Interview: Kann ein Minister Lauterbach privat twittern?
Auf Twitter ist Karl Lauterbach laut eigener Angabe "privat" unterwegs. Während er dort weiter vor dem Coronavirus warnt, hebt er als Gesundheitsminister fast alle Maßnahmen auf. Wie das zusammenpasst, weiß Politikberater Dr. Bendix Hügelmann.

Karl Lauterbach schreibt in seinem Twitter-Profil: Bundesgesundheitsminister, der hier selbst und privat twittert. Kann ein Minister als Privatmann twittern?
Bendix Hügelmann: Theoretisch hat der Politiker damit die Möglichkeit, ein Stück Distanz zwischen sich und dem eigenen politischen Handeln aufzubauen. Der Hinweis, privat zu twittern, ist eine Rückversicherung. Das hat natürlich Grenzen und endet dann, wenn jemand Minister wird. Es ist nicht so, dass ein Minister das Amt an- und abstreifen könnte, wie es ihm gefällt. Dabei geht es keinesfalls darum, dem Privatmann Karl Lauterbach die Meinungsfreiheit abzusprechen. Aber die Trennung von Amt und Person funktioniert in seiner Position einfach nicht.
Auf Twitter fordert Lauterbach, weiterhin Maske zu tragen und vorsichtig zu sein, als Gesundheitsminister hebt er fast alle Beschränkungen auf. Ist das nicht irritierend?
Hügelmann: Ich würde gar nicht so scharf mit ihm ins Gericht gehen. Er ordnet dort seine politischen Entscheidungen ein und positioniert sich. Natürlich wirkt es widersprüchlich, wenn ich als - in Anführungszeichen - Privatmann mein Handeln als Politiker konterkariere. Wenn ein Politiker es nicht schafft, sein politisches Handeln zu erklären, zeugt das von schlechtem politischen Handwerk. Daran dürfte Karl Lauterbach eigentlich kein Interesse haben.
Hat das auch Vorteile?
Hügelmann: Karl Lauterbach wird nicht für immer Gesundheitsminister sein. Er wird aber immer Karl Lauterbach bleiben. Insofern macht es Sinn, sich als Politiker eine private Kommunikations-Infrastruktur aufzubauen, wo der Spielraum für Äußerungen größer ist. Das sieht man auch ganz deutlich bei Instagram und Olaf Scholz: Er hat dort zwei Profile. Natürlich kann sich der Privatmann Scholz ganz anders äußern als der Bundeskanzler.
Diese Woche erklärte Lauterbach seine eigene Entscheidung, die Quarantäne-Pflicht für Corona-Infizierte abzuschaffen, als Fehler. Die Union warf ihm vor, dass er das in der Talkshow von Markus Lanz getan hat. Ein berechtigter Vorwurf?
Hügelmann: Man kann darüber streiten, ob eine Talkshow der richtige Ort ist für dieses Unterfangen. Grundsätzlich spricht nichts gegen einen offenen Umgang mit politischen Fehlern. Im Gegenteil. Natürlich wäre es am besten, wenn gar keine Fehler passieren. Das wäre aber ein unrealistisches Politikverständnis.
Nun könnte man sagen: Was bei Twitter passiert, passiert in einer Blase. Muss einen kümmern, was dort gesagt wird?
Hügelmann: Twitter ist ein extrem verdichteter Diskursraum, in dem politische Meinung in Echtzeit entsteht. Politiker und Interessengruppen tragen dort ihre eigenen Anliegen vor. Insofern ist Twitter im durchaus ein bedeutsamer Resonanzraum.
Wie bewerten Sie die Kommunikation des Gesundheitsministers Karl Lauterbach bei Twitter, ganz generell?
Hügelmann: Ich glaube, dass noch zu viel des Fachpolitikers in seiner Twitter-Persona steckt. Letztlich ist Karl Lauterbach durchaus jemand, der um seine Wirkung bei Twitter weiß. Manche sagen, dass er auch und vor allem wegen seiner medialen Dauerpräsenz und Twitterei das Ministeramt bekommen hat. Das halte ich allerdings für zu einfach gedacht.
Der Slogan "Wir wollen Karl" stammte jedoch durchaus auch von Twitter und wurde sogar von der SPD aufgegriffen, bevor sie ihn nominierte.
Hügelmann: Genauso könnte man aber auch sagen: Die beste Person für den Job ist die mit dem größten Fachwissen. Karl Lauterbach war also rein durch sein Fachwissen einerseits sicherlich eine nachvollziehbare politische Wahl. Was in den Diskussionen jedoch häufig untergeht: Die Aufgabe eines Minister ist es nicht, einzelne Studien zu lesen. Ein Minister trägt die politische Verantwortung für sein gesamtes Ministerium. Er legt die politischen Leitlinien fest. Da geht es oft weniger um Fachkompetenz, als um politische Führungsstärke.
Zur Person
Dr. Bendix Hügelmann ist Politikberater und forscht zu Personalisierung, Kommunikation und Wahlverhalten. Er hat an der Universität Hamburg zum Einfluss digitaler Kommunikation auf das Wahlverhalten promoviert. Seit 2017 betreibt er den Blog "Political Influencers", wo er sich damit beschäftigt, wie Politiker soziale Medien nutzen.




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