Neues Wahlrecht: Heilbronn droht bei Bundestagswahl eine Geduldsprobe
Die Ampel-Koalition hat das Wahlrecht geändert, nun können sogar Kandidaten leer ausgehen, die ihren Wahlkreis gewinnen. Das hat enorme Auswirkungen – insbesondere für den Wahlkreis Heilbronn.
Der Kandidat, der mit den meisten Erststimmen seinen Wahlkreis gewinnt, zieht in den Bundestag ein: Diese Regel gilt nicht mehr. Jetzt können sogar Wahlkreissieger das Nachsehen haben. In der Region hat das vor allem für den Wahlkreis Heilbronn große Auswirkungen. So droht dem Favoriten Alexander Throm von der CDU eine Zitterpartie bis in den frühen Morgen nach der Wahl.
Der Wahlkampf ist in vollem Gange, niemand äußert sich gerne zu Rechenspielen in der Wahlnacht. Keiner will den Anschein erwecken, als habe er den Sieg im Wahlkreis schon fest verbucht. Was er vom neuen Wahlrecht hält, sagt Fabian Gramling trotzdem. „Das ist kaum nachvollziehbar und am Ende demokratieschädlich“, meint der CDU-Bundestagsabgeordnete, der den Wahlkreis Neckar-Zaber 2021 recht deutlich mit 30,4 Prozent der Erststimmen gewann. Sollte er dieses Ergebnis wiederholen, dürfte er bei allen Unwägbarkeiten auch diesmal auf der sicheren Seite sein.
Wahlrechtsreform zur Bundestagswahl: Der Sieger nach Erststimmen ist nicht zwingend der Gewinner
Ähnlich ist die Situation für Christian von Stetten. Er hat 2021 für die CDU im Wahlkreis Schwäbisch Hall-Hohenlohe 32,08 Prozent der Erststimmen geholt, die SPD 19,62 Prozent. Christian von Stetten kritisiert: Für die Bürger sei die Reform „nicht nachvollziehbar“. Für ihn bedeutet es: Sollte er wieder die meisten Stimmen im Wahlkreis erhalten, benötigt er zusätzlich auch noch mehr Stimmen als andere CDU-Kandidaten in Baden-Württemberg. „Sonst vertritt zum Beispiel der Zweitplatzierte den Wahlkreis im Bundestag.“ Sollte das passieren, kehre er in seinen erlernten Beruf zurück. „Die Unterstützung bei der Erststimme muss besonders hoch ausfallen.“
Enger wird es in umkämpften Wahlkreisen, in denen der Sieger mit einem vergleichsweise geringen Anteil der Erststimmen über die Ziellinie geht. Meist ist das in Großstädten der Fall – wie in Heilbronn, wo 2021 CDU-Kandidat Alexander Throm 27,8 Prozent holte. Hätte damals schon das neue Wahlrecht gegolten – Throm, heute innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, wäre draußen gewesen. Kein Direktmandat trotz Sieg.

Hintergrund der Wahlrechtsreform für Bundestagswahlen: Parlament soll kleiner werden
Hintergrund ist das neue Wahlrecht, das eine Aufblähung des Bundestags vermeiden soll. Direktmandate müssen von Zweitstimmen „gedeckt“ sein. Das trifft jene Parteien, die in der Regel mehr Direktmandate holen als ihnen nach dem Zweitstimmenergebnis zustünden, also die Union und in geringerem Maße die SPD. Ins Verhältnis brachten das bisher Ausgleichs- und Überhangsmandate. Das ist diesmal anders.
Änderungen Jede Partei muss mindestens so viele Sitze im Bundestag erlangen, dass alle ihre Wahlkreis-Gewinner unterkommen. Sind es weniger, bekommen Wahlkreissieger mit dem schwächsten Ergebnis kein Mandat. Gewählt wird wie bisher mit Erst- und Zweitstimme. Die Erststimmen sind für einen Kandidaten im Wahlkreis, die Zweitstimmen für eine Partei. Zuerst wird bestimmt, wie viele Sitze im Bundestag den Parteien zustehen. Maßgeblich dafür ist das bundesweite Zweitstimmenergebnis.
Wahlrechtsreform: Direktmandate müssen von Zweitstimmen gedeckt sein
Danach werden die Sitze, die jede Partei verbuchen kann, auf die Bundesländer verteilt. Das Bundesland, in dem die Partei die meisten Stimmen geholt hat, bekommt die meisten Bundestagssitze und so weiter. Hier kommt das neue Wahlrecht zum Tragen: Die Zahl der Sitze pro Bundesland ist nun eine feste Obergrenze. Eine Partei kann nur noch so viele Abgeordnete nach Berlin schicken, wie ihr Sitze zustehen. Oder wie es Cornelia Nesch, Wahlleiterin in Baden-Württemberg, zusammenfasst: „Die auf diese Weise ermittelte Zahl der Sitze, die einer Partei in einem Bundesland zustehen, bildet nach dem neuen Wahlrecht zugleich die Höchstzahl der möglichen Wahlkreisabgeordneten dieser Partei in dem jeweiligen Bundesland.“
Am Beispiel der CDU wird deutlich, was das heißt: Bei der Wahl 2021 haben die Christdemokraten 152 Sitze gewonnen, 33 davon gingen nach Baden-Württemberg. Hätte das neue Wahlrecht bereits gegolten, hätten den Christdemokraten jedoch nur 130 Sitze zugestanden, davon 22 für die Kandidaten aus Baden-Württemberg. Das zeigen Berechnungen der Bundeswahlleiterin. Elf CDU-Politiker wären in diesem Fall leer ausgegangen, weil die Partei zwar in 33 Wahlkreisen gesiegt, aber nur 22 Sitze zugesprochen bekommen hätte. Von der Landesliste wäre kein einziger Kandidat eingezogen. Getroffen hätte das neben Throm die CDU-Sieger aus zehn Wahlkreisen (siehe Grafik). Die CDU-Abgeordneten Fabian Gramling (Neckar-Zaber) und Christian von Stetten (Hall-Hohenlohe) wären mit über 30 Prozent drin gewesen. Andere Parteien hätte es nicht getroffen.
Wahlrechtsreform: Vor allem umkämpfte Wahlkreise in Großstädten im Fokus
Doch wie wird ermittelt, wer kein Mandat bekommt? Alle Wahlkreissieger werden in der Reihenfolge ihres relativen Stimmergebnisses aufgereiht. Erreicht jemand 30 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis, steht derjenige weiter oben als jemand, der seinen Wahlkreis mit 25 Prozent gewonnen hat. Sind nach Zweitstimmen keine Sitze mehr übrig, gehen die Kandidaten mit dem niedrigsten Erststimmanteil leer aus.
Wer also in einer Hochburg antritt, in der eine Partei traditionell einen satten Vorsprung einfährt, hat bei der Wahl bessere Chancen als Bewerber, die in einem umkämpften Wahlkreis nur knapp vorne liegen. Parteifreunde, die mit unterschiedlichen Ergebnissen ihre Wahlkreise gewonnen haben, stehen in Konkurrenz zueinander. Die Ausnahme sind unabhängige Bewerber, die keiner Partei angehören. Sie haben garantiert einen Sitz im Bundestag, wenn sie im Wahlkreis die meisten Stimmen erhalten.
Wahlkreis Heilbronn: Aussichtsreicher Listenplatz für AfD-Kandidat
Ausgangslage Im Wahlkreis Heilbronn könnte also der Fall eintreten, dass der Sieger zum Verlierer wird. Nach derzeitigem Stand der Umfragen sähe es für Alexander Throm, sollte er nach Erststimmen gewinnen, nicht schlecht aus, rechnet die CDU doch bundesweit mit mehr Zweitstimmen als 2021, brächte also nach den neuen Regeln auch mehr Wahlkreissieger über die Ziellinie als in der Modellrechnung.
Für SPD-Kandidat Jens Schäfer, der das Erbe des langjährigen Bundestagsabgeordneten Josip Juratovic antreten will, wird es schwer. Der Eppinger hat auf der Landesliste Platz 22, nach Stand der Dinge keine sichere Bank. Ebenfalls kein Mandat dürfte Jonathan Ebert (Grüne) gewinnen, er steht auf dem aussichtslosen Listenplatz 34. Michael Link von der FDP hat zwar den komfortablen Listenplatz drei, seine Partei droht aber an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.
Nur Jürgen Koegel von der AfD, auf Platz sieben seiner Partei im Land, kann das Ticket nach Berlin fast sicher buchen. Nicht ausgeschlossen, dass er durch das neue Wahlrecht der einzige Vertreter aus dem Wahlkreis Heilbronn im Bundestag bliebe. Wissen wird man es möglicherweise erst am 24. Februar, dem Tag nach der Wahl. Das Ergebnis zu ermitteln, wird komplizierter. Welche Politiker ein Mandat bekommen, stehe nun erst fest, wenn die Wahl in ganz Deutschland ausgezählt ist.

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