Architekt Christoph Herzog: Wollhaus könnte Initialzündung für die Stadt sein
Christoph Herzog, Chef der Architektenkammer Heilbronn, blickt zum bundesweiten Tag der Architektur am kommenden Samstag (24.06.) auf Heilbronner Vorzeigeprojekte. Welches Potenzial der Experte im Wollhaus sieht und was er von einer Markthalle für Heilbronn hält.

Das "Multitalent Architektur" steht beim bundesweiten Tag der Architektur am Samstag, 24. Juni, im Blickpunkt. Auch in Heilbronn ist eine kostenlose Besichtigungstour angesagt, bei der Planer und Bauherren ihre Projekte erläutern, aber auch Rede und Antwort stehen. Der Chef der Architektenkammer Heilbronn, Christoph Herzog, gibt einen kleinen Vorgeschmack auf diese vorbildlichen Vorhaben, sagt aber auch, was er sich für die etwas abgehängte Innenstadt − und vor allem fürs Wollhaus wünscht.
Architektur als Multitalent. Was heißt das?
Christoph Herzog: Architektur ist ja sehr umfassend. Sie ist nicht nur Form. Vielmehr bildet sie auch gesellschaftliche Aspekte ab, prägt die Umgebung mit, bezieht sich gleichzeitig auf Innenräume, auf energetische Fragen. Auch Material und natürlich die Nutzung spielen eine wichtige Rolle. Gebäude müssen ja vieles können. Dafür passt der Überbegriff Multitalent ganz gut.

Sie wollen Normalbürger ansprechen. Die Stationen, die Sie ansteuern, sind aber alles Sonderbauten. Hat das Einfamilienhaus ausgedient?
Herzog: Wir leben natürlich in schwierigen Zeiten, Stichwort Kosten, Stichwort Flächenverbrauch. Aber das eigene Häusle ist nach wie vor Teil der Kultur unserer Region. Im Bestand ist derzeit ein gewisser Generationenwechsel im Gang, aus dem oft Umbauten resultieren. Natürlich ist die Tendenz da, dichter zu wohnen, aber da darf man nicht einfach Grundrisse isoliert aneinander klatschen. Das muss sorgfältig durchdacht werden, im Sinne von gemeinschaftlichem Wohnen.
Wofür stehen denn die ausgewählten Stationen, was kann man dort lernen?
Herzog: Wichtig ist es uns, potenziellen Bauherren oder Architekturbegeisterten Gebäude zu zeigen, die in vielerlei Hinsicht innovativ sind. Wir wollen dabei informieren und diskutieren. Schließlich prägen nicht nur Wohnhäuser das Stadtbild, sondern oft noch viel mehr große Sonderbauten, die besonders auffällig sind. Unsere Beispiele stehen dafür, dass große Volumina nicht unbedingt massiv wirken müssen, wenn die Details und Proportionen stimmen. Letztlich lässt sich hier auch zeigen, was Architektur alles kann, wo sie steht, wo die Zukunft hinführt.
Ganz konkret: Wofür steht die IFH 2.0?
Herzog: IFH heißt ja Innovationsfabrik Heilbronn, die ursprünglich im Weipertschen Backsteingebäude beheimatet war. 2.0 steht deshalb für die zweite IFH, aber auch für Zukunft und Innovation. Der prägnante Neubau, der gerade am Neckarufer im Zukunftspark Wohlgelegen als Holz-Hybridgebäude entsteht, richtet sich an junge, innovative Firmengründer, die eher kleine, aber flexible Büroflächen brauchen.

Südlich davon wächst im Buga-Stadtteil Neckarbogen die internationale Josef-Schwarz-Schule in die Höhe, sensationell schnell. Auch da schauen Sie vorbei, warum?
Herzog: Auch hier kann man gut sehen, wie große Baumassen so gegliedert werden können, dass sie durchaus elegant und ansprechend wirken und sich gut in die Umgebung einpassen, als Teil eines ganz neuen Stadtteils.
Provokante Zwischenfrage: Wo stünde Heilbronn ohne das Engagement der Schwarz-Stiftung, respektive ohne den Stifter Dieter Schwarz?
Herzog: Wir würden bestimmt nicht da stehen, wo wir heute sind. Wir müssen dankbar sein, dass uns Herr Schwarz hinsichtlich der Stadtentwicklung mit guter Architektur unterstützt.

Den Abschluss ihrer Tour bildet der Bildungscampus, genauer der Campus Garden, also eine Mensa, die abends als Restaurant dient. Da werden Sie sicher nicht nur Tapas essen und etwas trinken.
Herzog: Nun, der Bildungscampus steht als Ganzes für ein gutes Stück Stadtteilentwicklung am Rande, besser am Tor zur Innenstadt. Wobei die Aufenthaltsqualität dort so hoch ist, dass sie gegenüber der Fußgängerzone nicht abfällt.
Im Gegenteil, möchte man sagen. Aber es gibt ja einen Masterplan Innenstadt, und den wollen Sie am Samstag (24.06.) auch thematisieren.
Herzog: Ja, an der Sommerinsel in der Turmstraße. Für diesen Bereich läuft gerade ein städtebaulicher Wettbewerb zur Neugestaltung. Wir wollen die Grundideen aufzeigen, also im Prinzip mehr Grün, mehr Aufenthaltsqualität, weniger Autos und Verkehr. Das Projekt soll den Bürgern zeigen, dass sich auch in der Innenstadt etwas zum Besseren bewegt.
Die City ist ja anders als Bildungscampus, Neckarbogen oder Zukunftspark das Sorgenkind der Stadt. Wo sehen Sie hier Potenziale, die vielleicht sogar aus den Herausforderungen erwachsen?
Herzog: Städte sind ständig im Wandel, aber selbst im Negativen kann etwas Positives stecken. Nehmen wir das Wollhaus. Mit diesem Leerstand öffnet sich die Möglichkeit, Neues zu denken, neu zu strukturieren, neue Ideen umzusetzen. Ich sehe hier eine Chance für eine Initialzündung oder zumindest einen Impuls, der der Stadt − wie einer Kugel − Anstoß gibt, sich in eine andere Richtung zu bewegen.
Für den Wollhaus-Umbau wurde ein altes Traumprojekt ins Spiel gebracht, eine Markthalle.
Herzog: Das würde absolut passen. Natürlich muss man das Gebäude innen und außen entsprechend umgestalten und den Panzer zur Fußgängerzone hin öffnen. Eine Markthalle mit Lokalen, Street Food, Pop-Up-Läden, Event-Flächen und anderen verwandten Nutzungen würde alles beleben, auch weil sie nicht nur tags, sondern auch abends geöffnet sein kann: als Ort der Begegnung, der Kommunikation, zum Aufhalten oder einfach zum Flanieren, ohne gleich konsumieren zu müssen, einfach zum Wohlfühlen. So wie es das in größeren Städten schon gibt.
Und sowas funktioniert in Heilbronn?
Herzog: Heilbronn ist natürlich nicht vergleichbar mit Großstädten wie Stuttgart. Man muss da sensibel auf die hiesige Situation eingehen, etwa auf den notwendigen Busbahnhof, aber auch auf die Menschen, die Kunden, Nachbarn, die anderen Kaufleute, damit es auch angenommen wird.
Haben Sie Kontakt zum Investor Neufeld?
Herzog: Ja, wir als Architektenkammer, aber auch mit dem Bund Deutscher Architekten und der Stadt sind mit Neufeld im Gespräch. Er ist bereit, sich mit uns darüber auszutauschen, zu diskutieren. Ich habe ein gutes Gefühl, dass es in die richtige Richtung geht. Es kann nur gemeinsam gehen, nur dann ist es Nachhaltigkeit.
So wäre eine Markthalle auch eine Art Multitalent, eine kleine Stadt mitten in der Großstadt.
Herzog: Multi heißt ja: Ich kann alles, für die Nutzer, fürs Umfeld, für die Umwelt. Je mehr der Architektur dies gelingt, um so länger bleibt ein Gebäude stehen, um so nachhaltiger ist es.
Zur Person:

Die bundesweit organisierte Architektenkammer ist eine öffentlich-rechtliche berufsständische Organisation von Architekten. Ihre Aufgaben umfassen laut Satzung zum Beispiel "die Baukultur, die Baukunst, das Bauwesen, den Städtebau und die Landschaftspflege zu fördern", aber auch die Interessensvertretung und Weiterbildung des Berufsstands. Der Kammerbezirk Heilbronn zählt über 600 Mitglieder in Stadt und Landkreis sowie in Teilen Hohenlohes. Seit 2018 heißt der Vorsitzende Christoph Herzog (57), ein gelernter Schreiner, der nach der Fachhochschule für Technik in Stuttgart seit 2002 zunächst an seinem Heimatort Horkheim, heute in der ehemaligen Sontheimer Methodistenkirche die Bürogemeinschaft Herzog + Herzog bildet, mit seinem Vater, dem einstigen Kammerchef Karl-Adolf Atze Herzog.





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