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Neckarsulm/Heilbronn
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Neues zur Bluthochzeit der Nazis in Neckarsulm

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Der Chef des Stadtarchivs Heilbronn hat in US-Archiven neue Erkenntnisse zur sogenannten "Bluthochzeit" von Neckarsulm gewonnen. Am 21. März 1945 ermordeten Nazis vier US-Soldaten, kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Am 21. März 1945 wurden vor dem Gasthaus Post an der Neckarstraße/Urbanstraße unweit des Deutschordensschlosses vier gefangene Amerikaner von NSDAP-Funktionären kaltblütig ermordet.
Foto: Stadtarchiv Neckarsulm, Sammlung Theobald Ehehalt
Am 21. März 1945 wurden vor dem Gasthaus Post an der Neckarstraße/Urbanstraße unweit des Deutschordensschlosses vier gefangene Amerikaner von NSDAP-Funktionären kaltblütig ermordet. Foto: Stadtarchiv Neckarsulm, Sammlung Theobald Ehehalt  Foto: privat

Wenige Tage bevor amerikanische Truppen nach erbitterten Kämpfen Heilbronn und sein Umland vom Terror des Hitler-Regimes befreiten und den Krieg beendeten, ermordeten am 21. März 1945 Nazis in Neckarsulm vier gefangene US-Soldaten. Das Verbrechen ging als "Bluthochzeit" in die Geschichte ein. Doch in den Augenzeugenberichten der Einheimischen blieb manches unklar. Nach Recherchen in den USA hat der Direktor des Stadtarchivs Heilbronn, Professor Christhard Schrenk, neue Erkenntnisse gewonnen, vor allem was Abläufe und die Rolle des NSDAP-Kreisleiters Richard Drauz betrifft. Der für seine Brutalität bekannte Unterländer war nicht wegen seiner vielen anderen Verbrechen zum Tode verurteilt worden, sondern allein wegen der Ermordung eines Amerikaners.

Akten des Fliegermordprozesses in US-Archiven

Nach intensivem Studium der in Washington archivierten Dachauer Fliegermordprozess-Urteile stellt Schrenk fest: "Das Mordgeschehen hat mit einem eventuellen Hochzeitsfest nichts zu tun. Und: Dass Drauz damals in Neckarsulm dabei war, ist Legende. Das soll ihn aber keinesfalls reinwaschen. Im Gegenteil: Alles war noch viel grausamer, als man schon wusste."

Racheakt für Bombenangriff

Tatsache ist: Am 21. März 1945 sollen drei deutsche Wachhabende sechs amerikanische Gefangene zum Neckarsulmer Bahnhof bringen, um sie mit dem Zug in Richtung Frankfurt zu "verschicken". Als die beiden Neckarsulmer Ortsgruppenleiter Heinz Endreß und Clemens Funder von den Gefangenen erfahren, überfallen sie den Transport. Die deutschen Wachen stellen sich zunächst dagegen. "Aber die Amis haben am 1. März mein Haus zerbombt und meine Frau getötet", schreit Endreß und schießt wild drauf los. Vier der sechs US-Soldaten sterben, zwei werden in die Kaserne an der Binswanger Straße gesteckt, wo Endreß dem Kommandanten Karl Otto sowie am Telefon auch Drauz von seinem Rachefeldzug berichtet.

Auf dem Weg zum Larazett erschossen

Am 1. März 1945 wurde Neckarsulm von amerikanischen Fliegerbomben zerstört. 128 Menschen starben. Die "Bluthochzeit" war ein Racheakt.
Foto: Stadtarchiv Neckarsulm
Am 1. März 1945 wurde Neckarsulm von amerikanischen Fliegerbomben zerstört. 128 Menschen starben. Die "Bluthochzeit" war ein Racheakt. Foto: Stadtarchiv Neckarsulm

Als die beiden US-Soldaten tags darauf um 5 Uhr zum Bahnhof gebracht werden sollen, überfallen Endreß und Funder den Transport und verletzen einen schwer. Dem anderen gelingt die Flucht. Der Verletzte wird zurück in die Kaserne gebracht, wo ihn der Arzt Fritz Kasche operieren will, "sonst stirbt er". Otto verweigert mit Hinweis auf Drauz jede medizinische Hilfeleistung. Der Arzt fährt daraufhin nach Heilbronn und stellt sich gegen Drauz. Der sagt sinngemäß: "Gib ihm was zu trinken, dann Gift." Endreß bietet an, ihn einfach zu erschließen, doch Otto ist dagegen. Dr. Kasche erwirkt schließlich, dass der US-Soldat ins Lazarett gebracht wird. Dort kommt er tot an - mit zusätzlichen Schusswunden.

In einem Wäldchen bei Dürrenzimmern

Einen Tag später, am Abend des 23. März, bekommt die Gestapo in Heilbronn einen Anruf aus dem Brackenheimer Rathaus, man habe einen US-Soldaten aufgegriffen. Das muss der Geflüchtete sein, sagt sich Drauz. Mit Endreß und Otto sowie drei weiteren Begleitern macht er sich am 24. März per Pkw Richtung Brackenheim auf, steigt aber schon in Dürrenzimmern aus, weil er in Brackenheim kein Aufsehen erregen will. Die restlichen Drei aus dem Trupp holen den Gefangenen in Brackenheim ab, bringen ihn in Handschellen zum vereinbarten Treffpunkt, ein Wäldchen bei Dürrenzimmern. Mit mindestens zwei Kopfschüssen wird er ermordet.

Urteil: Tod durch den Strang

Kreisleiter Richard Drauz galt als besonders brutal.
Foto: Stadtarchiv Heilbronn
Kreisleiter Richard Drauz galt als besonders brutal. Foto: Stadtarchiv Heilbronn  Foto: privat

Obwohl man laut Gerichtsakten nicht genau weiß, wer geschossen hat, wird Drauz für genau diesen Mord verantwortlich gemacht: weil er das Mordkommando anführte. Drauz versucht vergeblich, die Tat einem bereits im Juni 1945 gestorbenen Begleiter in die Schuhe zu schieben. Am 4. Dezember 1946, genau zwei Jahre nach der Bombardierung Heilbronns, wird er gehenkt. Das Urteil gegen Endreß wird von "Tod durch Enthauptung" in "Tod durch den Strang" umgewandelt. Otto kommt mit fünf Jahren Haft davon - wegen unterlassener Hilfeleistung.

 
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