Heilbronner Jugendamt stößt bei Betreuung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter an personelle Grenzen
In Heilbronn kommen landesweit die meisten unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten unter, bis sie auf andere Kommunen verteilt werden, sagt Sozialamtsleiter Achim Bocher. Fachkräftemangel macht der Stadt bei der Betreuung zu schaffen.

Immer mehr Minderjährige, die aus ihrem Herkunftsland flüchten, suchen in Deutschland Schutz. Rund 49 Prozent aller sogenannter Asylerstantragstellenden waren 2021 minderjährig. Darüber informiert das Bundesamt und Migration für Flüchtlinge.
Team arbeitet unter höchster Belastung
In Heilbronn befinden sich derzeit 69 sogenannte unbegleitete, minderjährige Ausländer, kurz UMA. 57 Jungen und zwölf Mädchen, informiert Sozialamtsleiter Achim Bocher. Vergangenes Jahr wurden insgesamt 44 unbegleitete Minderjährige neu aufgenommen. Im Gegensatz zum "absoluten Hochjahr" 2015 mit 80 Neuzugängen sei die derzeitige Anzahl zwar "entspannt", was das Jugendamt aber beschäftigt, sind personelle Engpässe, so Bocher. Sein Team arbeite derzeit unter höchster Belastung. "Sonst könnten wir dem Wohl der Kinder nicht nachkommen."
Auch die Freie Wohlfahrtspflege stoße mit ihren Hilfsangeboten an ihre personellen Grenzen. Schwankende Entwicklungen erschwerten es zudem Hilfsangebote verlässlich zu planen. Eine ähnliche Rückmeldung gibt es aus dem Landkreis Heilbronn, wo aktuell 118 UMAs leben. Aufgrund der Vielzahl an Fällen in kurzer Zeit stelle die Unterbringung beziehungsweise Vermittlung geeigneter Hilfen eine große Herausforderung für Jugendämter und freie Träger der Jugendhilfe dar, sagt Pressesprecherin Lea Mosthaf.
Jugendamt nimmt Geflüchtete als erstes in Obhut
Aber was passiert, wenn unbegleitete Minderjährige in Heilbronn ankommen? Zunächst nimmt das Jugendamt die Kinder und Jugendlichen in Obhut, ehe sie vorläufig in Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege untergebracht werden, erklärt der Heilbronner Sozialamtsleiter Achim Bocher. Beispielsweise betreibt Heilbronn über den Träger St. Josefpflege eine solche Inobhutnahme-Stelle.
Dort findet das sogenanntes Clearingverfahren statt. Es werden Fragen zum ausländerrechtlichen Status, Gesundheitszustand und zur psychischen Situation geklärt. Sofern der Jugendliche in Heilbronn verbleibt, wird ein gesetzlicher Vormund zugeteilt und geschaut, welche Hilfen in Frage kommen.
Mit 18 Jahren endet Jugendhilfe nicht zwangsläufig
Sind die Kinder oder Jugendlichen "psychisch stabil", kommen sie beispielsweise in einem betreuten Jugendwohnheim unter. Auch eine Unterbringung in einer Pflegefamilie oder stationären Jugendhilfewohngruppe sind möglich. Weil es in Deutschland eine Schulpflicht gibt, kommen die Kinder und Jugendlichen im weiteren Verlauf in Vorbereitungsklassen und lernen Deutsch. Im besten Fall geht es mit einer Ausbildung oder dergleichen weiter. Wird ein UMA volljährig, "heißt das nicht, dass die Jugendhilfe endet", betont Achim Bocher. Wenn der junge Mensch noch Unterstützung brauche, werde die auch weiterhin gewährleistet.
Flucht vor Krieg, Genitalverstümmelung oder Zwangsrekrutierung
Die meisten unbegleiteten Minderjährigen , die in Heilbronn leben, sind aus Syrien, Afghanistan oder Irak geflohen und kommen meist über die Balkanroute, informiert Bocher. Die Bandbreite an Gründen sei groß. Beispielsweise fliehen sie vor Krieg, Genitalverstümmelung oder weil sie zu Kindersoldaten zwangsrekrutiert würden, nennt der Sozialamtsleiter ein paar Beispiele. Die traumatischen Erlebnisse, die die jungen Menschen durchleben mussten, gehen auch den Mitarbeitern im sozialen Dienst nahe, sagt Bocher. "Schwer verdaubare Schicksalsschläge" mitzubekommen, sei leider Standard.
"Heilbronn nimmt Spitzenplatz im Land ein"
Das Landesjugendamt legt fest, wie viele unbegleitete Minderjährige den jeweiligen Kommunen zugewiesen werden, erklärt Bocher. Die entspreche aber häufig nicht dem Ort, an dem UMAs aufgegriffen werden. Zuerst müsse das jeweilige Jugendamt die Hilfe organisieren, bis eine Verteilung möglich ist. "Heilbronn nimmt hier einen Spitzenplatz im Land ein und gibt somit regelmäßig UMAs an andere Jugendämter ab." Diese kurzfristigen Aufnahmen von jungen Menschen zählt Bocher aktuell zu den größten Herausforderungen des städtischen Jugendamts.




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