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Das Schwimmbad von Helmut Kohl wird zur Event-Location

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Ludwigshafen gilt als hässlichste Stadt Deutschlands. Doch das ist nur die halbe Wahrheit, wie ein Besuch im Hallenbad Nord zeigt. Hier ist unter dem Namen Freischwimmer ein kreativer Identifikationspunkt entstanden. Ein Ortsbesuch.

Es gibt Einheimische, die sagen: Ludwigshafen sollte man am besten abreißen und komplett neu aufbauen. Und tatsächlich reiht sich hier scheinbar eine Bausünde an die nächste. Bahnhof, Rathauscenter, Hochstraße - man wähnt sich bei einer Fahrt durch die Stadt inmitten zerfallender Sowjetarchitektur. Ludwigshafen sei "planerisch gewordener Selbsthass", befand der örtliche Performancekünstler und Architekt Helmut van der Buchholz vor einigen Jahren in einem Vortrag. Ein Satiremagazin kürte Ludwigshafen 2018 zur "hässlichsten Stadt Deutschlands".

Die Ludwigshafener veranstalten Touren zu "den schlimmsten Plätzen in Deutschlands hässlichster Stadt"

Ein Umstand, den die Rheinland-Pfälzer inzwischen selbstironisch für touristische Zwecke nutzen. In den Sommermonaten gibt es unter dem Titel "Germany"s Ugliest City Tours" Spaziergänge und Fahrradtouren zu den schlimmsten Plätzen in deutschlands hässlichster Stadt - und zwar immer wieder mit neuer Streckenführung, offenbar existiert hier einfach so viel Unansehnliches.

Das frühere Hallenbad Nord aus dem Jahre 1956 ist ein Lichtblick

Doch selbst in Ludwigshafen findet man sie, die Lichtblicke. Das alte Hallenbad Nord aus dem Jahre 1956 ist so einer. Es ist ein Ort, der für die deutsche Nachkriegsgeschichte steht, nicht nur wegen seines prominentesten Dauer-Saunagastes. Helmut Kohl, so erzählen sich alte Ludwigshafener, sei regelmäßig am Samstagvormittag mit seinen Bodyguards vom zehn Autominuten entfernten Oggersheim ins Hallenbad Nord gekommen, um hier zu schwitzen.

Die Umkleiden und Spinde stehen unter Denkmalschutz und dürfen nicht verändert werden. Schön beleuchtet werden dürfen sie schon. Foto: Valerie Blass
Die Umkleiden und Spinde stehen unter Denkmalschutz und dürfen nicht verändert werden. Schön beleuchtet werden dürfen sie schon. Foto: Valerie Blass  Foto: Blass, Valerie

"Die Geschichte stimmt", sagt der frühere Ludwigshafener SPD-Bürgermeister Wolfgang van Vliet. Kohl sei völlig ungeniert minimal bekleidet herumgelaufen, "der hat überhaupt keine Scheu gehabt". Sogar mit dem sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow soll der Ex-Kanzler hier gewesen sein - und mit diesem in der Sauna über die Einheit verhandelt haben. Ob diese Legende wahr ist, bleibt aber wohl ein Geheimnis der Geschichte.

2001 kam das Aus für den Badebetrieb - die Kosten waren zu hoch

Bis 2001 wurde das Hallenbad genutzt, dann für den Badebetrieb geschlossen. Die Kosten für eine notwendige Sanierung und den Weiterbetrieb wären zu hoch gewesen und die Industriestadt Ludwigshafen war in den 1990er Jahren finanziell klamm. Die BASF hatte seinerzeit zwar eine Millionen Mark für den Bau des insgesamt 4,3 Millionen Mark teuren Bades gegeben, der permanente Betrieb musste aber aus der Stadtkasse gesichert werden. Also kam das Aus.

Es ist dem Engagement einiger Bürger und einem Zufall zu verdanken, dass das im Viereck angeordnete Schwimmbad-Ensemble heute noch steht und weitgehend originalgetreu erhalten ist. Seit 2004 steht der Komplex unter Denkmalschutz, eine Bürgerinitiative hatte zuvor gegen den Abriss gekämpft. 2013 kaufte der Nachbar, die Gemeinschafts-Müllheizkraftwerk Ludwigshafen GmbH (GML), dann einen Teil der Anlage. Heute nutzt sie das frühere Schwimmbecken als Wasserspeicher für Löschwasser. Einige Jahre zuvor war es bei der GML zu einem Brand mit Millionenschäden gekommen - in der Folge erging die Auflage, künftig Löschwasser zu bevorraten.

Heute wird im früheren Schwimmbecken Löschwasser für das nahe Müllheizkraftwerk gelagert

Das frühere Schwimmbecken ist zum Löschwasserreservoir für das nahe Müllheizkraftwerk geworden. Foto: Valerie Blass
Das frühere Schwimmbecken ist zum Löschwasserreservoir für das nahe Müllheizkraftwerk geworden. Foto: Valerie Blass

Seit 2016 gehört der Rest des früheren Hallenbads Nord den Technischen Werken Ludwigshafen. Die TWL hat den historischen Komplex unter dem Namen "Freischwimmer" zu einem Kultur- und Innovationszentrum umgebaut. Aus dem Lehrschwimmbecken ist ein Vortragssaal geworden, im Bereich der denkmalgeschützten Umkleidekabinen ist ein Co-Working-Space entstanden. Von der früheren "Milchbar" im Foyer aus erfolgt das Catering für Veranstaltungen.

In Helmut Kohls früherer Sauna ist eine Anwaltskanzlei beheimatet

Im Untergeschoss, dort, wo einst "der Kanzler der Einheit" saunierte, ist Jan Schabbeck mit seiner Rechtsanwaltskanzlei VSZ eingezogen. Einfach sei es nicht gewesen, die Kanzleiräume für sechs Anwälte und weitere Angestellte zu planen und umzusetzen, sagt er. Der Denkmalschutz begrenze den Handlungsspielraum doch erheblich. So seien die Büros eigentlich zu klein und schlecht beheizbar

Optisch-ästhetisch beeindrucken die schlauchförmig angeordneten Kanzleiräume allerdings - vor allem der Raum mit den früheren Abkühlbecken für die Sauna. Die Becken sind noch im Original erhalten, sie sind nur mit einem gläsernen Deckel versehen worden, auf dem man laufen kann - wechselnde Lichteffekte machen den Raum zur idealen Veranstaltungs- und Tanzfläche. Jan Schabbeck, der seit Jahresanfang in dem Gebäude ist, hat große Pläne dafür.

Dort, wo früher die Umkleiden waren, ist ein großer Co-Working-Space entstanden. Foto: Valerie Blass
Dort, wo früher die Umkleiden waren, ist ein großer Co-Working-Space entstanden. Foto: Valerie Blass  Foto: Blass, Valerie

In dem Raum sind auch Wandmosaike des pfälzischen Nachkriegskünstlers Rolf Müller-Landau erhalten. Sie zeigen die vier Elemente Feuer, Wasser, Erde und Luft, erklärt der städtische Denkmalpfleger Matthias Ehringer. Auch die Terrazzo-Böden sind aus der Erbauungszeit - genauso wie die in die Wand eingelassenen Ablagefächer, in denen Saunagäste früher Seife und Badebekleidung ablegten, bevor sie die Sauna betraten. Direkt davor steht heute der Kopierer der Kanzlei.

Die Nachkriegsarchitektur rückt erst jetzt ins Bewusstsein der Denkmalpflege

Die Nachkriegszeit dränge aktuell ins Bewusstsein der Denkmalpflege, sagt Ehringer. "Das Bewusstsein für die historische Substanz aus dieser Zeit musste erst breiter wachsen." Über Jahre sei vieles "ohne Not abgerissen" worden, "der Fokus war eindeutig auf Erneuerung" - gerade in Ludwigshafen, wo nach dem Krieg durch die BASF sehr viel Geld dagewesen sei, um einfach neu zu bauen. So seien auch viele Bausünden entstanden.

Mit dem Erhalt des Hallenbads Nord ist es der Stadt gelungen, diese Schleife aus Abriss und Erneuerung zu durchbrechen. Das alte Hallenbad Nord bleibt ein Identifikationspunkt für die Bürger - der es schon einst war, als die Ludwigshafener in Scharen hierher strömten, an den "Ort des gesteigerten Lebensgenusses", wie es damals hieß. Man merkt, dass die Ludwigshafener wieder stolz auf ihr historisches Bad sind - auch wenn es jetzt "Freischwimmer" heißt und dort schon lange niemand mehr seine Bahnen zieht

Unter dem Namen Freischwimmer ist ein Ort für Start-ups und Kreative entstanden

Unter dem Namen "Freischwimmer" ist in einem Teil des historischen Gebäude-Komplexes eine Eventlocation für Firmenveranstaltungen, Musik und Kultur entstanden. Auch temporäre Arbeitsplätze kann man im sogenannten Co-Working-Space anmieten. Den Flair des früheren Hallenbads gibt es inklusive, denn die Umkleidekabinen stehen unter Denkmalschutz und fungieren quasi als Raumteiler im Co-Working-Bereich. Im dem mit einer Holzempore überbauten früheren Lehrschwimmbecken ist ein kleiner Raum für Veranstaltungen und Konzerte entstanden. Weitere Infos unter www.freischwimmer-club.de

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