OB Mergel zu Debatte um Heilbronner City: "Klagen sind in jeder Großstadt dieselben"
Geschäftsaufgaben, Leerstände, Sicherheitsdebatte: Heilbronns OB Mergel nimmt Stellung zur Diskussion um die City und betont im großen Stimme-Interview: Die Innenstadt sei attraktiv.

Ist Heilbronns Innenstadt noch zu retten? Die Ankündigung, dass mit dem Modehaus Palm eines der letzten inhabergeführten Traditionshäuser in wenigen Monaten die Segel streicht, hat den City-Handel erschüttert. In der Folge gab es viel Kritik an der Verwaltung. Oberbürgermeister Harry Mergel erklärt im Stimme-Interview, warum ihm nicht bange ist um die Entwicklung der Innenstadt.
Das Modehaus Palm gibt auf, Kaufhof steht auf der Kippe. Händler klagen, die Heilbronner Innenstadt sei nicht mehr attraktiv. Tut die Stadt zu wenig, um den Abwärtstrend zu stoppen?
Harry Mergel: Wer behauptet, wir machen nichts, der ignoriert die tatsächlichen Verhältnisse. Der Gemeinderat hat 16 Millionen Euro bis 2028 für Maßnahmen aus dem Masterplan Innenstadt zur Verfügung gestellt. Zudem haben wir vier Millionen für das Re-Start-Programm nach Corona in die Innenstadt gepumpt. Dazu kommen bis zu sieben Millionen Euro jährlich durch die HMG für frequenzerhöhende Maßnahmen wie Veranstaltungen.
Aber es ist nicht von der Hand zu weisen: Inhabergeführte Geschäfte werden weniger, es gibt mehr vom Gleichen, Imbisse, Friseure. Zukunftsprojekte wie KI und Bildungscampus florieren am Rand der City. Architekt Christoph Herzog hat dafür das Bild des Donuts geprägt, innen leer, außen üppig.
Mergel: Diese Entwicklung beobachten wir seit 20 Jahren in ganz Deutschland. In den Innenstädten nehmen Handelsflächen ab, Gastronomie, Büros und Praxen sowie Wohnen nehmen zu. Beispiel dafür ist das Marrahaus. Früher waren dort zu 100 Prozent Einzelhandel, heute sind es null. Wir verlieren Firmen, aber es kommen auch viele neu dazu. Das ist die normale Entwicklung, die sich in allen deutschen Städten vollzieht, das ist kein Heilbronner Phänomen.
Sie sagen, Heilbronn kann sich den bundesweiten Trends nicht entziehen. Manche Händler sagen, in anderen Städten läuft es viel besser. Was stimmt denn nun?
Mergel: Wir erleben im Handel Umwälzungen, wie es sie in der Form noch nie gab. Selbst die Heilbronner Händler führen einen Großteil der Probleme des stationären Handels auf das Online-Shopping zurück. Wenn Städte wie Esslingen und Tübingen als positive Beispiele angeführt werden, dann ist klar, dass die eine ganz andere Struktur mit traditionellem Gebäudebestand und vielen kleinen Handelsflächen haben. Das können Sie mit Heilbronn nicht vergleichen. Sie können in jede Großstadt gehen, die Klagen sind dieselben: Es gibt zu viel Leerstand, es gibt zu wenig inhabergeführte Geschäfte und es gibt Menschen mit sozial problematischem Hintergrund.
Eine Forderung war, die Stadt solle Immobilien selbst kaufen, um die Entwicklung im Handel steuern zu können. Gab es hier Versäumnisse?
Mergel: Wenn Sie sehen, was wir investiert haben in der Innenstadt, brauchen wir uns vor niemandem zu verstecken. Wir investieren enorme Mittel in strategische Immobilienkäufe. Nur so waren Projekte wie die Stadtgalerie, der Klosterhof am Kiliansplatz oder das K3 möglich. Das hänge ich nicht an die große Glocke. Aber gehen Sie davon aus, wo es sinnvoll ist, sind wir auch zukünftig da.
Ist es überhaupt Aufgabe der Stadt, als Immobilienunternehmer aufzutreten?
Mergel: Natürlich ist das eine Gratwanderung, wir gehen ja mit Steuergeldern um. Deshalb gilt: Die Stadt kauft nicht alles, sonst wird es gleich doppelt so teuer.
In vielen Städten hemmen überzogene Ladenmieten die Entwicklung. Sind die privaten Eigentümer in Heilbronn zu gierig?
Mergel: Man kann das den Hauseigentümern nicht verübeln. Sie versuchen zu erwirtschaften, was unternehmerisch möglich ist. Aber keine Frage, das ist ein Problem für die Innenstadt. Ich wünsche mir von Eigentümern Bürgerstolz in dem Sinn, dass sie mit ihrem Gebäude zur Attraktivität der Innenstadt beitragen und bei den Mieten die Leistungsfähigkeit der Mieter berücksichtigen.
Ein Dauerthema ist das Sicherheitsgefühl der Passanten in der Innenstadt. Im Zuge der Palm-Aufgabe wurde der Vorwurf laut, der städtische Ordnungsdienst tue zu wenig, toleriere wilde Bettelei. Was sagen Sie dazu?
Mergel: Diese Vorwürfe sind aus meiner Sicht völlig haltlos. Meine Kolleginnen und Kollegen aus dem Ordnungs- und Betriebsamt geben täglich ihr Bestes in der City. Das Ordnungsamt hat unter anderem 65 Platzverweise für aufdringliche Bettelei allein im Dezember ausgesprochen.
Viele Hoffnungen ruhen auf dem Wollhaus. Investor Neufeld hat große Pläne. Zuletzt mehrten sich aber die Zweifel. Glauben Sie noch an das Projekt?
Mergel: So weit wie bisher war noch nie jemand beim Wollhaus. Die Pläne, die wir kennen, sind ambitioniert und ehrgeizig. Ich gehe davon aus, dass ein Unternehmer die Dinge zu Ende denkt.
Gibt es einen Plan B fürs Wollhaus. Könnte dort sogar die Erweiterung des Bildungscampus unterkommen?
Mergel: Ich beteilige mich nicht an Spekulationen. Ich gehe davon aus, dass es ein tragfähiges Konzept für das Wollhaus gibt.
In der Stadt gibt es 8000 Studenten, Heilbronn nennt sich Universitätsstadt. Von studentischem Leben ist wenig zu spüren. Täuscht der Eindruck?
Mergel: Ja, das täuscht. Gehen Sie beispielsweise an die Neckarmeile, dort sind zu allen Zeiten viele junge Leute unterwegs. Aber so eine Entwicklung braucht auch Zeit, wir können uns nicht mit traditionellen Universitätsstädten wie Heidelberg, Tübingen oder Freiburg vergleichen. Ich habe überhaupt keine Sorge, dass sich der Charakter unserer Stadt in diese Richtung weiterentwickelt. Gastronomen lassen sich ständig neue Ideen einfallen. Der Markt ist vorhanden, da werden sich bald genügend Anbieter tummeln.
Sie schreiben in Ihrem Weihnachtsbrief, dass sich die Attraktivität der Innenstadt verbessert hat. Blauäugig?
Mergel: Zunächst freue ich mich über die Frage und die charmante Anspielung auf meine blauen Augen. Tatsächlich sage ich ja so etwas nicht aus dem Bauch heraus, sondern belege es. Die Studie Vitale Innenstädte hat Heilbronn als besonders lebendig, familienfreundlich und grün mit zahlreichen Verweilmöglichkeiten beschrieben. Und ich verspreche, nicht nur mit blauen Augen, sondern mit offenen Augen für Verbesserungsvorschläge und Ideen der Bürger die Themen weiter voranzutreiben.
Kommen wir noch einmal zurück zum Thema Sicherheit: Es gibt in der Innenstadt nicht nur Bettler. Vor allem nachts verbreiten in Gruppen auftretende Männer mit Migrationshintergrund ein ungutes Gefühl. Vor allem viele Frauen ängstigen sich.
Mergel: Ansammlungen von Menschen, die auf andere unbehaglich wirken, gibt es in jeder Stadt. Wir brauchen keine stereotypen Zerrbilder. Ergänzend zur Polizei tun wir alles, damit sich Frauen nachts in der Stadt sicher fühlen − unter anderem durch mehr Beleuchtung und mehr Sicherheitspräsenz.
Sind Sie grundsätzlich zu positiv eingestellt?
Mergel: Ich bin sicherlich ein eher positiver, aber zugleich auch differenziert und reflektiert denkender Mensch. Und ich denke, meine positive Einstellung ist vielleicht eine Art kulturelle Investition in die Zukunft unserer Stadt.
Konzentriert sich die Rathausspitze zu sehr auf KI und vergisst dadurch die Probleme des Alltags?
Mergel: Dieser Eindruck ist falsch und ich mache es an Zahlen fest: 2023 gab es 14 Gemeinderats- und 60 Ausschusssitzungen. Behandelt wurden 334 Drucksachen, von denen sich nur vier mit dem Ipai und eine mit dem Bildungscampus West beschäftigten. Die Konzentration auf KI und Bildungscampus sind wichtige strategische Schwerpunkte, die einen Blick in die Zukunft unserer Stadt ermöglichen sollen.
Kommen wir zur Energiewende: Wie weit sind die Planungen für einen Windpark in Kirchhausen gediehen?
Mergel: 2024 und 2025 werden wir diverse Gutachten einholen und Themen wie Windpotenzial, Netzanbindung, Erschließungsmöglichkeiten, Geräuschimmission und Artenschutz abprüfen. Ein Punkt ist auch die Verständigung mit Schwaigern über die mögliche Anzahl und Standorte der Windräder. Erst wenn alle Gutachten stehen, fällt die finale Entscheidung.
Wie will Heilbronn die selbstgesteckten ehrgeizigen Klimaziele erreichen bei immer klammeren Kassen?
Mergel: Allein zehn Millionen Euro fließen in diesem Jahr in den Klimaschutz. Wir brauchen aber auch Klarheit und Verlässlichkeit von Bund und Land. Ohne eine langfristige verlässliche Basis ist die Finanzierung von uns als Stadt nicht zu stemmen.
Für die Verkehrsbetriebe soll wegen der Komplettumstellung auf E-Busse ein neues Busdepot errichtet werden. Wo könnte der Standort liegen?
Mergel: Möglicherweise am Kraftwerksstandort der EnBW. Wir sind hier in guten Gesprächen.
Am 9. Juni ist Kommunalwahl. Welchen Gemeinderat wünscht sich der Oberbürgermeister?
Mergel: Wenn es ein Erfolgsgeheimnis für Heilbronn gibt, dann ist es, dass für den Gemeinderat die Formel gilt: Erst die Stadt, dann die Partei. Ich wünsche mir einen proaktiven Gemeinderat, der bereit ist, Herausforderungen anzupacken und zukunftsorientierte Lösungen zu entwickeln.