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Nachhaltigkeitsbeauftragte von Heilbronn: So soll das Buga-Gefühl weitergehen

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Heilbronn ist im Finale zur Grünen Hauptstadt Europas. Die Entscheidung fällt im November. So stehen die Chancen laut der Nachhaltigkeitsbeauftragten der Stadt, Dr. Julia Hufnagel.

Dr. Julia Hufnagel ist seit März die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Stadt Heilbronn.
Dr. Julia Hufnagel ist seit März die Nachhaltigkeitsbeauftragte der Stadt Heilbronn.  Foto: Berger, Mario

Am 27. November fällt die Entscheidung: Heilbronn steht mit Guimarães in Portugal und dem österreichischen Klagenfurt am Wörthersee im Finale um den Titel als Grüne Hauptstadt Europas 2026. Entscheidend an der Koordination der Bewerbung zur European Green Capital (EGC) beteiligt ist Dr. Julia Hufnagel. Die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin ist seit März dieses Jahres als Nachhaltigkeitsbeauftragte bei der Stadt Heilbronn tätig.

Im stimme.de-Interview erklärt die 35-Jährige, wie sie zum Nachhaltigkeitsbegriff steht, dass es im EGC-Wettbewerb der Europäischen Kommission um mehr geht, als lediglich ein paar Bäume zu pflanzen und, weshalb es im Sinne der Ökologie zu kurz gedacht ist, jedem Pendler pauschal von der Nutzung seines Autos abzuraten.

Nachhaltigkeitsbeauftragte der Stadt Heilbronn: Strukturen entscheidend

Wie halten Sie es selbst mit der Nachhaltigkeit?

Dr. Julia Hufnagel: Ich nutze keine Langstreckenflüge, esse kaum Fleisch und habe kein eigenes Auto. Aber nicht nur im Sinne der Ökologie, sondern, weil mich Fernreisen nicht interessieren, mir Fleisch nicht schmeckt und ich mit dem Fahrrad zur Arbeit gelangen kann. Wie nachhaltig jemand handelt, kommt auf die individuellen Lebensumstände an. Sind die Strukturen nicht vorhanden, hat der Einzelne weniger Möglichkeiten. Daher würde ich mich auch nicht als Vorbild sehen. Würde ich ländlicher wohnen, bräuchte ich zum Beispiel ein Auto, um zur Arbeit zu kommen.

Seit einem Jahrzehnt beschäftigen Sie sich intensiv mit Nachhaltigkeit, haben über dieses Thema promoviert. Was begeistert Sie daran?

Hufnagel: Das Spannende ist die Vielschichtigkeit. Nachhaltige Entwicklung fußt auf drei Säulen: Wirtschaft, Ökologie und Soziales. Maßnahmen zum Klimaschutz, etwa CO2-Reduzierung, sind nur ein Aspekt. Ebenso wichtig sind beispielsweise der Zugang zu Bildung, gleiche Behandlung der Geschlechter, menschenwürdige Arbeitsbedingungen sowie Zugang zu sauberem Wasser. Im Sinne nachhaltiger Entwicklung haben die Vereinten Nationen 17 Ziele aufgestellt.

Stadt Heilbronn: Nachhaltigkeit ist mehr als nur Klimaschutz und Ökologie

Diese Beispiele sind nicht isoliert zu betrachten...

Hufnagel: Genau, sie beeinflussen sich gegenseitig und sind nicht regional, sondern auf die Welt als Ganzes bezogen. All diese Themen verbindet die Frage nach effizientem und effektivem Handeln zugunsten einer lebenswerten Welt. In der Nachhaltigkeit geht es um die gerechte Gestaltung der Gegenwart sowie der Zukunft, dass kommende Generationen die gleichen Lebens- und Entwicklungschancen haben. Für diese Werte möchte ich mich einsetzen.

„Die Europäische Kommission sucht nicht die Stadt mit den meisten Grünflächen, sondern jene, die beispielhaft gute Lösungen umsetzt.“

Dr. Julia Hufnagel

Das Thema Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Der Begriff wirkt manchmal wie eine überstrapazierte Worthülse. Wie ist Ihre Wahrnehmung?

Hufnagel: Ich finde den Begriff selbst nicht gut, weil er meist synonym für den ökologischen Teilaspekt verwendet wird. Beispielsweise die Gerechtigkeit fällt oft unter den Tisch. Für Diskussionen wäre es wichtig, die Themen klar zu benennen und einzugrenzen: Geht es um Klimaschutz oder Armut-Reduktion? Allerdings, ohne die gegenseitige Beeinflussung der Themen ganz aus dem Blick zu verlieren. Ein einzelner Begriff kann diesen Komplex niemals umfassen.

Stadt Heilbronn: So sieht die Arbeit der Nachhaltigkeitsbeauftragten aus

Wie sieht die Tätigkeit einer Nachhaltigkeitsbeauftragten aus?

Hufnagel: Im Wesentlichen besteht die Arbeit aus Projektmanagement. Die Aufgabe ist es Strategien und Abläufe zu koordinieren sowie Institutionen und Menschen im Sinne nachhaltiger Entwicklungen zusammenzubringen.

Was bedeutet das in Ihrem Fall?

Hufnagel: Seit ich meine Stelle angetreten habe, beschäftige ich mich vor allem mit dem EGC-Projekt. Ich arbeite mit städtischen Einrichtungen wie dem Grünflächenamt sowie den Stabsstellen Klimaschutz und Kommunikation zusammen, um die Basis für die Bewerbung sowie die Final-Präsentation zusammenzustellen. Zusätzlich gestalte ich Projekte wie den Nachhaltigkeitstag mit. Und ich bin mit Bildungseinrichtungen, Firmen und Nichtregierungsorganisationen über nachhaltige Projekte in Kontakt. Auch in Bezug auf das Jahr 2026.

Heilbronn als Grüne Hauptstadt Europas 2026? Anpassung und Transformation zentral

Welche Themen sind beim EGC-Projekt wichtig?

Hufnagel: Bei der Green Capital geht es um folgende Umweltaspekte: die Sauberkeit von Luft und Wasser, Lärmbelastung, Klimaschutz, Abfall- und Kreislaufwirtschaft, Klima-Anpassung und Biodiversität. Die Europäische Kommission sucht nicht die Stadt mit den meisten Grünflächen, sondern jene, die beispielhaft gute Lösungen umsetzt. Entscheidend ist somit nicht, in welcher Stadt es die meisten Bäume gibt, sondern, wie man mit den Gegebenheiten umgeht. Heilbronn ist eine Industriestadt. Damit müssen wir arbeiten. Es ist kein Ziel und keine Lösung, Straßen abzuschaffen. Aber ein Weg zu mehr Grünflächen können zum Beispiel Klimawäldchen sein, ohne dass man die Infrastruktur beeinträchtigt. Ein Positivbeispiel ist außerdem die Buga. Sie hat viel bewegt. Anstelle einer Brachfläche gibt es nun das preisgekrönte Stadtquartier Neckarbogen.

„Die Idee ist, das Buga-Feeling wieder aufleben zu lassen.“

Dr. Julia Hufnagel

Welche Fragen mussten Sie bei der Bewerbung für das EGC-Projekt beantworten?

Hufnagel: Im Fokus stand, wie sich die Stadt entwickelt hat und, wie die weitere Transformation aussehen soll. Zum Beispiel galt es, aufzuzeigen, wie sich die Luftqualität an den Messstationen verändert, wie sich Arten- und Lebensräume entwickelt haben und wie sich die Größe der Grünflächen gewandelt hat. Oder um die Frage, wie viel Wasser Privathaushalte verbrauchen.

Projekte mit Verantwortung: So kann Heilbronn nachhaltiger werden

Wie nachhaltig ist Heilbronn?

Hufnagel: Spannend ist: In Kommunen ballen sich all die Themen, die unter dem Nachhaltigkeitsbegriff zusammenkommen. Die Kommune ist die Keimzelle dieser Aspekte. Auch hier muss man wieder nach den Teilbereichen unterscheiden und schauen, wo Heilbronn bei diesen Zielen steht. Im Vergleich zu anderen Kommunen sind wir auf einem guten Weg. Es geht um Ganzheitlichkeit, nicht um Leuchtturmprojekte. Beispielsweise haben wir fast 50 000 Pendler, die täglich nach Heilbronn fahren. Dem gilt es, zu begegnen. Etwa mit dem Bau eines Radschnellwegs, der Reaktivierung von Bahnverbindungen und neuen Car-Sharing-Möglichkeiten.

Heilbronn steht im Finale zur Grünen Hauptstadt Europas 2026. Am 27. November fällt in Valencia die Entscheidung unter den drei Kandidaten.
Heilbronn steht im Finale zur Grünen Hauptstadt Europas 2026. Am 27. November fällt in Valencia die Entscheidung unter den drei Kandidaten.  Foto: privat

Ist das Thema Nachhaltigkeit in Heilbronn angekommen?

Hufnagel: In der Verwaltung definitiv. Hier herrscht ein hohes Bewusstsein. Einige Projekte laufen seit Jahrzehnten. Auch bei den Bürgern gibt es hohe Motivation, sich zu beteiligen. Die Buga hat einiges in Gang gesetzt. Menschen bringen Ideen ein, etwa, wo weiteres Grün wünschenswert wäre oder wo Radwege fehlen.

Heilbronn als Grüne Hauptstadt Europas 2026?: Buga-Gefühl soll weitergehen

Falls es mit dem EGC-Titel klappt: Worauf können sich die Menschen in Heilbronn freuen?

Hufnagel: Der Gemeinderat entscheidet, wie viele öffentliche Mittel in die Gestaltung von Events und Projekten im möglichen EGC-Gewinnerjahr fließen. Es wäre eine tolle Chance für alle Akteure der Stadt, ihre Umwelt-Bemühungen zu zeigen. Jeder hat die Möglichkeit, mitzugestalten. Und es soll auch viel gefeiert werden. Die Idee ist, das Buga-Feeling wieder aufleben zu lassen.

„Wie nachhaltig jemand handelt, kommt auf die individuellen Lebensumstände an.“

Dr. Julia Hufnagel

Der Nachhaltigkeitstag im September hatte das Motto: „Jede Tat zählt“. Sehen Sie das genauso?

Hufnagel: Ja und nein. Ökologisch gesehen ist es jedes Mal gut, wenn man sich für den Bus anstelle des Autos entscheidet. Aber die Entscheidung liegt nicht nur beim Individuum. Es muss auch entsprechende Strukturen geben. Wenn der ÖPNV schlecht ausgebaut ist, kann ich kaum aufs Auto verzichten. Und sich für das Schaffen nachhaltiger Strukturen einzusetzen, kann effektiver sein als sich im Klein-Klein zu verlieren.

Zur Person

Dr. Julia Hufnagel ist Diplom-Wirtschaftschemikerin und hat an der Technischen Universität Kaiserslautern zu individueller Spiritualität und unternehmerischer Nachhaltigkeit promoviert. Seit März dieses Jahres arbeitet die 35-Jährige als Nachhaltigkeitsbeauftragte auf der neu geschaffenen Position in der Stabsstelle Strategie und Stadtentwicklung bei der Stadt Heilbronn. Darüber hinaus ist Dr. Julia Hufnagel ausgebildete Lachyoga- und Achtsamkeitstrainerin. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann in Heilbronn-Neckargartach. 

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