Raser-Prozess in Heilbronn: Eine Sekunde entschied über Leben und Tod
Beim tödlichen Unfall in der Wollhausstraße krachte ein Auto in das Fahrzeug einer Familie. Hat der Angeklagte kurz vorher noch gebremst oder weiter beschleunigt? Beides ist denkbar.
Beim tödlichen Unfall am 12. Februar vergangenen Jahres in der Wollhausstraße entschied womöglich eine Sekunde über Leben und Tod. Das sagte der Vorsitzende Richter Alexander Lobmüller am Montagvormittag beim sogenannten Raser-Prozess vor dem Heilbronner Landgericht.
Zuvor hatte der sachverständige Verkehrsgutachter Andreas Förch aus Neckarsulm mehrere denkbare Varianten vorgerechnet, die am Ende zum Aufprall des BMW des Angeklagten mit rund 97 Stundenkilometern in den Mercedes des Opfers führten. Der 42 Jahre alte Familienvater starb wenige Augenblicke nach dem Zusammenstoß. Das sagte der Tübinger Gerichtsmediziner Professor Hans-Thomas Hafner.
Die Ehefrau erlitt schwere Verletzungen. Unter anderem können Schäden am linken Auge als Folge des Unfalls zurückbleiben. Die beiden Kinder wurden ebenfalls verletzt. Während der Sohn keine bleibenden Schäden hat, könnte beim Mädchen eine rund drei Zentimeter lange Narbe im Gesicht ihr Leben lang zurückbleiben, so der Gerichtsmediziner.
Tödlicher Unfall in der Wollhausstraße: Wie schnell war der Angeklagte vor dem Aufprall?
Hat der damals 20 Jahre alte Angeklagte am 12. Februar vergangenen Jahres vor dem Aufprall noch gebremst, oder ist er ohne Verzögerung in das aus einer Ausfahrt in der Wollhausstraße fahrende Auto der Familie gekracht? Denkbar sind beide Varianten.
Dass er mit 97 Stundenkilometer in die linke Seite des Autos geknallt ist, scheint sicher. Zumindest gibt das Airbag-Steuergerät des 313 PS-starken BMW diese Geschwindigkeit zum Zeitpunkt des Aufpralls nach Abzug der Toleranz an. Der Fehlerspeicher des Fahrzeugs zeigt zwar zu einem nicht exakt bestimmbaren Zeitpunkt 112 Stundenkilometer an. Laut Gutachter muss das aber nicht zwingend heißen, dass der Angeklagte mit seinem Fahrzeug auch tatsächlich so schnell auf der Straße gefahren sein muss.
Um das Fahrzeug vor dem Zusammenstoß rechtzeitig zum Stehen zu bringen, hätte der Angeklagte laut Gutachter 2,4 Sekunden vor dem Aufprall reagieren müssen. Das war der Zeitabstand zwischen dem Anfahren des Mercedes und Zusammenstoß mit dem BMW des Angeklagten. Sehen konnte der Angeklagte das ausfahrende Fahrzeug der Familie aber laut Gutachter offenbar erst 1,4 Sekunden vor dem Aufprall.
Ehefrau des Todesopfers hat bleibende Schäden am linken Auge
Der Familienvater starb aufgrund innerer Blutungen wenige Augenblicke nach dem Aufprall. Sein Bewusstsein muss er laut Rechtsmediziner aber sofort verloren haben. Die Ehefrau des Todesopfers zog sich laut Gutachter „ein Schädelhirntrauma ersten Grades“ zu. Darüber hinaus erlitt sie einen Nasenbein- und einen Rippenbruch.
Langfristige Schäden könnte der Bruch des knöchernen Bodens in der linken Augenhöhle verursachen. „So kann der Augapfel nach unten absinken“, sagte Hafner. „Bei extremer Blickführung sind Doppelbilder möglich.“ Der Rechtmediziner veranschaulichte das am Beispiel des Schielens. Im ungünstigsten Fall könne so eine Verletzung auch zum Verlust des Sehvermögens führen.
Konkrete Lebensgefahr habe weder für die Witwe noch für die beiden Kinder bestanden. Abstrakt bestehe bei so einer hohen Aufprallgeschwindigkeit in die Seite eines Fahrzeugs aber immer Lebensgefahr, betonte Förch.
Angeklagter hat offenbar vor dem Unfall beinahe eine Frau überfahren
Vor dem tödlichen Unfall hätte der Angeklagte laut Gutachter beinahe mit rund 70 Stundenkilometern eine Fußgängerin auf dem Zebrastreifen in der Wollhausstraße überfahren. Sie konnte sich retten, weil sie ab der Mitte Straße auf dem Zebrastreifen gerannt ist.
Am Montagnachmittag stellt der Kinder- und Jugendpsychiater Professor Michael Günter aus Tübingen sein Gutachten vor. Er untersucht den geistigen Reifegrad des Angeklagten. Als damals 20 Jahre alter Heranwachsender könnte der Beschuldigte eventuell nach Jugendrecht verurteilt werden.