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Visionen statt Abriss: Taugt das Rotterdamer Tropicana als Vorbild fürs Aquatoll?

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Die Macher der Blue City in Rotterdam sind angetreten, um zu beweisen, dass es sinnvolle und nachhaltige Alternativen zum Abriss von Gebäuden gibt. Taugt das Konzept auch für das Neckarsulmer Aquatoll?

Der frühere Badebereich ist inzwischen beliebter Veranstaltungsort.
Der frühere Badebereich ist inzwischen beliebter Veranstaltungsort.  Foto: Blass, Valerie

Was tun mit einem Spaßbad, dessen Lebenszeit zu Ende ist? Diese Frage stellen sich derzeit die Neckarsulmer. In der niederländischen Metropole Rotterdam standen die Zeichen zunächst auf Abriss, als 2010 das dortige Spaßbad Tropicana schloss. Doch dann traten eine Architektenkooperative und ein paar junge Kreative auf den Plan. Es entstand eine Vision, die größer ist als das Gebäude und die irgendwann vom Experiment zum neuen Standard werden könnte: Umnutzung statt Abriss heißt das Konzept.

Das Spaßbad von 1988 war eine Sensation seiner Zeit

Die Geschichte des Badeparadieses Tropicana beginnt 1988, in einer Zeit, als noch kaum einer von Gebäudeeffizienz, Wärmeisolierung oder CO2-Einsparungen spricht. Der niederländische Feriendorfbetreiber Center Parcs lässt das Bad mit seiner gigantischen Glaskuppel, den Röhrenrutschen und dem Saunabereich errichten. Das mit Natursteinen verzierte und mit echten Kanarienvögeln besiedelte falsche Paradies direkt am Fluss Maas ist eine Sensation seiner Zeit. Doch die Begeisterung währt nicht lange.


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Center Parcs will das Gebäude schnell wieder loswerden, doch niemand will es so richtig haben. Es gibt Gerüchte über die sexuelle Belästigung junger Mädchen in den Grotten und Klagen über Hygienemängel. Die Becken sind undicht, Wasser sickert durch die Fugen in den Beton. Nach einer Zwischenphase, in der die Saunen weiterbetrieben werden und in einem Club im hinteren Teil des Gebäudes Partys zu Technobeats und Drogen gefeiert werden, ist 2010 Schluss.

Jede Wand, die irgendwo ausgebaut wird, findet eine neue Verwendung

Rasch habe es Pläne gegeben, das Gebäude abzureißen und stattdessen Wohntürme in 1-A-Lage mit Blick aufs Wasser zu bauen, erzählt Jeanette Verdonk vom aktuellen Betreiber Blue City, einer Plattform für Betriebe der Kreislaufwirtschaft. Die Nachbarschaft wehrt sich und so schlägt die Stunde der Visionäre der Superuse Studios, eines Designer- und Architektenkollektivs, das sich auf urbane Erneuerung und Wiederverwendung von Materialien spezialisiert hat. Für das Tropicana erstellen sie einen Strukturplan, die Stiftung eines niederländischen Unternehmers übernimmt das Gebäude und stellt den ersten Nutzern Flächen zur Verfügung.


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Heute leben die Superuse-Designer in ihrem lichten Büro im Untergeschoss des Tropicana mit Blick auf die Maas vor, wie Kreislaufwirtschaft funktioniert. Hier steht ein Tisch aus Rotorteilen einer Windkraftanlagen, die Büromöbel sind erkennbar aus Holzbrettern gezimmert. Als Sitzgelegenheit für die Pausen dient den Mitarbeitern eine ausrangierte und frisch überzogene Sitzgruppe aus einem 1970-er-Jahre-Zugabteil. Die Wände sind verkleidet mit Betonplatten, die an anderer Stelle aus dem Spaßbad gebrochen wurden. Alles, was irgendwo abgebaut wird, soll anderswo wieder eingesetzt werden, das ist der Plan.

Eine Austernpilzfarm war erster neuer Mieter im Tropicana 

Pionier der ersten Stunde ist auch Rotterzwam, ein Startup, das im Kaffeesatz von Restaurants aus der Umgebung Austernpilze züchtet und sie an die Gastronomie verkauft. In den dunklen, kühlen und feuchten Räume im Untergeschoss des Tropicana finden die Züchter dafür ideale Bedingungen.

Wagemut und Kreativität zeichnet die Macher der Blue City wie Pflasterstein-Herstellerin Wies van Lieshout aus.
Wagemut und Kreativität zeichnet die Macher der Blue City wie Pflasterstein-Herstellerin Wies van Lieshout aus.  Foto: Blass, Valerie

Kreativ sein, weiterverwenden, umnutzen. Das Konzept funktioniert nicht nur im Bezug auf das Gebäude. Die Industriedesignerin Marjanne Cuypers stellt in ihrer Firma Blue Blocks im Untergeschoss Platten für Wandverkleidungen aus Seetang her. Nebenan presst Wies van Lieshout Pflastersteine aus dem Schlamm, der regelmäßig aus den Kanälen und Flüssen der Region gebaggert wird.

Dafür, dass sie ihn abnimmt, bekommt sie Geld, denn die Lagerung des Schlamms stellt die Niederlande ob der schieren Menge vor große Probleme. Wies van Lieshouts Schlamm-Pflaster sind ein perfektes Beispiel für geglückte Kreislaufwirtschaft und sie sind smart designt - nämlich so, dass trotz Bepflasterung Wasser im Boden versickern kann in dieser Stadt am Maas-Delta, die große Probleme mit Überflutungen hat.

Auch im Restaurant Aloha-Bar lautet das Motto: Möglichst wenig Abfall produzieren

Im Obergeschoss des Tropicana wird in der Aloha-Bar Essen serviert, zubereitet aus Produkten, die allesamt aus der Region stammen. Gerösteten Blumenkohl gibt es hier oder das niederländische Nationalgericht Bitterballen in vegetarischer Ausführung. Was es nicht gibt, ist der andernorts obligatorische Zitronenschnitz im Sprudel. Auf Produkte von weit her wird konsequent verzichtet. Das Aloha versteht sich selbst als "low waste foodbar", auch hier soll möglichst wenig Abfall anfallen.


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"Die Blue City ist der Versuch, eine Muster-Stadt zu entwickeln, in der es keinen Müll gibt, weil alles wiederverwendet wird", sagt Managerin Nienke Binnendijk. Das Projekt ist in Fluss, aber es wird immer deutlicher sichtbar, dass es gelingen kann, aus einem so verschwenderischen Gebäude wie einem 1980er-Jahre-Spaßbad ein Zentrum für nachhaltiges Unternehmertum zu machen. Natürlich muss es auch wirtschaftlich funktionieren, das ist allen bewusst. "Die Wirtschaft der Zukunft ist schließlich immer noch Wirtschaft."

Vor einigen Jahren galt das Projekt noch als radikal

Ihr Vorhaben habe vor einigen Jahren als radikal gegolten, sie seien belächelt worden, erzählt Binnendijk. Inzwischen kämen immer mehr große Firmen zu Besuch, nutzten das Tropicana als coole Event-Location und nähmen etwas mit von dem kreativen und ein bisschen verrückten Geist, der hier herrscht. "Wir nutzen dieses seltsame und attraktive Gebäude als Bühne für unsere Idee", so Binnendijk.

Bisher galt der reflexhafte Abriss von nicht mehr für ihren Ursprungszweck benötigten Gebäuden als Standard. Der Blue City könnte den Beweis erbringen, dass es sinnvolle und nachhaltige Alternativen gibt.

 

Wie es mit dem Aquatoll weitergeht

 Wie es mit dem Aquatoll in Neckarsulm weitergeht, entscheidet der Gemeinderat voraussichtlich in seiner Sitzung am 28. April. Der Komplettabriss sei eine Möglichkeit, teilt die Stadt auf Anfrage mit. Allerdings gehe man derzeit nicht von dieser Option aus. Fall das Aquatoll tatsächlich im Mai geschlossen werde, "wird das Bad wie zu Lockdown-Zeiten in den technischen ,Dornröschenschlaf' versetzt", heißt es weiter. Die Regeltechnik werde dann auf ein Mindestmaß reduziert, um die Bausubstanz zu erhalten.
 
Für den Fall, dass die Komplettsanierung nicht beschlossen wird, hätten die Fraktionen eine Ideenwerkstatt angeregt. Diese soll Nutzergruppen die Möglichkeit geben, Ideen für die Zukunft der Neckarsulmer Bäderlandschaft ohne das Aquatoll einzubringen. Sie biete auch den Rahmen, um "über Möglichkeiten nachzudenken, wie die Bausubstanz alternativ genutzt werden könnte".

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