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Nach Angriffen auf Rettungskräfte an Silvester: Heilbronner Kreisbrandmeister ist sprachlos

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Nach Angriffen auf Rettungskräfte an Silvester: Der Heilbronner Kreisbrandmeister Bernd Halter hält solche Vorfälle in der Region für unvorstellbar, wie er im Interview sagt.

Feuerwehrmänner löschen an der Berliner Sonnenallee einen Reisebus, der in der Silvesternacht von Unbekannten angezündet wurde.
Feuerwehrmänner löschen an der Berliner Sonnenallee einen Reisebus, der in der Silvesternacht von Unbekannten angezündet wurde.  Foto: Paul Zinken/dpa

Feuerwehrleute werden bei der Arbeit behindert, von jungen Chaoten mit Feuerwerkskörpern und Böllern angegriffen, Einsatzfahrzeuge geplündert. Gewalt gegen Polizei und Einsatzkräfte beherrschte Silvester, nicht nur in Berlin. Über diese Entwicklung sprachen wir mit dem Heilbronner Kreisbrandmeister Bernd Halter (52).

 

Herr Halter, was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie die Berichte aus Berlin gesehen haben?

Bernd Halter: Was in Berlin passiert ist, das geht überhaupt nicht. Das ist ein No-Go, wenn Menschen, die Hilfe leisten, angegriffen werden. Man schaut sprachlos auf die Bilder.

 

Aggressivität gegen die Polizei ist fast schon normal, aber gegenüber der Feuerwehr? Warum geraten die Rettungskräfte jetzt in den Fokus von Chaoten?

Halter: Hier bei uns ist das nicht vorstellbar. Mir ist nicht erklärbar, warum Rettungskräfte so in den Fokus kommen, eine so aggressive Stimmung ihnen gegenüber eingenommen wird. Die Polizei verkörpert den Staat: Da kann man sich bei bestimmten Personengruppen schon vorstellen, dass sie aggressiv reagieren. Aber Rettungskräfte, ob Feuerwehr oder Rettungsdienst, rücken ja nicht aus, um Gesetze durchzusetzen, sondern um Menschen zu helfen und Sachwerte zu retten.

 


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Geht jetzt bei Feuerwehrangehörigen die Furcht vor Übergriffen um?

Halter: Nein, das darf auch nicht sein. Wir haben hier im Landkreis die beschriebenen Erfahrungen nicht gemacht. Ich denke, in Baden-Württemberg würde die Polizei auf solche Ereignisse auch anders reagieren. Und beim Tunesier, der an Silvester auf dem Heilbronner Marktplatz Polizisten angegriffen haben soll, ist ja die Strafe auf den Fuß gefolgt.

 

Bernd Halter
Bernd Halter  Foto: Kunz

Schrecken solche Bilder nicht junge Menschen davon ab, zur Feuerwehr zu gehen?

Halter: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ereignisse dazu führen, dass niemand mehr zur Feuerwehr will. Wir müssen in der Nachwuchswerbung die positiven Aspekte hervorheben und nicht nur sagen, wie anstrengend und gefährlich die Tätigkeit ist.

 

Gab es Reaktionen auf die Vorfälle aus den Reihen der Landkreis-Feuerwehren?

Halter: Nein, gar nicht.

 

Sind Aggressivität und Behinderung Thema in der Ausbildung?

Halter: Schon ich habe als junger Feuerwehrmann in der Grundausbildung gelernt, wenn jemand aggressiv wird, ist ein geordneter Rückzug anzutreten. Was derzeit geschult wird, ist ausreichend. Es ist nicht erforderlich, die Ausbildung auf solche Einzelaktionen abzustimmen. Die Feuerwehr ist nicht dazu da, Streitigkeiten zu schlichten. Angriffe und Plünderungen müssen von der Polizei geklärt werden.

 

Müssen Sie künftig Kräfte abstellen, um die Ausrüstung vor Plünderungen zu schützen?

Halter: Es gibt immer ein Feuerwehrmitglied, das beim Fahrzeug ist. Auf eine Situation wie in Berlin kann man sich nicht vorbereiten. In meiner aktiven Zeit kam es schon mal vor, dass beispielsweise eine Handlampe entwendet wurde. Aber das sind absolute Einzelfälle.

 

Machen solche Vorfälle wie an Silvester in deutschen Städten Schule, und ist zu befürchten, dass diese Gewalt weiter um sich greift? Oder funktioniert auf dem Land noch die soziale Kontrolle?

Halter: Trends aus Großstädten kommen irgendwann aufs Land. Es ist zu hoffen, dass es kein Trend ist. Und dass die Politik rechtzeitig gegensteuert. Momentan funktioniert die soziale Kontrolle noch. Wenn man auf dem Land aufgewachsen ist, dann ist man das System der ehrenamtlichen Hilfe gewohnt.

 


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Wird die Debatte nicht falsch geführt? Es geht doch um viel mehr als um ein Böllerverbot an Silvester.

Halter: Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Gewalt gegen Einsatzkräfte ist nicht mit dem Böllerverbot gleichzusetzen.

 

Jetzt sind die Empörung und das Entsetzen groß. Befürchten Sie, dass das Thema schnell wieder verschwindet, ohne dass etwas geschieht?

Halter: Es ist schon anzunehmen, dass irgendwann das Thema im Sand verläuft, weil das nächste Thema ansteht. Aber dieses Verhalten darf nicht weiter Schule machen. Unser System der Hilfe in Deutschland basiert größtenteils auf dem Ehrenamt. Und wenn sich die Politik nicht um das Thema kümmert, wäre es schade für das Ehrenamt.

 

Halten Sie diese Gewaltexzesse für ein Jugendphänomen oder ein rein migrantisches Phänomen, hatten doch viele der 145 vorläufig wegen verschiedener Delikte in Berlin festgenommen Tatverdächtigen einen Migrationshintergrund?

Halter: Das ist schwierig zu sagen. Ich würde es nicht zu 100 Prozent an der Migration festmachen. Es gibt auch andere Ursachen, etwa die ständige Verfügbarkeit von Gewalt in den Medien. Der Verdacht liegt nahe, dass Migranten das System von Feuerwehr und Rettungskräften in Deutschland nicht kennen und Blaulicht sofort mit dem Staat assoziieren. Aber die Feuerwehr ist nicht dafür da, im Rahmen der Integrationsarbeit Unterricht im Rettungssystem zu erteilen.

 


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Dass Rettungskräfte durch Gaffer, etwa auf der Autobahn behindert werden, ist schon lange Usus. Haben die härten Strafen geholfen, dieses Phänomen einzudämmen?

Halter: Mir liegen dazu keine Zahlen vor. Ich habe aber das Gefühl, dass es auf den Autobahnen besser geworden ist. Der Mensch an sich ist neugierig, wenn die Feuerwehr im Ort oder auf der Straße ist. Aber es kann nicht Aufgabe der Feuerwehr sein, diese Gaffer in den Griff zu bekommen. Wenn man als Vergleich die Rettungsgasse heranzieht, sieht man, dass die härteren Strafen was bringen. Denn es werden jetzt öfters Rettungsgassen gebildet.

 


Reinhold Gall: Bedenklicher Trend

Auch Reinhold Gall, Vorsitzender des Kreisfeuerwehrverbands Heilbronn, nimmt in einer Pressemitteilung Stellung zu den Ereignissen an Silvester. Er spricht von einem bedenklichen Trend, der darin gipfele, Polizeibeamte, Rettungsdienst und Einsatzkräfte der Feuerwehren anzugreifen, bei ihrer Arbeit zu behindern und zu verletzen. "Szenen wie zuletzt in Berlin kennen wir erfreulicherweise zumindest in der Form bei uns bislang nicht", so Gall. Aber: Die Einsatzkräfte in der Region seien damit konfrontiert, dass ihre Anweisungen missachtet, sie angepöbelt oder bedroht werden, schildert er die Erfahrungen.

"Diese gesellschaftliche Verrohung scheint sich jedoch fortzusetzen und zu verschärfen", stellt Gall fest. Der Gesetzgeber habe darauf reagiert und die Rechtsgrundlage geschaffen, Täter härter zu bestrafen. Gall begrüßt die schnelle Verurteilung eines an Silvester in Heilbronn festgenommenen Täters, der Polizisten angegriffen hatte.

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