Der Chirurg und Unfallchirurg Professor Dietmar Pennig (69) ist Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie.
Fünf Tote durch Feuerwerk: „Diese Silvesternacht ist ein neuer Tiefpunkt“
Fünf Menschen sterben in Deutschland durch Feuerwerk in der Silvesternacht, weitere Vorfälle alarmieren. Ein Unfallarzt äußert sich nun scharf: Die Gesellschaft dürfe die Gewaltexzesse nicht länger hinnehmen.
Nachdem fünf Menschen durch Silvesterfeuerwerk getötet wurden, sagt Dietmar Pennig, Generalsekretär der deutschen Unfallchirurgen: „Der Staat darf sich das nicht länger bieten lassen.“
In Deutschland starben in der Silvesternacht mindestens fünf Menschen durch Böller. Leichtsinn und Gewalt im Umgang mit Feuerwerk scheinen jedes Jahr schlimmer zu werden. Wie beurteilen Sie die Lage?
Dietmar Pennig: Fünf Tote, das ist eine Katastrophe! Und wir subsumieren das noch unter Feiern.
Darf die Gesellschaft das noch hinnehmen?
Pennig: Es ist nicht hinnehmbar, wenn Polizisten mehrfach mit Feuerwerkskörpern beschossen werden. Dann die Kugelbomben, die zum Einsatz kamen. Wenn Kugelbomben gezündet werden, fliegen wie bei Nagelbomben Metallteile durch die Luft. Das ist ein Attentat. Betroffen macht mich auch, wenn Kinder einen Finger oder ihr Augenlicht verlieren, das kann niemand mehr richten. Oder denken Sie an den 14-Jährigen in Rotterdam. Er hat offenbar versucht, einen Cobra-Böller erneut zu zünden, der nicht explodiert war. Das war dann das Ende seines Lebens, mit 14!

In Berlin haben Kugelbomben große Schäden angerichtet. Sie sagen, der Einsatz solcher Sprengkörper komme einem Attentat gleich.
Pennig: Ja, haben Sie die Bilder von den zerstörten Wohnungen nach den Detonationen in Schöneberg gesehen? Kugelbomben sind hochgradig illegale Sprengkörper und gleichzusetzen mit Nagelbomben, die die NSU-Terroristen bei ihrem Attentat in Köln eingesetzt haben. Sie hinterlassen immense Zerstörung.
Trotzdem gibt es kaum politische Forderungen nach Böllerverboten. Wie positioniert sich Ihre Fachgesellschaft?
Pennig: Für mich ist diese Silvesternacht ein neuer Tiefpunkt, eine neuerliche Grenzüberschreitung, die wir nicht hinnehmen dürfen. Der Staat hat eine Fürsorgepflicht und die muss er wahrnehmen, vor allem gegenüber den Schwächsten der Gesellschaft, den Kindern. Und ich habe eine sehr kurze Zündschnur, wenn Rettungskräfte angegriffen werden, um im Bild zu bleiben. Da braucht es eine starke Gerichtsbarkeit. Täter müssen festgesetzt und schnell und hart abgeurteilt werden, wenn sie Polizei und Feuerwehr angreifen. Wir als Fachgesellschaft versuchen über die Medien Druck auf die politischen Entscheidungsträger aufzubauen, damit das stärker reguliert wird. Es gibt Möglichkeiten, friedlich zu feiern.
Was schlagen Sie vor?
Pennig: Ich komme aus Köln, dort haben wir im Karneval teilweise schmerzvolle Erfahrungen mit Feierlichkeit gesammelt. An Silvester sollte es in den Großstädten meiner Meinung nach organisierte Feuerwerke geben, die von Profis abgebrannt werden, wenn man gar nicht auf diesen Aspekt des Feierns verzichten möchte. Gleichzeitig braucht es weitläufige Böllerverbote für privates Feuerwerk.

Also gar keine privaten Feuerwerke mehr?
Pennig: Es funktioniert ja nicht, und damit dürfen wir uns nicht abfinden. Jedes Jahr geschehen Hunderte vermeidbare Verletzungen. Menschen verlieren ihr Augenlicht, sie sprengen sich die Gliedmaßen weg oder werden taub. Es kann doch nicht unser Narrativ sein, dass wir das einfach hinnehmen. Zusätzlich gebe ich zu bedenken: Die Notaufnahmen sind ohnehin voll. Herzinfarkte und Schlaganfälle geschehen in der Silvesternacht in derselben Frequenz wie sonst auch.