Hintergrund: Noch bis Sonntag geht die Münchner Sicherheitskonferenz. An den drei Tagen diskutieren über 800 Teilnehmer aus mehr als 110 Ländern über die drängendsten Themen der Weltpolitik: die Zukunft der internationalen Ordnung, Kriege, regionale Konflikte und die Folgen des Klimawandels.
Münchner Sicherheitskonferenz: J.D. Vance äußert Zweifel an Redefreiheit in Europa
München zwischen Sorge und Sicherheit: An Tag eins der Sicherheitskonferenz sorgt der Auftritt des US-Vizepräsidenten J.D. Vance für betretene Gesichter.
München, so sollte man meinen, ist in diesen Tagen der sicherste Platz in Europa, wenn nicht auf der Welt. Es ist Sicherheitskonferenz und 5000 Polizisten aus Deutschland und Österreich sichern das wichtigste Treffen internationaler Staatenlenker und Top-Diplomaten zu Themen der internationalen Sicherheit ab. Permanent kreisen Hubschrauber über der Innenstadt. Straßen werden immer wieder gesperrt, wenn Konvois gepanzerter Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit vorbeirauschen.
Sicherheitskonferenz in München: Banges Warten auf J.D. Vance
Dennoch steuerte am Vortag ein Mann ein Auto in eine Menschenmenge und verletzte Dutzende Menschen schwer, die bayerische Landesregierung spricht inzwischen von einem islamistisch motivierten Terroranschlag. So ist die Anspannung bei dieser Konferenz noch mehr gestiegen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte bei der Eröffnung, der Anschlag zeige, wie „verletzlich“ unsere Gesellschaft sei. „Das ist schon ein besonderes, beklemmendes Gefühl diesmal“, sagt auch Nelli Hennig, die Vize-Vorsitzende des Presseclubs München.

Das Büro der früheren Stimme-Redakteurin ist am Marienplatz, von hier aus sind es nur drei Minuten zum Bayerischen Hof. Dem politischen Geschehen bei der Konferenz folge sie eigentlich nicht, sagt sie. Doch der Anschlag und die Ankündigung von Vizepräsident J.D. Vance, der als prominentester US-Gast bei der Konferenz spricht, macht auch ihr Sorge. „Wird es einen Frieden in der Ukraine geben oder sich die Lage eher noch verschlimmern“, fragt sie. „Da schaut man schon anders hin.“
Von der Leyen drängt auf höhere Verteidigungsausgaben
EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen, die als erste Hauptrednerin spricht, bemühte sich in ihrer Rede, die Sorgen etwas zu relativieren. Vieles, was aus den USA komme, sei nicht neu. „Wir haben uns in Sachen Sicherheit zu lange auf andere verlassen“, sagte sie. Es sei nun endlich an der Zeit, dass Europa deutlich mehr für seine Verteidigung ausgebe. „Wir müssen offen darüber sprechen und entsprechend handeln.“ Von der Leyen schlägt eine Aktivierung einer Sonderklausel zu den europäischen Schuldenregeln vor. „Dies wird es den Mitgliedsstaaten ermöglichen, ihre Verteidigungsausgaben erheblich zu erhöhen.“
J.D. Vance: Warme Worte und knallharte Ansagen
Der mit Nervosität erwartete J.D. Vance findet zunächst warme Worte für die „großartige Gastfreundschaft“ der Münchner und drückte sein Mitgefühl für den Anschlag vom Donnerstag aus. Er sei bereits 2024 als Senator in München gewesen und nun in neuer Funktion gern wiedergekommen. „Ich bin glücklich, hier in dieser wunderschönen Stadt zu sein.“ Es ist das letzte Mal, dass er Applaus vom versammelten Publikum bekommt.
Was dann folgte, sorgt für betretene Gesichter im Publikum. Männer in Uniformen, darunter der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) blickten peinlich berührt zu Boden, als der US-Vizepräsident zu einem Rundumschlag gegen Europa ausholte.
Die Meinungsfreiheit und die Demokratie auf dem gesamten Kontinent seien in Gefahr, so seine Auffassung. Meinungsäußerungen würden als Desinformation verfolgt. Dafür nennt Vance eine ganze Reihe von Beispielen, etwa Versuche der EU-Kommission, gegen Hasskommentare in den sozialen Netzwerken vorzugehen.
„Freie Meinungsäußerung, so fürchte ich, ist auf dem Rückzug“, sagte er. Aber: „Jetzt gibt es einen neuen Sheriff in der Stadt.“ Die Trump-Regierung werde sich dafür einsetzen, dass die Menschen ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben könnten.
Vance kritisiert, dass AfD nicht zur Sicherheitskonferenz eingeladen ist
Die Tatsache, dass Vertreter der AfD nicht zur Konferenz eingeladen sind, kritisiert er scharf, auch wenn er die Partei nicht namentlich nennt. „Wir müssen nicht mit allem und jedem einverstanden sein, was die Leute sagen. Aber wenn Menschen eine wichtige Wählerschaft repräsentieren, wenn politische Führer eine wichtige Wählerschaft repräsentieren, ist es unsere Pflicht, zumindest am Dialog mit ihnen teilzunehmen“, sagt er.
Die Organisatoren dieser Konferenz hätten Abgeordneten, die populistische Parteien sowohl auf der linken als auch auf der rechten Seite vertreten, die Teilnahme an diesen Gesprächen verboten. Seinen umstrittenen Appell an die deutschen Parteien, nach der anstehenden Bundestagswahl eine Koalition mit der AfD einzugehen, wiederholt er jedoch auf der Bühne nicht. In einem Interview mit dem „Wall Street Journal“ hatte Vance dies zuvor noch angekündigt.
Vance nennt „Massen-Zuwanderung“ die größte Herausforderung
Auch die Migrationspolitik kritisiert er scharf und sagt, es gebe kein drängenderes Thema als „die Massen-Zuwanderung“. Jeder Fünfte in Deutschland habe einen Migrationshintergrund. „Das ist nicht aus einem Vakuum heraus entstanden.“ Es sei das Ergebnis von bewussten Entscheidungen von Politikern in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt. So kämen Anschläge wie der des Vortags nicht überraschend. Kaum etwas dagegen zum Ukraine-Krieg, das Thema, bei dem sich wohl die meisten im Saal neue Details erhofft hatten.
Auch im Medienzentrum in der Münchner Residenz, wo hunderte Journalisten das Geschehen über die Großbild-Leinwand verfolgen, herrschte nach diesem Auftritt viel Redebedarf.

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