Angeklagter in Heilbronn vor Gericht: Vom Außenseiter zum mutmaßlichen Islamisten?
Am Landgericht Heilbronn finden aktuell Prozesse unter anderem wegen versuchten Totschlags und Verabredung zum Mord statt. Drei Angeklagte sollen der islamistischen Szene angehören. Was über sie bekannt ist.
"Meine Eltern haben das Beste versucht. Sie haben mich aber nicht verstanden", sagt einer der drei Angeklagten, die sich seit dem 15. November vor der 15. Großen Jugendkammer verantworten müssen. Gegen ihn läuft vor dem Schwurgericht ein weiterer Prozess wegen versuchten Totschlags.
Die Staatsanwaltschaft legt den Beschuldigten unter anderem Verabredung zum Mord zur Last. Offenbar planten zwei der drei Beschuldigten, mindestens zwei Personen jüdischen Glaubens zu töten, um sich anschließend von der Polizei erschießen zu lassen. Der dritte Angeklagte soll Beihilfe zu einer staatsgefährdenden Straftat geleistet haben.
Prozesse in Heilbronn: Beschuldigte sollen der islamistischen Szene zuzuordnen sein
Die Beschuldigten sollen der islamistischen Szene zuzuordnen sein, so die Staatsanwaltschaft. Einer der drei Angeklagten habe vergeblich versucht, sich in Syrien zum islamistischen Kämpfer ausbilden zu lassen. Gegen den 25-jährigen Y. läuft parallel seit dem 4. November vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts ein Prozess wegen versuchten Totschlags. Dabei soll der Bad Friedrichshaller im Rahmen einer Hausdurchsuchung am 3. Mai einen Polizeibeamten mit mehreren Messern angegriffen haben.
Hyperaktiv soll der Hauptangeklagte aus Bad Friedrichshall schon als Kind gewesen sein. Unter ADHS soll er angeblich leiden. Die Jugendkammer bestellt deshalb eine psychiatrische Sachverständigen, der ihn begutachten soll.
Angeklagter in Heilbronn vor Gericht: Vom Außenseiter zum mutmaßlichen Islamisten?
Aufgewachsen ist der 25-Jährige mit seinem älterem Bruder und zwei Schwestern in Bad Friedrichshall. Er selbst bezeichnete sich vor Gericht als Problemkind. Missverstanden, antriebslos und nie dazugehörig habe er sich gefühlt. Er sei klein und schüchtern gewesen, sei gemobbt und geschlagen worden.
Seine Schulkarriere war bis zuletzt gekennzeichnet von Abbrüchen und Schulwechseln. Am Ende machte er den Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 3,1. Seine Versuche, einen Realschulabschluss und das Abitur zu machen, scheiterten. Dabei habe Richter Thilo Kurz (Jugendkammer) gehört, dass er einen Intelligenzquotienten von 146 haben soll. Das gilt als höchstbegabt.
Prozess in Heilbronn: Mutmaßlicher Islamist schildert berufliche Pläne
Später als Arbeitssuchender scheint sich das Bild des Außenseiters wie ein roter Faden weiter durch sein Leben zu ziehen. Nach seinem Schulabschluss habe er sich unter anderem bei der Polizei beworben, jedoch sei der Bewerbungsprozess aufgrund seiner ADHS-Diagnose und seiner Schwimmleistung nicht weiterverfolgt worden.

Auch wollte er Erzieher werden, war zwischenzeitlich als Springer in verschiedenen Kindergärten im Einsatz. Zudem habe er behinderte Menschen betreut, eine Karriere in der IT angestrebt und auch als Industriemechaniker arbeiten wollen. Zwischenzeitlich habe er sogar die Gründung einer Tanzschule in Erwägung gezogen.
Angeklagter in Heilbronn: Vom deutschen Staat enttäuscht
Zuletzt wollte er in der Sicherheitsbranche Fuß fassen. Häufig seien seine beruflichen Pläne jedoch daran gescheitert, dass er während der Arbeitszeit kein Freitagsgebet einrichten konnte oder es Konflikte mit seinen Vorgesetzten gab.
Vom deutschen Staat sei er enttäuscht gewesen. Wegen Bafög-Schulden habe man ihm mit Vollstreckungshaft gedroht. Privat habe er sich die meiste Zeit wie ein Klotz am Bein gefühlt. Medikamente wegen seiner ADHS-Diagnose habe er nicht vertragen.
Bipolare Störung? Großer Bruder stellt vor Landgericht Heilbronn Vermutung an
Was die ihm vorgeworfene Messerattacke auf einen Polizisten angeht, erzählte der 25-Jährige vor Gericht, dass es von Anfang an sein Plan gewesen sei, bei der Hausdurchsuchung der Beamten Schüsse hinaus zu provozieren und ins Jenseits befördert zu werden. Im Islam führe Selbstmord in die Hölle, daher habe er den Tod durch fremde Hände gesucht.
Sein vier Jahre älterer Bruder sagte Mitte November als Zeuge aus und schilderte ein ähnliches Bild. Immer öfter habe der Angeklagte ihm gegenüber geäußert, nicht mehr leben zu wollen. Er äußerte die Vermutung, dass er an einer bipolaren Störung leiden könnte.
Es habe Phasen gegeben, in denen er vor Selbstbewusstsein strotzte, gefolgt von Tagen, an denen er das Zimmer nicht verlassen habe. Aus Verzweiflung begann er, Zuflucht in der Religion zu suchen. „Anfangs fand ich das gut“, so der Bruder. Doch im Laufe der Zeit sei eine Distanz zwischen ihnen entstanden. „Er hat sich entschlossen, dass aus ihm nichts wird, und sich von der Welt distanziert.“
Familie des mutmaßlichen Islamisten ist beliebt in Bad Friedrichshall
Die Familie des Angeklagten genießt in Bad Friedrichshall einen guten Ruf, wie Zeugen vor Gericht berichteten. Ein Nachbar bezeichnete sie als „Ausnahmefamilie“, die stets hilfsbereit und freundlich gewesen sei.
Auch der Angeklagte selbst wurde von den Nachbarn als höflich und hilfsbereit beschrieben. „Ich kann immer noch nicht begreifen, was passiert ist“, sagte einer über den Angeklagten, der ihn gelegentlich auf dem Recyclinghof oder bei anderen Arbeiten unterstützt habe.
Polizist sagt bei Prozess in Heilbronn aus: „Vergeht kein Tag, an dem ich nicht an die Eltern denke“
Ein Kriminalhauptkommissar, der bei der Hausdurchsuchung des mutmaßlichen Islamisten dabei war, drückte im Zeugenstand seine Wertschätzung für die Eltern des Angeklagten aus. „Mich hat es beeindruckt und es war mutig von ihnen, zur Polizei zu gehen.“
Sie hätten sich zu dem Schritt bewogen, weil sie ihren Sohn liebten und sich Sorgen machten und nicht, um ihm eins auszuwischen, sagte der Beamte in Richtung des Angeklagten damals. „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an die Eltern denke.“
Prozess in Heilbronn: Was über die anderen beiden Angeklagten bekannt ist
Mit dem Mitangeklagten Ö. vor der Jugendkammer soll Y. den Mord an Juden oder ersatzweise an Bundeskanzler Olaf Scholz verabredet haben. Der heute 18 Jahre alte Weinheimer habe in der Grundschule ab der vierten Klasse Probleme bekommen. Mathematik habe er nicht verstanden, sagte er vor der Jugendkammer.
Danach habe er den Hauptschulabschluss auf einer Gemeinschaftsschule gemacht und mit dem Notendurchschnitt 3,3 abgeschlossen. "Danach wollte ich eine Ausbildung machen. Das hat aber nicht funktioniert", sagte Ö. Gescheitert sei anschließend auch der Versuch, den Realschulabschluss nachzuholen.
Der dritte Angeklagte H. soll Y. zum Stuttgarter Flughafen gefahren haben, von wo aus der Bad Friedrichshaller offenbar über die Türkei nach Syrien wollte. H. ist mit drei Geschwistern in Untereisesheim aufgewachsen. Nach der Realschule in Bad Friedrichshall habe der 25-jährige Untereisesheimer das Abitur am Technischen Gymnasium in Neckarsulm gemacht. Vor kurzem habe er an der Friedrich-Alexander-Universität den Bachelor in Wirtschaftswissenschaften abgeschlossen. Jetzt bewerbe er sich um eine Arbeitsstelle.