Stimme+
Heilbronn
Hinzugefügt. Zur Merkliste Lesezeichen setzen

Cleverländ-Kampagne erntet auch in der Region Kritik

   | 
Lesezeit  3 Min
Erfolgreich kopiert!

Die Energiesparkampagne des Landes bleibt umstritten: Sozialverbände halten mehr Hilfen für arme Menschen für nötiger als banale Spartipps.

Sportlich sein und Energie sparen: Beim Besuch der Cleverländ Kampagne strampelten Besucher unter anderem für den Akku des Handys.
Sportlich sein und Energie sparen: Beim Besuch der Cleverländ Kampagne strampelten Besucher unter anderem für den Akku des Handys.  Foto: Seidel, Ralf

Um die Frage: Waschlappen statt Dusche, Ja oder Nein? wie es Ministerpräsident Winfried Kretschmann unlängst vorgeschlagen hatte, geht es nicht an diesem Tag auf dem Kiliansplatz. Die Cleverländ-Kampagne des Landes Baden-Württemberg macht Station in Heilbronn und will Bürger übers Energiesparen aufklären.

Doch weder Friedrich Lechner aus Siegelsbach noch Friedrich Bothner aus Leingarten brauchen Tipps, wie sie Wasser kochen. Während Lechner dringend auf den Heizungsbauer wartet, der seine Ölheizung auf Wärmepumpe umstellt, hat Bothner das alles schon hinter sich und kann seinen Kilowattverbrauch sogar auf dem Handy abrufen. "48 Prozent selbst erzeugter Strom mit Photovoltaik auf dem Dach", sagt er stolz und zeigt sein Display.


Mehr zum Thema

Die Beleuchtung am Rathaus Heilbronn könnte künftig nachts abgeschaltet werden.
Foto: Archiv/Mugler
Heilbronn
Lesezeichen setzen

Energiekrise: Gemeinderat Heilbronn entscheidet über schmerzhafte Einschnitte


In Heilbronn informieren sich viele Hausbesitzer

Es sind fast ausschließlich Immobilienbesitzer, die sich an diesem Morgen informieren. Bei den einen geht es um eine Umstellung, bei den anderen darum, welchen Gasabschlag sie ansetzen sollen, wenn ein neuer Mieter in ihre Wohnung einzieht.

Eine zufällige Momentaufnahme oder ein Hinweis darauf, wen die Kampagne anspricht? Schon vor der Stippvisite in Heilbronn hatte Cleverländ für Unmut bei Sozialverbänden in Baden-Württemberg gesorgt. Auch für die Wohlfahrtsverbände in der Region geht die Offensive teils am Problem vorbei.

Externer Inhalt

Dieser externe Inhalt wird von einem Drittanbieter bereit gestellt. Aufgrund einer möglichen Datenübermittlung wird dieser Inhalt nicht dargestellt. Mehr Informationen finden Sie hierzu in der Datenschutzerklärung.

Einstellungen anpassen

Finkbeiner: Arme Menschen befinden sich in einer anderen Lebenswelt

"Für die Mittel- und Oberschicht sind das sicherlich sinnvolle und interessante Ratschläge", sagt Hannes Finkbeiner, Geschäftsführer der Aufbaugilde. Vor allem für Menschen, die in Eigenheimen lebten.

Viele der Menschen in Mietwohnungen und mit prekärem Einkommen und in prekären Wohnverhältnissen hätten keinerlei Möglichkeit, Eingriffe in ihren Wohnverhältnissen vorzunehmen, neue Heizungen oder Dämmungen zu installieren. Neuanschaffungen seien teils gar nicht mehr zu leisten. "Das fängt bei der Glühbirne an und endet bei der Waschmaschine."


Mehr zum Thema

Winfried Kretschmann spricht zum Auftakt der landesweiten Energiesparkampagne "Cleverländ".
Stimme+
Meinung
Lesezeichen setzen

Die Energiesparkampagne ist nicht so schlecht wie ihr Ruf


Auch Energiesparen gestalte sich schwierig, weil viele in schlecht isolierten Einfachstunterkünften lebten. Die Frage, die sich ihnen stelle, sei: Muss ich etwas essen, oder will ich es warm haben? Finkbeiner: "Die Menschen befinden sich in einer ganz anderen Lebenswelt."

Kampagne, die auf Transferleistungen hinweist, wäre aus Sicht der Aufbaugilde sinnvoll

Was ihm Sorge bereitet: 60 Prozent der berechtigten älteren Bürger machten ihre Ansprüche auf Sozialhilfe nicht geltend. Deshalb plädiert er für eine Kampagne, die offensiv auf Transferleistungen hinweist, ein ehrenamtliches Lotsensystem etabliert und die Antragsverfahren erleichtert.

Ins selbe Horn stößt Karl Friedrich Bretz, Geschäftsführer des Diakonisches Werk, Stadt- und Landkreis Heilbronn. Viele Menschen müssen erst erfahren, dass es Unterstützungsmöglichkeiten gibt, wenn sie sie vorher nie in Anspruch nehmen mussten. Bretz: "Darauf weise ich gerne und an jeder passenden und unpassenden Stelle hin."

Dass die existenziellen Nöte vieler Menschen, die die Awo begleitet, sehr hoch sind, bestätigt Geschäftsführer Stratos Goutisidis. "Die Menschen haben wirklich Angst, sie sparen sowieso schon. Sie nutzen keine Trockner, Geschirrspüler und haben auch keine Wohnungen, in denen sie manche Zimmer heizen und manche nicht," sagt er bezugnehmend auf den Tipp des Kampagnen-Energiesparbuchs, die Tiefkühltruhe in einem kalten Raum aufzustellen. Die Kampagne sei zwar eine gute Idee, aber er hoffe, "dass es noch mehr Tipps gibt, die auch für unsere Menschen neu sind".

Awo fordert die Einberufung eines Sozialgipfels

Dringend müsse eine Landesstrategie erarbeitet werden, um das Armutsrisiko für ganze Bevölkerungsschichten zu senken. Deshalb fordere die Awo die sofortige Einberufung eines Sozialgipfels.

Auch Götz Zipser, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Heilbronn, ist es wichtig, dass einkommensschwache Bevölkerungsgruppen nicht unter den Tisch fallen. "Denen, die wenig haben, muss man das Sparen nicht erklären." Dass arme Menschen gefördert würden, um etwa energieeffiziente Kühlschränke anzuschaffen, "das wäre aus meiner Sicht sozial- und energiepolitisch sinnvoll".

Caritas findet den Rahmen grundsätzlich sinnvoll

Eine moderate Position nimmt dagegen die Caritas ein: "Der Rahmen ist grundsätzlich richtig, und auch wenn man über den ein oder anderen Tipp schmunzeln muss. Vieles macht Sinn", sagt Stefan Schneider, Sprecher der Liga der freien Wohlfahrtspflege Heilbronn und Regionalleiter der Caritas Heilbronn-Hohenlohe.

"Stoßlüften statt Fenster kippen, das kann jeder, desgleichen mäßig heizen oder die Waschmaschine nicht halbvoll laufen lassen", sagt auch Karl Friedrich Bretz. Stefan Schneider: "Alles, was hilft, nutzt."


Die Info-Tour der Cleverländ-Kampagne des Landes Baden-Württemberg begann jüngst in Eppingen, dauert sechs Wochen und macht in 24 Orten im Land Station. Die Kosten für die Kampagne liegen nach Angaben der Landesregierung bei bis zu 300.000 Euro. Das Umweltministerium empfiehlt in seinem begleitendem Energiesparbüchle unter anderem, Heizungs- und Warmwasserrohre zu dämmen, die Temperatur im Wohnbereich auf 20 Grad zu senken und Gefriertruhen in unbeheizten Räumen unterzubringen. 

 

Kommentar hinzufügen

Kommentare

Neueste zuerst | Älteste zuerst | Beste Bewertung
Keine Kommentare gefunden
Nach oben  Nach oben