Was hilft gegen Muskelkrämpfe?
Die Ursachen für die schmerzhaften Kontraktionen sind noch nicht eindeutig geklärt. Auch bei der Behandlung sei Ausprobieren angesagt, sagt der Neckarsulmer Sportmediziner Boris Brand.

Der Schmerz kommt plötzlich und ist erbarmungslos, häufig tritt er an der Oberschenkelrückseite oder in der Wade auf und hält dann über Sekunden oder sogar Minuten an: Muskelkrämpfe sind ein Phänomen, mit dem wahrscheinlich so ziemlich jeder schon einmal unerwünschte Erfahrung gemacht hat. Nächtliche Attacken sind der Klassiker - oder auch ein Auftreten in Zusammenhang mit Belastung, also nach einem anstrengenden Lauf oder einer langen Radtour. Häufig heißt es dann: Nimm mal Magnesium ein! Doch ist ein Magnesiummangel wirklich die Ursache für Krämpfe oder, anders herum gefragt, kann man sie mit der Einnahme von Magnesium verhindern?
Die bisherige Studienlage zumindest gibt das nicht her - aber es existieren auch nicht viele große Studien zum Thema. So sei es wie häufig in der Medizin, sagt der Neckarsulmer Orthopäde Boris Brand: "Wer sich subjektiv besser fühlt, wenn er Magnesiumpräparate einnimmt, kann das über einen gewissen Zeitraum ausprobieren, um den Effekt zu testen." In der normalen, empfohlenen Dosierung schade Magnesium jedenfalls nicht. Mit einem mögliche Mangel sind Krämpfe aber gleichzeitig nicht umfänglich zu erklären, sagt Brand.
Ursachen sind noch unklar
"Man weiß noch nicht genau, was sich bei Krämpfen im Körper abspielt", erklärt er. Aber es gebe eine Reihe von Annahmen. Der Sportmediziner unterscheidet drei Gruppen von möglichen Betroffenen: Menschen, bei denen Krämpfe eine körperliche Ursache haben. Das kann zum Beispiel eine anatomische Fehlstellung wie ein extremer Knickfuß sein oder ein Bandscheibenvorfall, der auf einen Nerv drückt - oder aber Erkrankungen wie Diabetes oder Schilddrüsenprobleme. Auch Medikamente können als Nebenwirkung eine Krampfneigung verursachen, zum Beispiel Cholesterinhemmer oder Blutdrucksenker. Zunächst gelte es, solche möglichen Ursachen ärztlich abklären zu lassen.
Mangelerscheinungen

Eine weitere Gruppe sind Menschen mit temporären Mangelerscheinungen, bei denen zum Beispiel der Mineralstoffwechsel nicht ausgeglichen ist oder die unter großer Anstrengung zu wenig Flüssigkeit zu sich genommen haben und deshalb dehydriert sind, also zum Beispiel Sportler nach einem Marathon. Krämpfe können auch eine Überlastungsreaktion sein - auf eine Unterversorgung von Körperzellen mit Sauerstoff durch zu intensives Training, so die Annahme.
Dann gebe es eine weitere Gruppe, die ohne klar erkennbaren Grund immer wieder von nächtlichen starken Kontraktionen geplagt wird, so Brand: "Das kann schon richtig schmerzhaft sein und dazu führen, dass die Menschen Angst haben, ins Bett zu gehen." Die Vermutung ist, dass die Ursache dafür ein fehlerhaftes Zusammenspiel zwischen Nerven und Muskulatur sein könnte: "Da kommt die Neurologie mit ins Spiel, aber der Mechanismus ist nicht wirklich verstanden", sagt er.
Wenn die Ursache für Muskelkrämpfe noch weitgehend unklar ist, bleibt die Frage: Was dagegen tun, wenn man stark beeinträchtigt ist? Zunächst gilt es festzuhalten: Krämpfe sind unangenehm und schmerzhaft und können unter Umständen noch tagelang nachwirken, wenn die Muskelkontraktion besonders stark war. "Das ist eine Überlastungsreaktion, bei der die Muskulatur total angespannt ist, wie bei sehr intensivem Training." Aber dauerhafte gesundheitliche Schäden verursachen sie nicht.
Brand sagt, man könne präventiv oder in der Akutsituation eine Reihe von Maßnahmen ausprobieren: Dehnen, Massagen, Wärme, den Einsatz einer Faszienrolle oder Wechselduschen - "also alles, was man zur Muskelpflege allgemein tun kann und einem gut tut".
Sportler sollten außerdem darauf achten, genügend zu trinken, um damit ihren Flüssigkeits- und Mineralstoffhaushalt auszugleichen: Mineralwasser oder Apfelschorle zum Beispiel. Auch Bananen enthielten viel Magnesium und seien deshalb als Snack im oder nach dem Wettkampf geeignet. Brand sagt auch: "Das sind alles Dinge, die die meisten ja schon ausprobiert haben." Trotzdem blieben für einige Menschen Beinkrämpfe ein regelmäßiger Begleiter. "Ich habe zum Beispiel Golf-Sportler unter meinen Patienten, die mir sagen, sie kommen gut bis Loch 13, aber dann nicht mehr weiter, weil sie Krämpfe haben.
Medikament auf Chinin-Basis
Bei ihnen könne man ein Medikament auf Chinin-Basis ausprobieren, ein Wirkstoff, der auch in Tonic Water oder bestimmten Trend-Getränken enthalten ist, den man aber nur in Maßen zu sich nehmen sollte. Das verschreibungspflichtige Medikament für Selbstzahler helfe einem gewissen Teil der Patienten, ist Brands Erfahrung - auch wenn in Studien keine durchgängige Wirksamkeit nachgewiesen worden sei. "Trotzdem gibt es Leute, bei denen wirkt es." Es gelte, für sich persönlich herauszufinden, was Erleichterung bringt.
Zur Person
Dr. Boris Brand ist Orthopäde und Unfallchirurg in der Praxis Medicross in Neckarsulm. Er betreut als Mannschaftsarzt mehrere Profi-Teams, unter anderem die Bundesliga-Handballerinnen der Sport-Union Neckarsulm und die SUN-Schwimmer.
Hilfe im Akutfall
Gelegentliche Muskelkrämpfe kann man häufig durch Dehnen des betroffenen Muskels unterbrechen: entweder durch aktives Anspannen des Antagonisten, also des entgegengesetzten Muskels - oder durch Massieren und zum Beispiel, in dem man bei einem Wadenkrampf auf die Zehenspitzen steht. Auch warme Wickel, eine Wärmflasche auf der betroffenen Stelle oder ein heißes Bad können helfen, die Muskulatur zu entspannen.
Entsteht der Krampf beim Sport, sollte das Körperteil sofort entlastet werden. Generell zu empfehlen sind auch eine an den Trainingszustand angepasste Belastung und ein Aufwärmen der Muskulatur vor dem Training.



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