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Medizinkongress in Aachen
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Vorbereiten auf Kriegsfall: Ukrainische Ärzte machen deutschen Kollegen Mut

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Kliniken in europäischen Ländern sind nicht für einen möglichen Nato-Bündnisfall gerüstet. Was jetzt zu tun ist, wird im Austausch mit Medizinern aus der Ukraine deutlich. 


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Zwölf Personen stark ist die ukrainische Delegation beim Europäischen Kongress für Trauma- und Notfallchirurgie (ECTES), der gerade drei Tage lang in Aachen tagte. Ein Schwerpunktthema: Die Vorbereitung auf einen möglichen Nato-Bündnisfall mit Deutschland als Drehscheibe und Aufmarschgebiet der Alliierten mit insgesamt 750.000 Soldaten. Das Szenario geht auch von großen Fluchtbewegungen und 1000 Kriegsverletzten täglich aus, die im Land versorgt werden müssten.

Professor Mykola Ankin, einer der angesehensten Chirurgen des Landes von der Medizinischen Fakultät der Shupyk Universität in Kiew, ist mit einem Team angereist, um von den Erfahrungen nach drei Jahren Krieg zu berichten. Gleichzeitig will die Delegation selbst von den Kollegen aus westlichen Ländern lernen, denn die Strukturen, auf denen die Versorgung Schwer- und Schwerstverletzter in der Ukraine aufbauen, stammen noch aus Sowjetzeiten. „Die Ausbildung eurer Ärzte ist deutlich besser“, sagt Ankin mehrfach.

Ukrainische Krankenhäuser sind immer wieder Ziel russischer Angriffe, hier ein Blick in das Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew, das im Juli 2024 von einer russische Raketen getroffen wurde. Mehrere Menschen starben.
Ukrainische Krankenhäuser sind immer wieder Ziel russischer Angriffe, hier ein Blick in das Okhmatdyt-Kinderkrankenhaus in Kiew, das im Juli 2024 von einer russische Raketen getroffen wurde. Mehrere Menschen starben.  Foto: Evgeniy Maloletka

Krieg in der Ukraine: Die Ärzte bleiben positiv

Seit drei Jahren führt Russland einen mörderischen Angriffskrieg auf das Heimatland der Ärzte. Täglich haben es die Mediziner mit schlimmsten Spreng- und Amputationsverletzungen zu tun, häufig bei jungen Menschen, die ihr Leben lang beeinträchtigt bleiben werden.

Trotzdem ist die Stimmung in der Gruppe gelöst, die elf Männer und die einzige mitgereiste Frau der Gruppe lachen und scherzen am Rand der Vorträge mit den Kollegen aus aller Welt. Können wir ein Spaßfoto machen, fragt Dr. Volodymyr Kovalchuk zwischen Vorträgen. Er ist einer der jüngeren Ärzte aus Gruppe, fungiert zusätzlich als Englisch-Dolmetscher und Influencer. Kovalchuk wird drei Tage lang Fotos aus Aachen posten, auf denen viele fröhliche Gesichter zu sehen sind.

Professor Mykola Ankin von der Medizinischen Fakultät der Shupyk Universität in Kiew ist mit einer Delegation nach Aachen gereist, um von den Erfahrungen nach drei Jahren Krieg zu berichten.
Professor Mykola Ankin von der Medizinischen Fakultät der Shupyk Universität in Kiew ist mit einer Delegation nach Aachen gereist, um von den Erfahrungen nach drei Jahren Krieg zu berichten.  Foto: Blass, Valerie

Versorgung von Kriegsverletzten: Deutsche sind schlecht vorbereitet

Das ist vielleicht eine der wertvollsten Botschaften der ukrainische Delegation an ihre Kollegen aus Deutschland, den skandinavischen Ländern, aus Großbritannien und den USA: Es ist Krieg, aber wir lassen uns unseren Optimismus nicht nehmen. „Ihr schafft das“, sagt ein ukrainischer Arzt um die 30 aus einem der Front-Krankenhäuser nach einem der Vorträge zur Versorgung von Kriegsverletzten zu seinen Kollegen. Diese hatten zuvor konstatiert, dass sie mit dieser Art von Verletzungen - abgesprengten Gliedmaßen, klaffenden Löchern am Körper - keinerlei Erfahrungen haben.

„Es geht erst einmal um Schadensbegrenzung, danach übernehmen andere“, erklärt der Frontarzt. Sprich: Die Blutungen müssen gestoppt und der Verletzte stabilisiert werden. Rekonstruktion und Rehabilitation übernehmen die Kollegen in anderen Kliniken und Einrichtungen später.

Das „Mindset“ der Ukrainer beeindruckt auch Dr. Gerhard Achatz. Er ist Oberstarzt am Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. Achatz erzählt von einem heiteren Gesellschaftsabend mit Kovalchuk und den anderen: „Morgen fliegen sie dann ins Kriegsgebiet zurück, das muss man sich mal vorstellen.“ Die Einstellung der Kollegen aus der Ukraine sei schon beeindruckend. 

Vorbereiten auf Kriegsfall: Deutsche Gesellschaft soll wehrfähig werden

Die Russen planen eine Expansion ihres Angriffskrieges, da sind sich die Ukrainer sicher. Viele westliche Experten teilen diese Einschätzung inzwischen. „Ihr müsst euch auf einen Krieg vorbereiten“, mahnt Mykola Ankin.

Politisch ist nach den Bundestagswahlen und dem Amtsantritt der Trump-Regierung in den USA einiges in Bewegung gekommen in Deutschland, um die Gesellschaft wehrfähig und die Bundeswehr verteidigungsbereit zu machen. Die neue schwarz-rote Koalition plant eine deutliche Ausweitung der Verteidigungsausgaben und eine Reform der Wehrpflicht nach schwedischem Modell. Doch für die Kliniken, so viel wird bei dem Kongress in Aachen klar, gibt es keinen strukturierten Plan zur Vorbereitung auf das Szenario eines Nato-Bündnisfalls.

Schwedische Ärztin mahnt: Selbst aktiv werden

„Wir müssen das selbst in die Hand nehmen, die Politiker tun das nicht für uns“, meldet sich eine schwedische Ärztin zu Wort und bekommt dafür breite Zustimmung. Auch die Skandinavier, die lange Grenzen mit Russland teilen, stehen bisher weitgehend blank da, was die Ausbildung von Ärzten im Umgang mit Kriegsverletzungen sowie vorausschauende logistische Planung angeht.

„In unseren Fachgesellschaften bekommt das Thema immer mehr Bedeutung“, sagt Gerhard Achatz. Nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt 2016 habe man in Deutschland begonnen, Ärzte für die Behandlung von Terror- und Kriegsopfern zu schulen. Doch das geht langsam, denn die Ausbildung ist teuer und zeitraubend und häufig sind in Kliniken zu wenige Kapazitäten vorhanden, um Ärzte dafür abzustellen. So lautet der breite Konsens unter den Teilnehmern: „Wir sind nicht auf den Notfall vorbereitet.“

Oberstarzt PD Dr. Gerhard Achatz vom Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. "Militärchirurgen haben besondere Erfahrung mit innovativen Techniken in der Notfallchirurgie", sagt er. So gibt es bei diesem Kongress eine Kooperation mit der Bundeswehr und europäischen Militärpartnern.
Oberstarzt PD Dr. Gerhard Achatz vom Bundeswehrkrankenhaus in Ulm. "Militärchirurgen haben besondere Erfahrung mit innovativen Techniken in der Notfallchirurgie", sagt er. So gibt es bei diesem Kongress eine Kooperation mit der Bundeswehr und europäischen Militärpartnern.  Foto: Blass, Valerie

Zivile Kliniken sind im militärischen Notfall gefragt

Die Ukrainer seien das auch nicht gewesen, sagt Ankin später im Gespräch. „Wir sind ein ziviles Krankenhaus.“ Doch inzwischen seien über 65 Prozent der Patienten an seiner Kiewer Klinik Kriegsverletzte. Ein anderer Arzt zeigt Fotos einer ehemaligen Kinderklinik in der ukrainischen Hauptstadt, die jetzt auch erwachsene Patienten versorgt. Die Botschaft: Im Kriegsfall muss jedes Krankenhaus improvisieren und jeder Arzt alles machen.

Ankins Rat: „Bereitet euch eben vor so gut es geht.“ Notfalltraining für das Personal sei notwendig, aber ebenso wichtig sei es, sich vorher Gedanken über die Evakuierungskette und die Logistik zu machen: Wer übernimmt die Erstversorgung von Patienten an der Front, wie werden diese weiter ins Landesinnere transportiert? Wer übernimmt dann und was ist dazu unbedingt nötig?

Doch einüben können wird man das erst, wenn es tatsächlich zum schlimmsten Fall kommt. „Sie können sich nicht zu 100 Prozent vorbereiten“, sagt Achatz. Aber zivile Kliniken müssten sich schon klar machen, dass sie im Ernstfall in der Verantwortung stehen. „Und dann sind beim ärztlichen Tun Improvisation und rasche Adaption an die Lage gefragt.“

Von den Heilbronner SLK-Kliniken und den Ludwigsburger RKH-Kliniken haben nach Auskunft von Sprechern keine Ärzte am ECTES teilgenommen. Das sei in der Urlaubszeit nicht darstellbar, hieß es von SLK.

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