkonform verhalten. In der jetzigen Zeit ist es - gerade wegen der gesellschaftlichen Akzeptanz der Maßnahmen - umso wichtiger denn je. Das wissen die Kollegen. Wir sind auch nur Menschen in Uniform. Wir haben Feierabend. Die Leute in den Orten wissen, wo ihre Polizisten wohnen. Sie werden auch in ihrer Freizeit sehr sorgfältig beobachtet. Da ist das Thema Vorbildfunktion ganz, ganz wichtig. Eigentlich ist ein Polizist momentan 24 Stunden am Tag im Dienst."
Jeder stellt sich diese eine Frage. Wie lang noch?
Becker: "Das weiß halt auch niemand. Ich denke, wenn sich viele an die Regeln halten, ist es möglich, bald die Kurve zu bekommen. Dann kommen wir wieder in ein normales Miteinander. Deshalb diese Bitte an alle: Haltet Euch an die Regeln."
Ist das nicht gerade so ein Diskussionspunkt? Dass es unterschiedliche Wahrnehmungen darüber gibt und auch Erkenntnisse, ob und welche Einschränkungen etwas bringen? Beispiel Ausgangssperre, die nach Ansicht von Kritikern in Frankreich sogar kontraproduktiv gewesen sein soll.
Becker: "Gerade letzte Woche habe ich gehört, dass die nächtlichen Ausgangssperren tatsächlich etwas bringen. Und zwar deutlich etwas bringen. Wenn ich zurückdenke an unsere, die wir schon hatten, finde ich: Die hatte auch etwas gebracht. Natürlich gibt es immer Berichte oder Beispiele für irgendetwas anderes."
Oder die Aerosolforscher, die sagen: Lasst die Leute im Freien mehr laufen, auch ohne Masken, das ist nicht schlimm für ein Infektionsgeschehen.
Becker: "Es ist schwierig für uns. Nochmal. Wir müssen davon ausgehen, die politischen Entscheidungen werden getragen mit wissenschaftlicher Expertise. Wir sind nicht die Wissenschaftler. Wir sind diejenigen, die die Einhaltung eines Gesetzes überwachen müssen. Selbst wenn ich als Polizeipräsident letztendlich die ein oder andere Maßnahme für fragwürdig halten könnte?"
Tun Sie das?
Becker: "Ich bin ja auch ein Mensch. Ich würde mir auch das ein oder andere, Nuance gerade das Thema im Freien, anders wünschen. Aber nochmal: Das steht uns als Polizei nicht zu. Wir müssen einfach davon ausgehen, dass die Wirksamkeit der Regeln wissenschaftlich belegt ist. Wir müssen dafür sorgen, dass diese Regeln eingehalten werden. Punkt. Aus. Amen. Wenn wir es nicht machen, wer soll es dann machen?"
Haben Sie da Ihre Arbeitsweise insofern angepasst, dass die Streifenbeamten auch in Anti-Konflikt denken?
Becker: "Wir haben Regeln aufgestellt, wie wir mit Coronaverstößen umgehen. Da ist das Gespräch vorrangig. Manchmal bedanken sich die Menschen auch für Hinweise. Wenn mal die Maske schief sitzt. Aber bei der Corona-Party im Wald, da wird ja eine Grenze bewusst überschritten - nicht zufällig, nicht nachlässig, sondern vor allem absichtlich - da brauchen die Kollegen nicht reden. Sie schreiten dann ein."
Und das endet notfalls mit einer Nacht in der Zelle?
Becker: "Nur, wenn es ganz, ganz arg schlimm kommt. Da muss einer aber renitent sein. Das ist eher die Ausnahme."
Wie begegnen Sie dem Vorwurf der Willkür: Die eine Party wird aufgelöst, die andere bleibt unentdeckt?
Becker: "Wir gehen allem nach. Unabhängig von der Bevölkerungsschicht. Ob jung oder alt. Wer gegen die Regeln verstößt, wird von uns kontrolliert. Alle gleichermaßen. Willkür gibt es nicht bei uns."
Und wenn jemand anruft, von dem Sie schon wissen, der neigt zum Querulantentum - fahren Sie los zur Kontrolle?
Becker: "Ja. Sonst setzen wir uns gleich dem nächsten Vorwurf aus: Wir haben angerufen und die Polizei ist nicht gekommen. Das können wir uns nicht leisten, wir müssen konsequent bleiben. Wobei, unser Appell ist immer: Redet doch zunächst einmal selbst mit den Leuten. Wenn sie nicht einlenken, kann noch immer die Polizei gerufen werden. In einem normalen sozialen Miteinander muss es doch möglich sein, dass der Nachbar zum Nachbarn geht. Bei einer Ruhestörung ist das ja oft so. Da setze ich ein Stück weit auf die Sozialkontrolle. Nicht alles muss bei uns vorgetragen werden."
Sie haben es selbst angesprochen. Ein Teil der Gesellschaft versteht die Maßnahmen nicht nur nicht mehr, sondern reagiert auch zunehmend wütender. Können Sie diese Menschen noch irgendwie erreichen?
Becker: "Wir werden sie auf jeden Fall nicht überzeugen können. Unsere Aufgabe ist es, ihnen die Konsequenzen vor Augen zu führen und dass es sie halt Geld kostet, wenn sie bewusst gegen die Regeln verstoßen wollen. Ich diskutiere nicht mit ihnen über die Sinnhaftigkeit. Es versuchen ganz viele, uns in Grundsatz-Diskussionen zu drängen. Aber: Die Entscheidungen sind getroffen."
Vor dem Interviewtermin in den Räumen des Heilbronner Polizeipräsidiums hat Polizeipräsident Hans Becker einen Schnelltest gemacht - er fiel negativ aus. Zudem ist Becker bereits erstgeimpft, mit Astrazeneca. Er habe keine Nebenwirkungen gehabt, sagt er. Zwei Drittel aller Polizisten des Präsidiums seien bereits geimpft, für Becker ist das "eine ganz wichtige Botschaft".
Im Jahr 2021 hat die Heilbronner Polizei eigenen Angaben zufolge bereit mehr als 4900 Verstöße gegen die Corona-Verordnung festgestellt und mehr als 1180 Anzeigen vorgelegt.


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