Hohenloher Stimmungs-Europameister wird die Türkei – "Freude ploppt jetzt aus den Fans heraus"
Die türkischen Fans in Öhringen scheinen noch ausgelassener zu feiern als der Gastgeber: Sie haben es bislang als einzige im Hohenlohekreis in den Pressebericht der Polizei geschafft. Den Vorsitzenden der Deutsch-Türkischen Gemeinde freut, dass alles friedlich blieb – doch er hat auch eine dringende Bitte.

Wer Fußball-Europameister wird steht im Achtelfinale noch nicht fest. Aber welche Fans bislang für die meiste Stimmung gesorgt haben, ist relativ eindeutig: die Türken. Klar, die Begeisterung der deutschen Fans ist sagenhaft – vor allem hat sie sich bis zum Ende der Gruppenphase von kollektiver Skepsis zu Sommermärchen-Euphorie gewandelt.
EM 2024: Welche Fans bislang durch ausgelassene Autokorsos aufgefallen sind
Doch bei den Autokorsos haben sich in Öhringen bislang vor allem Serben, Rumänen und Türkenhervorgetan. Letztere schafften es nach dem letzten Gruppenspiel und dem 2:1 gegen Tschechien in letzter Minute sogar in den Pressebericht der Polizei: Laut den Beamten versammelten sich am Mittwoch gegen 23 Uhr Menschen mit rund 25 Autos und fuhren durch Bahnhofstraße, Poststraße, Rathausstraße, Marktstraße und die Kirchgasse, "um ihrer Freude Ausdruck zu verleihen", teilt die Polizei mit. Die Fans zogen sich schließlich in die Bahnhofstraße zurück, "wo rund 50 bis 60 Personen etwa eine halbe Stunde lang auf der Fahrbahn tanzten".
Es kam zu keinen größeren Verkehrsbehinderungen – und die Polizei schreibt auch nicht, dass sie aus irgendwelchen Gründen einschreiten musste. Es war einfach ein friedliches Fest. Was aber auffällt: Keine einzige weitere Siegesfeier der Vorrunde hat es bis dato in den Polizeibericht für den Hohenlohekreis geschafft, auch keine deutsche. Das ist fast schon eine Auszeichnung, so was wie der Titel: Feierbiester der Vorrunde.
Nach dem Schlusspfiff "war die Hölle los": So hat es der deutsch-türkische Gemeindevorsteher erlebt
Menderes Selcuk, Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Gemeinde in Öhringen, hat von der nächtlichen Feier gehört. "Das waren alles Öhringer", sagt er. Er selbst hat das Spiel mit etwa 20 Mitgliedern der Gemeinde im Vereinsheim geschaut, also im Haus der Jugend, wo man im Untergeschoss Räumlichkeiten habe. Viele Leute passen aber nicht in den Keller, die meisten Deutsch-Türken schauten bei privat organisierten Veranstaltungen.
Nach dem dramatischen 2:1 gegen Tschechien spürt Selcuk die Begeisterung, die durch seine Gemeinde schwappt: "Nach dem Schlusspfiff war die Hölle los, überall, auch in Heilbronn. Die Freude ploppt jetzt aus den Fans heraus", schildert er. Dass sie Spiele häufig in letzter Minute entscheide, scheine zum Markenkern der türkischen Nationalelf zu werden. "Die Nerven liegen da blank. Wir haben viele eindeutige Gelegenheiten liegen gelassen, wir spielen nicht gut, gewinnen dann aber durch unmögliche Einzelaktionen. Das ist nichts für ein schwaches Herz." Seine Gedanken sind auch beim Verlierer: "Es ist extrem bitter für die, die so ausscheiden. Freude und Leid sind nah beieinander."
Geht die Achterbahnfahrt im Achtelfinale weiter? So schätzt Selcuk den Gegner Österreich ein
Letzteres gelte aber auch für die Fans der Türken: "Kontinuität ist in dieser Mannschaft nicht gegeben. Das Karussell der Leistung bestimmt die Stimmung. Jedes Spiel ist anders. Das ist schön, aber anstrengend."
Ähnlich werde es wohl auch im Achtelfinale am Dienstag gegen Österreich: Die Nachbarn der Deutschen seien eine "gute, starke, kollektive Mannschaft": "Es ist ein sehr schwieriger Gegner, aber ich sehe gute Chancen. Mit Fließ und Konzentration schaffen wir das." Türkei gegen Österreich, das hat auch eine historische Komponente: die Türken vor Wien. Selcuk sieht das nicht so: "Ich betrachte das grundsätzlich sportlich, nicht politisch."
Zum Korso mitten in der Nacht hat Selcuk eine eindeutige Meinung
"Wir sollten maximal eine Stunde feiern", findet Selcuk mit Blick auf den ausgelassenen Jubel seiner Landsleute nach Spielende – aber das sei eben schwierig zu steuern. Er appelliert: "Lasst das Auto zu Hause", vor allem die "Protzkarren". In Berlin habe es einen tödlichen Unfall bei einem Autokorso gegeben, "das ist einfach nur traurig, das versaut die ganze EM".
Nun ist ein Deutsch-Türkisches Finale möglich: "Das wäre für uns Deutsch-Türken ein doppeltes Sommermärchen und ein schönes Zeichen für die deutsch-türkische Gemeinschaft", findet Selcuk. Er findet: "Die Deutschen funktionieren sehr gut. Es ist eine Hammer-Mannschaft, wenn sie zusammenhalten. Man darf sie auch nicht unterschätzen, wenn sie mal eine Schwächephase haben. Ich sehe sie im Finale." Aber wem drückte er dann die Daumen? "Wir jubeln für beide. Aber wenn Deutschland und Türkei sich im Finale gegenüberstehen, würde ich es doch den Türken gönnen, einmal den Pokal hochzuheben. Die Deutschen haben schon viele Erfolge gehabt."


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