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Tagsüber ist dieser Heilbronner Schüler, nachts hilft er Bedürftigen im Heilbronner Erfrierungsschutz

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Immanuel Körmann geht aufs Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium. Im Winter hat er sich nachts um Wohnungslose gekümmert - es ist nicht das einzige ehrenamtliche Engagement des Schülers.

Jeden Samstag hat Familie Körmann Frühstück für Wohnungslose gemacht und gespendet, auch Immanuel Körmann schenkte Kaffee aus.
Jeden Samstag hat Familie Körmann Frühstück für Wohnungslose gemacht und gespendet, auch Immanuel Körmann schenkte Kaffee aus.  Foto: Berger, Mario

Immanuel Körmann ist Schüler am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium und arbeitet seit 2021 ehrenamtlich im Erfrierungsschutz, der von November bis Ende März im Heilbronner Freibad Neckarhalde eingerichtet war. Im Interview erzählt er, warum er das gemacht hat, und wie ihn dieser sehr spezielle Job verändert hat.

 

Sie sind 19 Jahre alt und waren in dieser Saison schon zum zweiten Mal regelmäßig nachts im Einsatz für Wohnungslose im Erfrierungsschutz. Wie kamen Sie dazu?

Immanuel Körmann: Durch meine Eltern. Sie begannen dort vor zwei Jahren, und dann habe ich nach einem Monat gedacht, ich mach da auch mit. Ich wollte der Gesellschaft etwas zurückgeben. Ein Vorbild sein.


Was hat Sie motiviert?

Körmann: Ich möchte gern den Obdachlosen, oder besser gesagt, Erfrierungsschutzgästen, helfen und sie unterstützen, wo ich nur kann.


Wie lief so ein Dienst ab?

Körmann: Wir waren immer zu zweit und kamen meist um 19 Uhr. Um 20 Uhr war Einlass, aber wenn es kalt war, ließen wir die Leute schon früher rein. Sie haben uns Namen und Geburtsdatum gesagt und uns die Taschen gezeigt, damit wir sehen, ob jemand Alkohol oder illegale Substanzen dabei hat. Wir haben auf Corona getestet, geredet. Alkohol, Drogen und Waffen waren natürlich nicht erlaubt.


Was haben Sie und Ihr Teampartner gemacht, wenn Sie solche Dinge fanden?

Körmann: Im Zweifel haben wir sie in unser Büro mitgenommen. Seit Neujahr konnten wir auch Essen und Trinken ausgeben. Das war zuvor nicht so, da gab es auch nicht so viele Spenden. Nach zwölf Stunden, um 8 Uhr, mussten leider alle raus. Der Samstag war eine Ausnahme, weil meine Eltern und ich da Frühstück angeboten haben, dann ging es bis 10 Uhr. Samstag ist der Tag, an dem Wohnungslose nicht kostenlos oder für wenig Geld etwas zu essen bekommen in Heilbronn. Sonntag hat zum Glück die Kirche auf. Da gibt's bei St. Peter und Paul Essen.


Kamen Sie in diesen Nächten zum Schlafen?

Körmann: Wir waren auf jeden Fall immer in Bereitschaft und hielten die Ohren offen. In manchen Nächten waren die Gäste sehr aktiv, öfter draußen oder auch ein bisschen laut. Dann haben wir uns schnell gekümmert, um wieder mehr Ruhe hineinzubringen. Ich war meist am Wochenende oder in den Ferien dabei, denn Schule geht vor.


Es waren also auch anstrengende Nächte dabei?

Körmann: Klar. Die anstrengendsten waren im November, Dezember, das lag an bestimmten Gästen. Manche waren unruhig und laut und brauchten uns öfter. Eigentlich die ganze Zeit. Meist waren sie psychisch angeschlagen. Dann machten wir viele Durchgänge, redeten viel.


Haben Sie gelernt, wie man mit jemandem umgeht, der in einer psychischen Ausnahmesituation ist? Das sind ja auch Menschen mit unbehandelten Schizophrenien, manche haben im Obdachlosenheim Hausverbot. Eine Herausforderung, oder?

Körmann: Manchmal waren die gesundheitlichen Probleme so gravierend, dass jemand ins Krankenhaus musste. Ansonsten habe ich die richtige Ansprache zwar nicht direkt gelernt, aber ich habe schon Erfahrung, weil ich auch Sanitäter beim DRK bin und Jungscharleiter. Mein Vater ist beim Rettungsdienst, meine Mutter Altenpflegerin, sie können auch Tipps geben. Ich weiß, wie man mit den Menschen sprechen und deeskalieren kann.


Und wie geht das ganz praktisch?

Körmann: Erstmal habe ich versucht, den Betroffenen zu beruhigen, habe Verständnis gezeigt, auch für die Lebenssituation. Manche sind ja kaum älter als ich, das ist schon traurig. Wenn es Streit gab, half es, mit der Person allein zu reden, weil wir auch nicht gleich wussten, wo das Problem lag. Eine Umarmung tut den Menschen oft gut. Viele haben das ganz automatisch gemacht, wenn sie uns gesehen haben. Sie sagten: ,Schön, dass du da bist" und haben uns umarmt. Sie haben sich immer über uns gefreut.

War es schwer für Sie, ins Thema reinzukommen?

Körmann: Wir mussten erstmal Vertrauen aufbauen, aber dann ging es. Wir behandeln die Menschen nicht anders, weil sie keine Wohnung haben. Sie haben die gleichen Bedürfnisse wie wir alle.


Wie reagieren Ihre Mitschüler, wenn Sie von Ihrem speziellen Engagement erfahren?

Körmann: Die sind meist sehr überrascht, finden es super, dass ich das mache, aber trauen sich selbst nicht so ran. Die meisten haben schon Berührungsängste und Vorbehalte, auf Obdachlose zuzugehen. Aber ich werde viel zu dem Thema gefragt und beantworte auch alles. Ich versuche, sie zu motivieren, mal ins Gespräch mit Menschen auf der Straße zu kommen. Lehrer finden es auch gut, dass ich das mache. Aber einen Vortrag oder ein Referat oder so habe ich jetzt noch nicht gehalten.

Bei Terminen hört man immer wieder, Soziales sei nicht sexy. Ist der Erfrierungsschutz sexy?

Körmann (lacht): Anscheinend schon. Im Dezember und Januar sind neue Freiwillige dazu gekommen. Wir waren jetzt 20 Leute.


Glauben Sie, das Ehrenamt hat Sie verändert?

Körmann: Ich habe selbst Berührungsängste gegenüber Wohnungslosen abgebaut. Ich verstehe jetzt ihre Welt besser, die Arbeit hat mich sensibilisiert. Wenn ich Menschen vom Erfrierungsschutz in der Stadt sehe, frage ich, ob sie Hilfe brauchen. Da werde ich aber oft angesprochen von anderen: ,Lass doch den Penner. Der will doch nur dein Geld, der soll arbeiten gehen." Vielen fehlt jedes Verständnis. Aber vielleicht ist derjenige in einer manischen Depression gefangen oder in dem Gedanken, ,was soll ich überhaupt noch auf der Welt" - das ist schwer zu durchbrechen. Und: Ich bin dankbarer geworden. Ich schätze es sehr wert, was ich alles habe.


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Mussten Sie auch mal den Rettungsdienst holen, wenn Sie merkten, dass jemand Hilfe brauchte?

Körmann: Beim Kaufhof lag ein Mann mit Katheterbeutel, dem es gar nicht gut ging, aber alle sind vorbeigelaufen. Ich war mit meiner Mutter unterwegs, und wir haben ihn angesprochen. Zuerst wollte er, dass wir weitergehen, aber dann sagte er doch, er sei Diabetiker, hat angefangen zu lallen, ist in den Unterzucker gerutscht. Ich habe ihm eine Cola gekauft. Passanten haben gesagt, ,der ist eh betrunken. Der stinkt, fass ihn nicht an." Damals haben wir auch den Rettungsdienst gerufen. Und das war gut.


Motiviert Sie Ihr Einsatz, auch beruflich in diese Richtung zu gehen?

Körmann: Ich möchte gymnasiales Lehramt studieren - in Stuttgart oder Heidelberg. Geschichte, das zweite Fach weiß ich noch nicht. Sozial engagiert bleibe ich aber auf jeden Fall. Und politisch. Wunschstandort wäre Heilbronn.


Sie sind in der elften Klasse, die Noten zählen fürs Abi. Wie bekommen Sie das zeitlich hin?

Körmann: Das geht alles irgendwie. Ich passe auf in der Schule, dann muss ich nicht so viel lernen. In den Ferien habe ich Zeit. Wenn Schule war, hatte ich unter der Woche keinen Erfrierungsschutz-Dienst. Manchmal ist Jugendgemeinderatssitzung oder Kinderbeiratssitzung, da muss ich natürlich hin. Freitags leite ich die Jungschar und die Jugendrotkreuzgruppe.


Muss man sich das so vorstellen, dass Sie ehrenamtlich im Einsatz sind, während Ihre Freunde Party machen?

Körmann: Ich versuche, alles immer so zu legen, dass ich alles unterkriege. Meist klappt das.


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Hatten Sie immer mit einem Elternteil Dienst?

Körmann: Dieses Jahr nicht, da hatte ich immer einen anderen Teampartner. Letztes Jahr hatte ich oft mit meinen Eltern Dienst, die ganzen Weihnachtsfeiertage, Silvester, sowie den ersten und zweiten Januar mit meinem Vater.


Wie war das?

Körmann: Sehr aufregend. Ein Nachbar hat Essen gespendet zu Weihnachten. Dann saßen alle auf den Betten und haben gegessen. Silvester haben wir alkoholfreien Sekt gekauft. Es war wirklich richtig schön. Die Gäste haben sich total gefreut, sie haben auch Wichtelgeschenke bekommen von der Aufbaugilde. Die Arbeit beim Erfrierungsschutz ist für mich eine Herzensangelegenheit, das ist wie wie eine Art zweite Familie. Es schmerzt, dass es jetzt erstmal vorbei ist.

Dann sind Sie nächsten November wieder dabei?

Körmann: Auf jeden Fall.

Zur Person: Immanuel Körmann ist vielseitig aktiv, im Jugendgemeinderat Heilbronn zweiter Stellvertreter, für die SPD im Bezirksbeirat Biberach, er leitet den Kinderbeirat der Heilbronner Bürgerstiftung, eine Jugendrotkreuzgruppe und eine Jungschar bei der evangelischen Kirche. Zudem ist er Sanitäter beim DRK, macht Freizeitbegleitung für behinderte Menschen bei den offenen Hilfen und gibt bei der Arge Flüchtlingen Nachhilfe. Er lebt mit seinen Eltern und vier Geschwistern in Heilbronn-Biberach.

 

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