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Denkanstöße mit Stolpersteinen für die Opfer des Nazi-Terrors

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Sogenannte Stolpersteine halten vielerorts die Erinnerung an Nazi-Opfer wach, auch in Heilbronn. In einer Feierstunde würdigt der OB Mergel den Einsatz Ehrenamtlicher. Es gab auch warnende und lehrreiche Worte.

Der Aktionskünstler Gunter Demnig hat in Heilbronn schon 210 Stolpersteine verlegt, hier im Jahre 2018 für Familie Wollenberger in der Wollhausstraße 46. Das Projekt wird von der Stadt, von Bürgern und von Schulklassen unterstützt.
Foto: Archiv/Berger
Der Aktionskünstler Gunter Demnig hat in Heilbronn schon 210 Stolpersteine verlegt, hier im Jahre 2018 für Familie Wollenberger in der Wollhausstraße 46. Das Projekt wird von der Stadt, von Bürgern und von Schulklassen unterstützt. Foto: Archiv/Berger  Foto: Berger

Eigentlich dachte Richard Mössinger immer, "wir leben in einer gefestigten Demokratie. Aber wie wir heute sehen, ist das nicht mehr so sicher." Demokratie sei kein Selbstläufer, betont der Theologe, man müsse etwas dafür tun, so wie zum Beispiel die Ehrenamtlichen, vornehmlich Schüler und Lehrer, die das Projekt Stolpersteine mittragen. Sie arbeiten die Schicksale von NS-Opfern auf. Daraus resultieren tatsächlich Pflastersteine, die der Künstler Gunter Demnig vor deren ehemalige Wohnhäuser in den Gehweg einbaut. Darüber hinaus gibt es Paten, die die Messingplatten mit den Lebensdaten sauber halten.


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Über 1000 Jahre jüdisches Leben

Auf Initiative von Mössinger, der die Stolperstein-Aktion über einen Runden Tisch in der Nachfolge seines Kollegen Günther Spengler koordiniert, waren die Unterstützer diese Woche ins Rathaus eingeladen. Christhard Schrenk, dessen Stadtarchiv die Aktion unterstützt, sprach in der Feststunde über 1000 Jahre jüdisches Leben in Heilbronn, speziell über die jüngere Geschichte seit Mitte des 19. Jahrhunderts, die Nazi-Jahre und die Zeit danach.

Mergel: Sie geben NS-Opfern ein Gesicht

Zuvor würdigte Oberbürgermeister Harry Mergel die von Demnig bundesweit initiierte und in Heilbronn vom Dammrealschullehrer Joachim Wedel auf den Weg gebrachte Aktion. Die heute 210 Steine, zu denen am 29. Juni weitere hinzukommen werden, seien seit 2009 zum wichtigen Bestandteil der Heilbronner Gedenkkultur geworden. "Sie geben den NS-Opfern gleichsam ein Gesicht."


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Prachtvolle Synagoge an der Allee

Wie sehr jüdische Mitbürger um die Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert das öffentliche Leben der Stadt mitgestalteten, aber auch wie sie wegen ihres Glaubens von jeher unter Anfeindungen zu leiden hatten, das zeigte Archivdirektor Schrenk in prägnanten Worten und eindrucksvollen Bildern auf. Nachdem es seit dem Mittelalter immer wieder zu Pogromen gekommen war, habe sich der erste neuzeitliche Jude, Isidor Veit aus Sontheim, erst 1831 in der Stadt angesiedelt. Bis 1877 sei die Gemeinde auf 800 Gläubige gewachsen, weshalb man an der Allee eine Synagoge plante, wobei der prachtvolle Bau zur Abspaltung von 80 Orthodoxen geführt habe.

Mitgestalter der Stadt im Aufbruch

Gleichzeitig hätten viele Juden mit ihren Firmen, wie etwa Hammer, Kahn, Landauer, aber auch viele Ärzte, Juristen und Kreative die Stadt im Aufbruch mitgeprägt. "Sie waren auffallend aktiv, auch in Vereinen", sagte Schrenk. Doch mit der Machtübernahme Hitlers 1933 sollte sich alles "radikal ändern". Obwohl die NSDAP in Heilbronn bei demokratischen Wahlen nie eine Mehrheit erreicht habe, übernahm sie mit Heinrich Gültig und Hugo Kölle die Rathausspitze, dominierte den Rat - und die Straße. Bei der Judenverfolgung seien die Heilbronner unter dem brutalen Kreisleiter Richard Drauz "mit besonderem Eifer" vorgegangen, nicht erst in der Reichspogromnacht 1938, die hier nicht am 9. , sondern erst am 10. November über die Bühne ging: mit dem Brandanschlag auf die Synagoge und mit der Demolierung von Wohnungen und Geschäften.


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"Die organisierte Hölle"

Schikane aller Art seien bald Enteignungen gefolgt. Man habe sich einfach beim Nachbar bedient, "ein dunkles Kapitel", so Schrenk, das kaum aufgearbeitet sei. 1941 folgte die "organisierte Hölle". 244 Heilbronner mit gelbem Judenstern seien vom Wollhausplatz aus in KZs deportiert worden, zehn überlebten.

Archivchef spricht von Sternstunde

Nach dem Zweiten Weltkrieg sei kaum jemand zurückgekommen. OB Paul Meyle und später Manfred Weinmann hätten sich um Versöhnung bemüht, Begegnungen organisiert, Friedhöfe saniert, den Synagogenstein in der Allee installiert. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs seien aus der Ex-Sowjetunion in den 1990ern vermehrt Juden in die Stadt übersiedelt. Bis zu 150 bildeten mit Avital Toren als Schlüsselfigur eine Filialgemeinde. Dass das Judentum nach all dem wieder Teil der Stadtgesellschaft ist, gehört für Schrenk zu den "Sternstunden der Heilbronner Vergangenheit und Gegenwart".

Bedeutung der Stolpersteine

Der Künstler Gunter Demnig erinnert seit 1996 mit seinen Stolpersteinen an Opfer der Nazizeit: vor allem Juden, aber auch politisch Verfolgte, Homosexuelle, Behinderte. "In einer Zeit der Kurzlebigkeit" wolle er in aller Öffentlichkeit Denkanstöße geben. Vielerorts beteiligen sich Gruppen an der Aufarbeitung der Opfer-Biografien. Die Heilbronner Stolperstein-Initiative, die seit 2009 mit Schülern, Lehrern sowie anderen Bürgern und dem Stadtarchiv 210 solcher Steine projektiert hat, wird am 29. Juni 2023 weitere verlegen. Sie werden über Patenschaften mit je 120 Euro pro Stück finanziert. Zudem gibt es in Heilbronn auch Paten, die die Messingplatten auf den Pflastersteinen putzen. Lagepläne und Detailinfos mit Namen und Daten gibt es in einem Flyer und noch ausführlicher online über stolpersteine-heilbronn.de.

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