Nach der "Artgemeinschaft": Wird bald der nächste rechte Verein verboten?
Die bundesweite Razzia gegen die "Artgemeinschaft" schreckt den "Bund für Gotterkenntnis Ludendorff" in Ingelfingen und Herboldshausen auf. Die Vorsitzende schreibt in einem Brandbrief von "Verbrechen gegen die Menschlichkeit".

Die bundesweiten Razzien gegen den rechtsextremen Verein "Artgemeinschaft" Ende September, von denen eine auch im Kupferzeller Teilort Hesselbronn stattfand, hat weitere rechte Vereine in der Region aufgeschreckt. Der völkische "Bund für Gotterkenntnis Ludendorff" (BfG) scheint sich zu fürchten. Er betreibt das sogenannte "Jugendheim Hohenlohe" bei Kirchberg, ein großes Bauernhaus, das der rechten Szene Süddeutschlands als Versammlungsort dient.
Warnung mit Hinweis auf "Verbrechen gegen die Menschlichkeit"
In einem dreiseitigen Schreiben wendet sich die Bundesvorsitzende der Ludendorffer, Gudrun Klink aus Ingelfingen, an zahlreiche Empfänger, die dazu beigetragen haben könnten, dass es Hausdurchsuchungen bei Mitgliedern der """ gegeben hat.
Klink schreibt: "Sollte in Planung sein, beim ,Bund für Gotterkenntnis' oder anderen Vereinigungen ebenfalls ein (unhaltbares) Verbot durchzuführen und dabei gleich oder ähnlich vorzugehen wie bei der ,Artgemeinschaft'", solle man das Völkerstrafgesetzbuch (Paragraf 7, Verbrechen gegen die Menschlichkeit) beachten. Außerdem verweist sie darauf, dass der BfG "eine höchstrichterlich festgestellte Weltanschauungsgemeinschaft" sei. Weltanschauungsgemeinschaften stünden unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes.
BfG-Vorsitzende übt auch Kritik an Medien
Vorher heißt es in dem Schreiben: "Wenn ein Rechtsstaat zu Maßnahmen greift, die auch in totalitären Staaten zur Unterdrückung von Opposition und Freiheitsbestrebungen genutzt werden, so hat er diese unter besonderer Wahrung der Menschenwürde der Betroffenen, des allgemeinen Anstands sowie der rechtsstaatlichen Prinzipien zu tun", schreibt sie. Für Verbote und Hausdurchsuchungen müssen "deutlich ersichtlich Verhältnismäßigkeit und der Nachweis real existierender Gefahr gegeben und belegbar sein und das Vorgehen den Prinzipien von Menschlichkeit und Respekt vor Andersdenkenden untergeordnet sein", so Klink weiter.
Kritik an den Medien übt die BfG-Vorsitzende auch. "Die Medien, die angeblich die Ideale von Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verfechten, müssen sich fragen lassen, wie das mit ihrem Verhalten in Einklang zu bringen ist", so Klink – und fügt hinzu: "Sie höhnen und ergötzen sich mehrheitlich an den Maßnahmen. Eine differenzierte Sichtweise ist selten anzutreffen."
Welche Kreise die Verbindungen der "Artgemeinschaft" ziehen
Klingt da Angst durch? Wenn ja, warum? Wie viel "Artgemeinschaft" steckt im "Bund für Gotterkenntnis"? Fakt ist: Mitglieder der "Artgemeinschaft" nahmen schon mehrmals an Veranstaltungen im Jugendheim Hohenlohe im Kirchberger Teilort Herboldshausen teil, darunter auch die beiden, bei denen in Hesselbronn durchsucht wurde.
Dass personelle Übereinstimmungen zwischen dem BfG und der "Artgemeinschaft" existieren, geht aus einer Mitgliederliste des jetzt verbotenen Vereins hervor. Diese soll aus dem Jahr 2011 stammen, ist 25 Seiten lang und enthält 540 Namen mit Adressen und Telefonnummern. Darunter finden sich auch ausgeschiedene Mitglieder. Das Bundesinnenministerium rechnete dem Verein bundesweit zuletzt rund 150 Mitglieder zu.
Wer die Namen auf der Liste recherchiert, stößt nicht nur auf Verbindungen zu den Ludendorffern, sondern auch zu diesen Parteien und Vereinen: AfD (Alternative für Deutschland), IB (Identitäre Bewegung), NPD (Nationaldemokratische Partei Deutschlands, heute: Die Heimat) und deren Jugendorganisation JN (Junge Nationalisten) sowie HDJ (Heimattreue Deutsche Jugend) und Wiking-Jugend - die letztere beiden wurden wegen der Nähe zum Nationalsozialismus verboten.
Außerdem gibt es Verbindungen zum NSU, dem Nationalsozialistischen Untergrund, der mehrere rassistisch Morde und Anschläge verantwortet: Dem Unterstützerfeld der rechtsterroristischen Vereinigung lassen sich einige Namen zuordnen. Ehemals Mitglied der "Artgemeinschaft" war auch der Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.
Unter den Personen auf der Liste sind Jäger, Sportschützen, Soldaten, Biobauern, Tätowierer, Gastwirte, Heilpraktiker, Pilzexperten, Trauerredner, Antiquare, Ärzte, eine Stiftung mit Verbindung nach Russland, Burschenschaftler, Hobbyimker, Schornsteinfeger. Viele sind in ihrem Leben bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Aber es gibt auch welche, die werden als Lebensretter geehrt oder sitzen im Vorstand eines Sozialverbandes.
Warum wurde die „Artgemeinschaft“ verboten und der Bund für Gotterkenntnis nicht?
Das Bundesinnenministerium sagt auf Nachfrage, es äußere sich „grundsätzlich nicht zu etwaigen Verbotsüberlegungen“. Politikprofessor Fabian Virchow ist Experte für Rechtsterrorismus. Er kennt das Phänomen der Doppel- und Mehrfachmitgliedschaften bei rechten Organisationen. Eine Parallele zwischen „Artgemeinschaft“ und „Bund für Gotterkenntnis“ sieht Virchow „insbesondere in dem rassistischen Antisemitismus“, wie er auf Nachfrage schreibt. „Bei beiden wird ein starker Fokus auf die Vererbungslehre gelegt, die klassischen Überlegenheitsrassismus hervorbringt.“
Worin liegt der Unterschied? „Die ,Artgemeinschaft’ verstand sich als heidnisch-germanisch, während der BfG mit dem starken Bezug auf Ludendorff versucht hat, eine eigenständige Gotterkenntnis zu entwickeln.“ Beim BfG sieht Virchow keine Nähe zum Rechtsterrorismus. Dagegen habe die „Artgemeinschaft“ „stärkere Überschneidungen zur offen neonazistischen Szene und damit zum entsprechenden Gewaltpotenzial“. Es hätten sich immer wieder Aktivisten aus verbotenen Gruppen „in die ,Artgemeinschaft’ quasi zurückgezogen, im Sinne von: Die ist weniger öffentlich aktiv.“ In dem Verein sei auch stark die Vorstellung von „Leben als Kampf“ betont worden.
Die personellen Überschneidungen zwischen „Artgemeinschaft“ und BfG sind nach Virchows Ansicht eher gering – er deutet aber an, dass diese Frage eine genauere Untersuchung wert wäre.



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