Das Gewehr auf dem Küchentisch
Eine damals 13-Jährige erlebte in den ersten Apriltagen 1945 das Kriegsende bei der Oma in Frankenbach. Ihre Erinnerungen zum Kriegsende 1945 hat Elke Eisenmenger für die Stimme aufgeschrieben.
In Großmutters Häuschen in Frankenbach erlebte ich den Einmarsch der Sieger und damit den Zusammenbruch des Hitler-Reiches. Es war Nacht. Ein unheimliches Brummen und eine große Spannung lagen in der Luft. Das Brummen kam von den anrollenden Panzern, und die Spannung von der Angst. Wer würde kommen?

Wir hatten schreckliche Gerüchte gehört über den Einzug der Truppen. Welche Soldaten würden in unser Dorf kommen, Amerikaner, Franzosen, Marokkaner oder Schwarze? Besonders vor den Farbigen hatte ich wahnsinnige Angst. Ich hatte niemals vorher einen dunkelhäutigen Menschen gesehen.
Panzer auf der Dorfstraße
Das Rattern wurde stärker, und die Fensterscheiben klirrten. Riesige Panzer kamen mit Getöse die Dorfstraße herauf und hielten, weil hier der Weg endete, direkt vor unserem kleinen Haus. Meine Großmutter saß zitternd und jammernd in einer Küchenecke, und ich hatte mich hinter der Türe versteckt. Meine Mutter lag nach einem schweren Unfall im Krankenhaus in Weinsberg. Ich hielt den Atem an, denn die Haustüre wurde aufgestoßen und lange Soldaten mit vorgehaltenen Maschinengewehren drängten sich durch den engen Hausflur in unsere Küche. Was würde geschehen?
Die Soldaten husteten und fluchten
Nun zunächst geschah etwas Merkwürdiges: Die "Amis" beachteten uns gar nicht, sondern richteten ihre ganze Aufmerksamkeit auf den schwarzen Kohleherd und das Schüsselbrett. Ein Soldat legte sein Maschinengewehr auf den Küchentisch und beugte sich über den Herd. Er versuchte, Feuer zu machen. Ein amerikanischer Soldat hat sicher gute Kenntnisse im Umgang mit Maschinenpistolen und anderen Waffen, aber von einem tückischen, schwäbischen Kohleherd hatte er keine Ahnung. Bald begann es aus allen Fugen und Ritzen des Herdes zu qualmen, und die Soldaten husteten und fluchten.
Augenzeuginnen berichten
Elke Eisenmengers Bericht ist dem Buch "Heimatfront" entnommen, in dem Frauen ihre Erinnerungen an das Ende des Zweiten Weltkriegs schildern. Es ist auch auf Englisch erschienen (unter dem Titel: Surviving the fire).

Plötzlich riss ein Amerikaner sein Gewehr hoch und richtete es auf meine Großmutter. Sie erhob sich zitternd und totenblass und nahm die Arme hoch. Der Soldat schubste sie zum Herd. Erleichtert begriffen wir, dass der baumlange Kerl die kleine Frau nicht erschießen wollte, sondern dass er vielmehr dringend ihre Hilfe brauchte.
Großmutter trat in Aktion und machte mit einem Küchenmesser Holzspächtele und bald begann es im Herd zu prasseln und zu knistern. Ein Soldat suchte die größte Pfanne heraus und brutzelte darin Corned Beef. Ein wunderbarer Duft von gebratenem Fleisch durchzog die Küche, und die Spannung löste sich.
Im Geiste Hitlers erzogen
Unsere Feinde waren also auch Menschen wie wir, die Hunger hatten. Sie boten uns von dem Essen an, aber standhaft lehnten wir ab. Ich, ein deutsches Mädchen im Geiste Hitlers zur Vaterlandstreue schon von Kindheit an erzogen, würde doch von unseren Feinden keinen Bissen annehmen! Mein Magen knurrte, aber ich kam mir vor wie eine Heldin.
Meine Großmutter lehnte das verlockende Angebot ebenfalls ab, aber aus einem anderen Grund. Sie hatte Angst, vergiftet zu werden, wie sie mir später gestand. Das Komische dieser Situation wurde mir eigentlich erst nach Jahren bewusst.
Die Panzersoldaten zogen nach dieser Pause bald wieder ab, und wir waren sehr erleichtert. Leider benahmen sich die nachfolgenden Truppen nicht so harmlos. Die Häuser wurden durchsucht, auch bei uns, und man vermisste hinterher manch wertvollen Gegenstand. Aber das war für uns nicht wichtig. Wichtig war nur: Der Krieg war zu Ende. Wir konnten aufatmen.
Über die Autorin Elke Eisenmenger
Die heute 88-jährige Elke Eisenmenger wuchs in Hamburg auf. Sie erlebte dort die ersten Fliegerangriffe, in den Ferien, denn die Familie war schon 1938 nach Dortmund gezogen, "wo bald alles noch schlimmer kam". 1943 wurde sie wie viele andere Kinder auf die Insel Frauenchiemsee evakuiert. Während der Vater im Krieg war, wollte die Mutter zurück in die Hansestadt. Doch ein Soldat am Dortmunder Bahnhof warnte sie, "da ist die Hölle los", weshalb sie sich spontan entschloss, den Zug nach Süden zu nehmen, um bei ihrer Mutter in Frankenbach Schutz zu suchen. Bald kam die kleine Elke nach und erlebte bei der Oma in deren Häuschen an der Oststraße, der heutigen Kaiserslauterner Straße, "eine schöne Zeit". Täglich fuhr sie mit dem Fahrrad zur damaligen Mädchenrealschule am Hafenmarkt.
Den 4. Dezember 1944 überlebte sie, weil die Lehrerin die Schülerinnen beim ersten Fliegeralarm nach Hause schickte und nicht wie befohlen in einen nahen Luftschutzkeller, in dem im Feuersturm 600 Menschen den Tod fanden. In Frankenbach erlebte die damals 13-Jährige im April 1945 den Vormarsch der US-Army. Ihre Erinnerungen flossen mit anderen Zeitzeugenberichten von Frauen in den Sammelband "Heimatfront" ein.
1947 stieß sie als Büromitarbeiterin zur Heilbronner Stimme und lernte dort ihren späteren Mann Hermann Eisenmenger kennen. Der legendäre Stimme-Fotograf hatte nach seiner Rückkehr aus dem Krieg die Ruinenstadt mit der Kamera festgehalten. Die meisten Fotos sind noch nicht veröffentlicht, aber im Stadtarchiv und bei der Stimme einsehbar. Das Ehepaar zog drei Kinder groß. Elke Eisenmenger lebt "wohlauf", so sagt sie, bis heute in Heilbronn.
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