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Heilbronn
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Die Schlacht in der Ruinenstadt Heilbronn dauerte fast zwei Wochen

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An Ostern 1945 liegt Heilbronn in Schutt und Asche. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs tobt in der Ruinenstadt ein erbitterter, finaler Häuserkampf. In dieser Chronologie zeigen wir, was vor 75 Jahren geschah.

Oft werden dieser Tage Vergleiche zwischen Corona-Krise und Zweitem Weltkrieg bemüht. Doch sie hinken gewaltig. Dies zeigt ein Blick auf Heilbronn. Die Altstadt liegt seit dem Bombenangriff vom 4. Dezember 1944 in Schutt und Asche. Bis ins Frühjahr hinein wird die Geisterstadt weiter bombardiert. An Ostern 1945 beginnt ein erbitterter Häuserkampf. Er geht in die Historie als "Die Schlacht um Heilbronn " ein.

Das öffentliche Leben liegt am Boden. Wasser, Gas, Strom, Telefon - so gut wie nichts funktioniert mehr. Von vormals 14.500 Gebäuden im Stadtgebiet sind 5.100 vollständig zerstört, 3.800 schwer beschädigt. Von 77.569 Einwohnern (1939) leben noch 33.000 hier; über 6.500 kamen am 4. Dezember 1944 ums Leben, andere im Krieg, in Gefangenschaft, in den Konzentrationslagern der Nazis. Manchen gelang die Flucht ins Ausland. In der Kernstadt halten sich im April nur noch 7.000 Menschen auf. Die meisten hausen in Baracken und Kellern.

 

Der "Endkampf" dauert fast zwei Wochen. 212 deutsche Soldaten, 60 amerikanische und 64 Zivilisten sterben, 1.769 deutsche Kämpfer werden gefangen genommen. Mit der Eroberung Sontheims am 13. April ist der Zweite Weltkrieg in der Stadt de facto zu Ende, in Deutschland erst am 8. Mai: mit der Kapitulation der Wehrmacht.

In Band V der "Chronik der Stadt Heilbronn 1933- 1945 ", den das Stadtarchiv erst 2004 veröffentlicht hat, sind die Ereignisse Tag für Tag dokumentiert. Die Einträge lesen sich wie das Drehbuch eines Krimis. Wir geben sie gekürzt, redigiert und leicht ergänzt wieder.

 

 

Ende März 1945


"Verbrannte Erde" für die Amerikaner

6.April 1945: Der Wegweiser zeigt den amerikanischen Soldaten die Marschroute nach Heilbronn.
6.April 1945: Der Wegweiser zeigt den amerikanischen Soldaten die Marschroute nach Heilbronn.  Foto: Rudolf Landauer

 

Ein Strom von Flüchtlingen passiert Heilbronn, vornehmlich Menschen aus Mannheim und Ludwigshafen, also aus Städten, die die US-Army schon eingenommen hat. Die Front rückt schnell näher. In Neckargartach wird der Volkssturm mobilisiert, am Ortseingang sollen Panzersperren aufgestellt werden. NSDAP-Kreisleiter Richard Drauz will die Bevölkerung evakuieren und den Amerikanern nur "verbrannte Erde" hinterlassen.

Das heißt: Brücken, Kanal- und Industrieanlagen sowie Vorratslager sollen gesprengt werden, wer sich widersetzt, soll erschossen werden. Oberbürgermeister Heinrich Gültig ordnet an, dass im Rathaus über Ostern normal gearbeitet wird. Vor Banken und Lebensmittelgeschäften bilden sich lange Schlangen. Die Bevölkerung macht die letzten "Marsch-Vorratskäufe".

 

28. März 1945


KZ Neckargartach wird geräumt

28. März: Das KZ Neckargartach - hier starben in sieben Monaten 295 Menschen - wird geräumt, die Häftlinge werden nach Dachau verlegt, wer noch kann, muss laufen, andere werden auf Züge verfrachtet oder getötet. 

 

29. März


Gründonnerstag

Über Weinsberger Straße, Oststraße und Sattel rollen deutsche Panzer und Geschütze nach Osten. Abends wird begonnen, Brücken und Schiffe mit Sprengladungen zu versehen. Die Nazi-Zeitung "Heilbronner Tagblatt" erscheint zum letzten Mal.

 

30. März


Karfreitag

Im Keller der Friedenskirche feiern Gläubige das Abendmahl: mit Wein und Brot, Hostien gibt es nicht mehr. Heilbronn wird zur Festung erklärt. Drauz ordnet die Räumung der Stadt an.

 

31. März


Karsamstag

Fast den ganzen Tag über heulen Sirenen. Jagdflieger werfen vor allem am Bahnhof Bomben ab und schießen auf alles, was sich bewegt. Ein Flugblatt mit dem Titel "Tod allen Schädlingen" droht Spionen und "ängstlichen Volksgenossen".

 

1. April


Ostersonntag

Jagdbomber greifen von 9.19 bis 11.56 Uhr ununterbrochen an. Deutsche Truppen bewegen sich in und um die Stadt. Der OB stellt die "Kampfgruppe Gültig" auf, sie ist einem Ersatzregiment der Wehrmacht unterstellt.

 

2. April


Ostermontag

Fliegeralarm! Im Frühjahr 1945 gehörte das zum Alltag. Hier eilen die Menschen zu einem Luftschutzkeller in Neckargartach.
Foto: Stadtarchiv/Kurz
Fliegeralarm! Im Frühjahr 1945 gehörte das zum Alltag. Hier eilen die Menschen zu einem Luftschutzkeller in Neckargartach. Foto: Stadtarchiv/Kurz

Panzer der US-Army erreichen Neckargartach, zwölf Häuser werden zerstört oder beschädigt, elf deutsche Soldaten bei einem Schusswechsel getötet. SS-Männer versuchen, den Altböllinger Hof zu halten. Um 16.30 Uhr werden Teile von Böckingen von der Army besetzt. Ab 18 Uhr beschießt die Artillerie die Kernstadt, um 19 Uhr werden die Bahnhöfe geschlossen. Zwischen 20 und 21 Uhr ziehen sich die deutschen Truppen vom westlichen aufs östliche Neckarufer zurück.

Viele Heilbronner sind in den Stadtwald geflüchtet, auf den Gaffenberg, andere in Luftschutzkeller oder in den Bahntunnel. Etliche fliehen mit Leiterwägelchen Richtung Löwensteiner Berge, kehren aber postwendend um: wegen deutscher Militäreinheiten, die ein Verkehrschaos auslösen.

 

3. April


Zerstörung des Kanalhafens verhindert

Frühmorgens werden alle noch intakten Neckarübergänge von den Nazis gesprengt. Hafendirektor Georg Vogel kann die Zerstörung des Kanalhafens verhindern. Im Laufe des Vormittags besetzt die Army Böckingen und Neckargartach, wo sich alle kampflos ergeben. Anders in der Kernstadt. Am Abend kommt es bis Mitternacht zu Artillerie-Duellen, wobei die US-Army eindeutig in der Übermacht ist. Drauz lässt in Sontheim den Stellvertretenden Ortsgruppenleiter Karl Taubenberger erschießen, weil er nicht verhindert hat, dass eine Panzersperre abgebaut wird.

 

4. April


Kampf um das Salzbergwerk

In Sturmbooten überquert eine US-Einheit bei Neckargartach den Fluss hinüber ins Heilbronner Industriegebiet. Um das Salzwerk tobt ab 4. April
eine erbitterte Schlacht.
In Sturmbooten überquert eine US-Einheit bei Neckargartach den Fluss hinüber ins Heilbronner Industriegebiet. Um das Salzwerk tobt ab 4. April eine erbitterte Schlacht.  Foto: Archiv/US Army

Die letzten deutschen Soldaten setzen ans innerstädtische Ufer des Altneckars über. Die Army stößt zur Bahnhofstraße vor, zieht sich aber wieder zurück und setzt später mit 14 Sturmbooten in Neckargartach ins Industriegebiet über. Das Kraftwerk wird besetzt. Der Kampf ums Salzbergwerk beginnt. Der Bau einer Pionierbrücke bei Neckargartach scheitert, am Wartberg fällt ein US-Spähtrupp den Deutschen in die Hände.

 

5. April


Salzbergwerk besetzt

Nach zweitägigen Kämpfen besetzt die US-Army das Salzbergwerk.

 

6. April 


Kampf um Heilbronner Kernstadt

US-Soldaten in einem Boot am Altneckar vor der zerstörten Götzenturmbrücke, im Hintergrund die Obere Neckarstraße und der Kiliansturm.
US-Soldaten in einem Boot am Altneckar vor der zerstörten Götzenturmbrücke, im Hintergrund die Obere Neckarstraße und der Kiliansturm.  Foto: Jacobi

Die US-Army überquert am Götzenturm den Altneckar und besetzt die Cluss-Brauerei. Der Kampf um die Kernstadt beginnt. Drauz lässt Hakenkreuzfahnen und Akten verbrennen. Über die Schweinsbergstraße tritt er die Flucht an und entdeckt weiße Tücher, die Anwohner auf Anraten fliehender Soldaten als Friedenszeichen gehisst haben.

Drauz lässt die Häuser stürmen und wahllos losfeuern. Dabei sterben OB-Stellvertreter Karl Kübler, seine Ehefrau Anna, sein Schwager Pfarrer Gustav Beyer und Elsa Drebinger. Andere stellen sich tot und überleben.

 

7. April 


Knorr und die Zuckerfabrik besetzt

Die Amerikaner besetzen Knorr und die Zuckerfabrik in der Südstadt. Die deutsche Gegenwehr lässt nach.

 

8. April 


Scharfschützen auf dem Kiliansturm

Das Büro des Gaswerks wird in Brand geschossen, Rohrnetzpläne für Gas und Wasser verbrennen. US-Panzer donnern über die Kaiserstraße. Auf dem Kiliansturm lauern kanadische Scharfschützen.

 

10. April


Drei Viertel in der Hand der Amerikaner

Amerikanische Soldaten in der Ruinenstadt Heilbronn: Der ehemalige Stimme-Redakteur Uwe Jacobi sagt, das Foto sei für einen US-Kriegsberichterstatter als dramatische Illustration gestellt worden. Stadtarchiv-Direktor Christhard Schrenk hat es jetzt auch in einem US-Archiv entdeckt. Fotos: Archiv/Jacobi
Amerikanische Soldaten in der Ruinenstadt Heilbronn: Der ehemalige Stimme-Redakteur Uwe Jacobi sagt, das Foto sei für einen US-Kriegsberichterstatter als dramatische Illustration gestellt worden. Stadtarchiv-Direktor Christhard Schrenk hat es jetzt auch in einem US-Archiv entdeckt. Fotos: Archiv/Jacobi  Foto: Jacobi

Die Amerikaner haben rund drei Viertel der Innenstadt in ihrer Hand.

 

12. April 


Besitz über Heilbronn

Trümmer eines zerstörten deutschen Panzers an der Stuttgarter Straße unterhalb der Fleiner Höhe im Bereich des heutigen Schwabenhofs.
Trümmer eines zerstörten deutschen Panzers an der Stuttgarter Straße unterhalb der Fleiner Höhe im Bereich des heutigen Schwabenhofs.  Foto: Jacobi

Die Army erobert die Kasernen auf der Fleiner Höhe. Letzte deutsche Spezialtrupps verlassen die Stadt. US-Major Harry M. Montgomery ergreift mit seiner Verwaltungsgruppe offiziell Besitz von der Stadt.

 

 

13. April


Flaggen der Befreier

Noch vor dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai wird in Heilbronn Vorkriegs-OB Emil Beutinger wieder ins Amt eingesetzt.
Noch vor dem offiziellen Ende des Zweiten Weltkriegs am 8. Mai wird in Heilbronn Vorkriegs-OB Emil Beutinger wieder ins Amt eingesetzt.

Sontheim wird eingenommen, Panzer erreichen die Oststadt. Bewohnbare Häuser werden von der Army in Beschlag genommen. Um 17 Uhr wird Vorkriegs-OB Emil Beutinger als OB und Polizeidirektor eingesetzt. Provisorisches Rathaus wird ein Privathaus an der Prager Straße 60, der heutigen Cäcilienstraße. An dem Gebäude wehen Flaggen der USA, Englands und Frankreichs, also der Befreier.


Historische Aufnahmen der zerstörten Stadt zeigt das Stimme-Archiv in diesen Bildergalerien:


 


 

 


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