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Frust über bürokratische Hürden bei privater Flüchtlingsaufnahme

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Privatleute wie Lilija Rössle aus Leingarten fühlen sich bei der Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine von den Behörden im Stich gelassen. Von einer "Odyssee an Missverständnissen" ist die Rede.

Der Großteil der Geflüchteten in der Region kommt nicht in Gebäuden der Behörden, sondern bei Privatleuten unter, die wiederum vor Bürokratiehürden stehen.
Foto: dpa
Der Großteil der Geflüchteten in der Region kommt nicht in Gebäuden der Behörden, sondern bei Privatleuten unter, die wiederum vor Bürokratiehürden stehen. Foto: dpa  Foto: Moritz Frankenberg

Vor dem Eintreffen der ersten Geflüchteten aus der Ukraine in der Region war ein vornehmlich optimistisches Echo bei Stadt, Landkreis und Kommunen zu hören. Man sei vorbereitet und könne auf Erfahrungswerte von 2015 zurückgreifen, so der Tenor. Die Realität war oftmals eine andere. Vor allem die Registrierung aufgrund bürokratischer Hürden erwies sich als schwierig. Die Stadt gibt sich aber optimistisch: Man sei überzeugt, gute Strukturen bei der Flüchtlingsaufnahme zu haben, so die Rückmeldung aus dem Rathaus.

Weniger gute Erfahrungen hat Lilija Rössle aus Leingarten gemacht. Die 49-Jährige hat für mehrere Wochen zwei Frauen und ein elfjähriges Mädchen aus der Ukraine bei sich zu Hause aufgenommen. Es sei selbstverständlich für sie und ihren Mann gewesen zu helfen. Auf zwischenmenschlicher Ebene sei es auch eine schöne Erfahrung gewesen, aber ob Rössle es wieder machen würde? „Ich weiß es nicht.“ 


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"Odyssee an Missverständnissen"

Von den Behörden hat sich die 49-Jährige allein gelassen gefühlt, wie sie sagt. Wohngeld und andere Hilfsgelder zu beantragen, sei eine „Odyssee an Missverständnissen“ gewesen. „Das Landratsamt hat mich zum Jobcenter geschickt und das Jobcenter zum Landratsamt.“ Leitfaden Parallel dazu sei Rössle „zugeschüttet“ worden mit Formularen in teils siebenfacher Ausführung mit Fragen, die „in keiner Weise“ auf Schutzsuchende aus dem Ausland angepasst waren. „Das alles hat mich viel Kraft, Nerven und Energie gekostet“, resümiert Rössle, die sich einen Leitfaden gewünscht hätte, in dem man erfährt, was Privatleute, die Flüchtlinge aufnehmen, wissen müssen. Es könne nicht sein, dass alle Verantwortung wie selbstverständlich an den Menschen hängen bleibt, die helfen wollen.

Ähnliche ging es Stimme-Redakteurin Sarah Utz, die ein Mutter-Sohn-Gespann aus Schytomyr bei sich aufnahm. „Es war sehr chaotisch. Ich musste alles selbst in die Hand nehmen“, lautet das Fazit der Heilbronnerin. Auch sie hätte sich ein Dokument gewünscht, in dem aufgelistet wird, welche Schritte wichtig sind. Nachdem sie über die Ukraine-Hotline nicht weitergekommen sei, habe sie sich alle Informationen selbst auf der städtischen Website zusammengesucht. Überfordert Nach einer „wütenden E-Mail“ ans Rathaus aufgrund wochenlanger Funkstille seitens der Stadt sei sie zurückgerufen worden. Man habe die Flüchtlinge, die bei Privatleuten wie Utz untergekommen sind, nicht mehr auf dem Radar gehabt, lautete die Rückmeldung. „Die werden alle Hände voll zu tun haben“, zeigt die Stimme-Redakteurin Verständnis. Dennoch sei es erstaunlich, auf der einen Seite Hilfsbereitschaft zu erwarten und auf der anderen Seite keine oder nur schwer zugängliche Informationen zur Verfügung zu stellen.


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„Der Einzelfall lässt sich unsererseits nur schwer beurteilen“, sagt Claudia Küpper von der Pressestelle der Stadt. Grundsätzlich sei zwischen Geflüchteten, die der Stadt Heilbronn durch das Land zugewiesen werden, und zwischen Geflüchteten, die privat anreisen, zu unterscheiden. „Im ersten Fall gibt es feste Routinen und eine sehr umfassende Begleitung der Geflüchteten.“ Für die Personen, die privat anreisen, verweist Küpper auf die Ukraine-Hotline und die städtische Website: „Insgesamt sind wir überzeugt, in Heilbronn sehr gute Strukturen zu haben, die den Geflüchteten ein schnelles Ankommen ermöglichen.“ Vom Landratsamt heißt es, dass bereits Ende 2021 „im engen Austausch mit den Städten und Gemeinden“ begonnen wurde, weitere Kapazitäten für die Unterbringung von Geflüchteten aufzubauen. „Mit dem Krieg in der Ukraine und den Folgen – der Aufnahme von mehr als 3000 Personen innerhalb von drei Monaten – hat jedoch niemand gerechnet und darauf konnte sich auch niemand vorbereiten“, sagt Pressesprecherin Tamara Waidmann.

Personalmangel und Corona-Pandemie hinterlassen Spuren

Derzeit seien 3349 Geflüchtete aus der Ukraine im Landkreis – 563 in den Unterkünften des Landkreises und 2786 Geflüchtete bei Privatpersonen – untergebracht. Man arbeite mit Hochdruck, den Geflüchteten eine sichere Unterkunft zu ermöglichen. Das Personal werde kontinuierlich aufgestockt, „jedoch spüren auch wir den Fachkräftemangel“. Und: „Man darf nicht vergessen, dass wir zwei Jahre Corona-Pandemie hinter uns haben, die alle Mitarbeitenden ebenfalls enorm gefordert hat.“


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Rechtskreiswechsel seit 1. Juni 2022

Zum 1. Juni fand für Geflüchtete aus der Ukraine der sogenannte Rechtskreiswechsel statt, der Übergang vom Asylbewerberleistungsgesetz in die Grundsicherung. Das heißt: Für geflüchtete Menschen sind künftig nicht mehr die Sozialämter, sondern die Jobcenter zuständig. "Beim Jobcenter sind bereits über 1400 Anträge eingegangen. Landratsamt und Jobcenter befinden sich in einem engen Austausch", erklärt Pressesprecherin des Landkreises, Tamara Waidmann. "Die oberste Priorität hat dabei, dass keine Leistungsstopps entstehen.

 

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