Generalverdacht gegen deutsche Muslime? Heilbronner Ditib-Vorsitzender sieht sich ungerecht behandelt
Heilbronner Ditib-Vorsitzender Erdinc Altuntas beklagt die Forderung an Muslime, sich von Terror und Antisemitismus zu distanzieren. Auch OB Mergel nahm Muslime jüngst in die Pflicht.

Nach einem Zeitungsbericht über das Schweigen in den Moscheen der Heilbronner Region zu Antisemitismus und Hamas-Terror äußert sich Erdinc Altuntas (50), Vorsitzender der Heilbronner Ditib-Moschee, nun doch. Zuvor hatte er nicht auf eine Anfrage unserer Redaktion reagiert. Auch dieses Mal lässt Altuntas vieles unbeantwortet.
Zur Frage, inwiefern der Nahost-Krieg Thema in den Freitagspredigten ist und welchen Einfluss Diyanet-Präsident Ali Erbas auf diese hat, antwortet Altuntas ausweichend. Freitagspredigten seien nicht politisch, schreibt er in einer Mail an unsere Redaktion. "Predigten der Ditib-Moscheen in Deutschland werden seit Jahrzehnten themenbezogen von Experten der Predigtkommission verfasst und auf unseren Internetseiten veröffentlicht." Sie würden orientiert an den Bedürfnissen der bundesweiten Ditib-Gemeinden verfasst. "Predigten außerhalb von Deutschland", so Altuntas, "liegen weder in unserem Verantwortungs- noch in unserem Geltungs- oder Deutungsbereich".
Antisemitische und israelfeindliche Aussagen: Keine Reaktion zu Diyanet-Präsident Ali Erbas
Die Ditib-Moscheen in Deutschland unterstehen der Religionsbehörde Diyanet - deren Präsident Erbas war in den vergangenen Wochen mit extrem antisemitischen und israelfeindlichen Aussagen aufgefallen. Auf erneute Nachfrage, ob er sich von den Aussagen des Diyanet-Präsidenten distanziere, reagiert Erdinc Altuntas nicht. Altuntas ist nicht nur Vorsitzender der Heilbronner Ditib-Moschee, sondern auch Vorsitzender des Landesverbands sowie Mitglied im Bundesvorstand.
Seine Worte zum Terror der Hamas in seiner Mail von Sonntag fallen indes deutlich aus. "Wir möchten klarstellen, dass unsere Gemeinde und Religionsgemeinschaft jegliche Form von Terrorismus und Antisemitismus auf das Schärfste verurteilt. Die Angriffe und Entführungen durch die Hamas am 7. Oktober 2023, die gegen Zivilisten und den Staat Israel gerichtet waren, sind inakzeptabel." Es gebe keine Rechtfertigung für solche Taten, die unschuldige Menschen beträfen und den Frieden und die Sicherheit in der Region gefährdeten. "Wir sind zutiefst besorgt über die zunehmende Gewalt und rufen zu Frieden und Dialog auf, um ein Zusammenleben in Harmonie zu fördern."
Ditib-Vorsitzender Altuntas erwartet Zeichen gegen Islamfeindlichkeit
Altuntas stört sich an der Forderung an Muslime, sich von Antisemitismus und Terror zu distanzieren. Er spricht von einem Generalverdacht, der nicht nur ungerecht sei, sondern auch zu einer Normalisierung von antimuslimischem Rassismus beitrage. "Wir als deutsche Muslime und Vereine, die sich seit Jahren für den interreligiösen Dialog und ein gutes Miteinander einsetzen, fühlen uns durch diese Pauschalisierungen ungerecht behandelt", schreibt Altuntas. Pauschale Verurteilungen und solche Forderungen "sollten vermieden werden". Man erwarte von den Verantwortlichen, "einschließlich unseres Oberbürgermeisters", auch ein starkes Zeichen gegen Islamfeindlichkeit, antimuslimischen Rassismus und jegliche Form von Hass und Extremismus.
Wie berichtet, hatte Heilbronns Oberbürgermeister Harry Mergel bei einer Kundgebung gegen Antisemitismus auf dem Kiliansplatz muslimische Vereine und Organisationen in die Pflicht genommen, "keinen Zweifel" zu lassen an ihrer Verurteilung von Terror und Antisemitismus. Der Kritik von Altuntas entgegnet Suse Bucher-Pinell, Sprecherin der Stadtverwaltung, Mergel habe in den zurückliegenden Tagen mehrmals klar Stellung bezogen. Mergel habe dazu aufgerufen - die Betonung liege hierbei auf "jede" - , "gemeinsam jede Form von Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu ächten".
Muslimische Verbände kamen nicht zur Kundgebung – waren aber auch nicht eingeladen
Auf die Frage, ob Altuntas am vorvergangenen Freitag gerne zur Kundgebung gegen Antisemitismus gekommen wäre, schreibt er: "Leider wurden wir nicht eingeladen." Die Nachfrage, ob er einer Einladung gefolgt wäre, lässt Altuntas unbeantwortet. Angesichts der anfangs nicht erfolgten Distanzierung von Terror und Antisemitismus seitens muslimischer Vereine und Organisationen habe man davon abgesehen, muslimische Verbände einzuladen, erklärt Felix Schurr von der Jungen Union kurz nach der Versammlung. Zur Kundgebung war maßgeblich von der politischen Jugend Heilbronns aufgerufen worden.
Altuntas beklagt in seiner Mail an die Redaktion "besorgniserregende Entwicklungen". Man beobachte seit dem 7. Oktober eine Zunahme von Übergriffen auf Moscheen, einschließlich Drohbriefen und Beschmierungen.
Auffällige Verflechtung zwischen Ditib und Erdogans Lobby-Organisation UID
Bereits im Jahr 2021 hat Erdinc Altuntas, Vorsitzender der Ditib-Moschee Heilbronn und Landesvorsitzender, abgestritten, dass Ditib ein verlängerter Arm des türkischen Präsidenten Erdogan sei. Wie eng auch Ditib-Funktionäre mit Erdogan verknüpft sind, ist aber an der Verflechtung von Ditib und Erdogans Lobby-Organisation Union of International Democrats (UID) zu erkennen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat bereits vor Jahren darauf hingewiesen. Ditib und UID geben sich demnach "betont gemäßigt" und seien bemüht, "Abhängigkeitsverhältnisse zur Türkei herunterzuspielen", heißt es im Verfassungsschutzbericht 2018. Den Vorsitzenden der UID bestimmt Erdogan. Auch der Heilbronner Tugrul Selmanoglu ist Vorstandsmitglied. Er fiel jüngst mit einer Rede bei einer propalästinensischen Kundgebung in Heilbronn auf, in der er pauschale Vorwürfe gegen "den Westen" als Ursprung des Antisemitismus machte.
Wie der Bericht des Verfassungsschutzes ausführt, gehöre es für den türkischen Nachrichtendienst MIT zur Strategie der Einflussnahme, "die Öffentlichkeit in unverfänglicher Weise auf vermeintliche und tatsächliche Fälle von Rassismus, Islamophobie und Türkei-Feindlichkeit" hinzuweisen - auf diesem Weg wolle man kritischen Tönen gegenüber der politischen Entwicklung in der Türkei begegnen.