Wie sich das neue Wahlrecht auf Baden-Württemberg auswirkt
Bei der Neuwahl des Bundestags am 23. Februar gilt ein neues Wahlrecht. Cornelia Nesch, Wahlleiterin in Baden-Württemberg, berichtet, wie sich das in der Wahlnacht auswirkt.
Weil die Ampel-Koalition das Wahlrecht geändert hat, läuft diese Bundestagswahl etwas anders ab. Das reformierte Wahlrecht soll das Parlament deutlich verkleinern. Statt der aktuell 733 Abgeordneten umfasst der Bundestag künftig nur noch 630 Mitglieder. Diese Obergrenze wurde im Gesetz festgeschrieben.
Die Reform war nötig geworden, da der Bundestag durch Überhang- und Ausgleichsmandate immer weiter gewachsen ist. Solche zusätzlichen Mandate sind entstanden, wenn eine Partei mehr Direktmandate gewonnen hat, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustanden.
Bundestagswahl 2025: Ampel hat Überhang- und Ausgleichsmandate abgeschafft
Besonders die Union hat zu dieser Entwicklung beigetragen, da sie meist zwar viele Wahlkreise direkt gewinnt, aber bundesweit verhältnismäßig weniger Zweitstimmen erhält. Das zeigte die Wahl 2021, als CDU und CSU 20 Überhangmandate bekommen haben, was für 103 Ausgleichsmandate für andere Parteien gesorgt hat.

Deshalb haben SPD, Grüne und FDP die Überhangmandate bei der Wahlrechtsreform abgeschafft. Bedeutet: Jede Partei muss mindestens so viele Sitze im Bundestag erlangen, dass all ihre Wahlkreis-Gewinner unterkommen. Sind es weniger, bekommen Wahlkreissieger mit dem schwächsten Ergebnis kein Mandat mehr.
Landeswahlleiterin Cornelia Nesch erklärt Änderungen beim Wahlrecht
Was das für die Wahlnacht in Baden-Württemberg bedeutet, erklärt Cornelia Nesch gegenüber unserer Redaktion. Sie ist die Wahlleiterin in Baden-Württemberg und beim Innenministerium verantwortlich dafür, die Wahl zu organisieren.
Gewählt wird wie bisher mit Erst- und Zweitstimme. Die Erststimmen sind für einen Kandidaten im Wahlkreis, die Zweitstimmen für eine Partei. Zuerst wird nach dem Schließen der Wahllokale bestimmt, wie viele Sitze im Bundestag den Parteien zustehen. Maßgeblich dafür ist das bundesweite Zweitstimmenergebnis.
Danach werden die Sitze, die jeder Partei zustehen, auf die Bundesländer verteilt. Das Bundesland, in dem die Partei die meisten Stimmen geholt hat, bekommt die meisten Bundestagssitze, und so weiter.
Künftig gilt für jedes Bundesland eine feste Obergrenze für Bundestagssitze
Hier kommt das neue Wahlrecht zum Tragen: Die Zahl der Sitze pro Bundesland ist nun eine feste Obergrenze. Eine Partei kann nur noch so viele Abgeordnete nach Berlin schicken, wie ihr Sitze zustehen.
Oder wie es Nesch zusammenfasst: „Die auf diese Weise ermittelte Zahl der Sitze, die einer Partei in einem Bundesland zustehen, bildet nach dem neuen Wahlrecht zugleich die Höchstzahl der möglichen Wahlkreisabgeordneten dieser Partei in dem jeweiligen Bundesland.“
Am Beispiel der CDU wird deutlich, was das heißt: Bei der Wahl 2021 haben die Christdemokraten 152 Sitze gewonnen, 33 davon gingen nach Baden-Württemberg. Hätte das neue Wahlrecht bereits gegolten, hätten den Christdemokraten jedoch nur 130 Sitze zugestanden, davon 22 für die Kandidaten aus Baden-Württemberg. Das zeigen Berechnungen der Bundeswahlleiterin.
Bundestagswahlen: Welche CDU-Politiker 2021 leer ausgegangen wären
Elf CDU-Politiker wären in diesem Fall leer ausgegangen, weil die Partei zwar in 33 Wahlkreisen gesiegt, aber nur 22 Sitze zugesprochen bekommen hätte. Von der Landesliste wäre kein einziger Kandidat eingezogen.
Getroffen hätte das den Heilbronner Alexander Throm, er lag mit 27,8 Prozent der Stimmen auf Platz eins im Wahlkreis Heilbronn. Außerdem leer ausgegangen wären die CDU-Sieger in den Wahlkreisen Böblingen, Bruchsal-Schwetzingen, Ludwigsburg, Waiblingen, Rhein-Neckar-Pforzheim, Emmendingen-Lahr, Tübingen, Stuttgart II und Lörrach-Müllheim.
Die regionalen CDU-Abgeordneten Fabian Gramling (Neckar-Zaber) und Christian von Stetten (Schwäbisch Hall-Hohenlohe) waren mit Stimmanteilen jenseits der 30 Prozent außer Gefahr. Andere Parteien wären im Land nicht betroffen gewesen.
Doch wie wird das überhaupt ermittelt? Alle Wahlkreissieger werden in der Reihenfolge ihres relativen Stimmergebnisses aufgereiht. Erreicht jemand 30 Prozent der Erststimmen im Wahlkreis, steht derjenige weiter oben als jemand, der den Wahlkreis mit 25 Prozent gewonnen hat.
Sind nach Zweitstimmen keine Sitze mehr übrig, gehen die Kandidaten mit dem niedrigsten Erststimmanteil leer aus. „Dieses sogenannte Verfahren der Zweitstimmendeckung ist eine der wesentlichsten Änderungen des neuen Wahlrechts“, erklärt Nesch.
Politikwissenschaftler aus Schwaigern: Union und Stadt-Wahlkreise betroffen
Wer also in einer Hochburg antritt, in der seit Jahren die gleiche Partei siegt, hat bei der Wahl bessere Chancen als Bewerber, die in einem umkämpften Wahlkreis nur knapp vorne liegen. „Es trifft eher städtisch geprägte, zersplitterte Wahlkreise und die Union“, hatte es der Politikwissenschaftler Uwe Wagschal aus Schwaigern gegenüber unserer Redaktion zusammengefasst.
Die einzige Ausnahme sind unabhängige Bewerber, die keiner Partei angehören, erklärt die Landeswahlleiterin, sie bekommen garantiert einen Sitz im Bundestag, wenn sie im Wahlkreis die meisten Stimmen erhalten.
Landeswahlleiterin: Auch Direktmandate nun von bundesweitem Ergebnis abhängig
All das bedeutet, dass das Ergebnis der Bundestagswahl komplizierter zu ermitteln ist. Welche Politiker ein Bundestagsmandat bekommen, stehe nun erst fest, wenn die Wahl in ganz Deutschland ausgezählt ist, betont Nesch. Auch die Vergabe der Direktmandate sei nun „vom Gesamtergebnis in Deutschland abhängig“. In der Vergangenheit war das dagegen meist am späten Wahlabend absehbar.
„Wann dieses Gesamtergebnis feststeht, lässt sich nicht verlässlich prognostizieren“, erklärt Nesch. „Die Erfahrung vergangener Wahlen zeigt, dass dies meist nicht vor den frühen Morgenstunden des Montags der Fall ist.“


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