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Vom Schulsport-Frust zur Leidenschaft fürs Laufen – kann man sportlich sein lernen? 

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Als Kind galt unsere Autorin als unsportlich. Diese Zuschreibung wirkt bis heute nach, obwohl sie als Erwachsene mehrmals die Woche Sport treibt. Warum solche Labels problematisch sind, erklärt der Heilbronner Sportpsychologe Dirk Schwarzer.


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Im Sport begabt sein – so definiert das Wörterbuch der deutschen Sprache das Wort „sportlich“. Menschen, denen diese Eigenschaft zugeschrieben wird, gelten gemeinhin als fair, athletisch, attraktiv – durchweg positive Attribute, mit denen sich wohl jeder gern schmückt.

Der Sportunterricht an der Schule war ein Alptraum

„Sportlich, das sind die anderen“, dachte ich mir für den Großteil meines Lebens. Im Schulsport waren es die kleinen, zierlichen Klassenkameradinnen, die die Bänder-Kür elegant tanzten oder im Handstand-Überschlag mühelos über den Kasten flogen. Ich, mit meinen 1,86 Meter und den langen Gliedmaßen, fühlte mich wie ein Trampel und mied den gymnastiklastigen Mädchen-Sportunterricht der späten 1980er Jahre, wann immer meine Auswahl an Ausreden es zuließ. Schwimmstunden lösten bei mir Panikattacken aus, mit meinem Belastungsasthma hatte ich im Hallenbad vor allem eines: Angst vor dem Ertrinken. So blieb ich eine schlechte Schwimmerin, die sich zwar mit Brustschwimmen über Wasser halten konnte, aber lange keinen Spaß an Bewegung im Wasser fand. 

Kann man sportlich sein lernen? Und wie sinnvoll ist ein solches Label überhaupt? Das fragt sich unsere Autorin. Sie schwimmt und läuft mehrmals pro Woche, hier mit ihrer Laufgruppe am Gaffenberg in Heilbronn. Als Kind fühlte sie sich unsportlich.
Kann man sportlich sein lernen? Und wie sinnvoll ist ein solches Label überhaupt? Das fragt sich unsere Autorin. Sie schwimmt und läuft mehrmals pro Woche, hier mit ihrer Laufgruppe am Gaffenberg in Heilbronn. Als Kind fühlte sie sich unsportlich.  Foto: Seidel, Ralf

Es geht um Freude an Bewegung, sagt DHBW-Professor Dirk Schwarzer

Wenn Lehrkräfte, Eltern oder Geschwister ein Kind als „unsportlich“ einstufen oder es negative Erfahrungen im Sportunterricht oder beim Sporttreiben macht, hat das Folgen, sagt der Sportpsychologe Dirk Schwarzer von der DHBW Heilbronn. Sei das Kind zusätzlich ein wenig dick und werde gemobbt, verfestige sich das körperliche Selbstbild von „ich bin ja unsportlich“ unter Umständen und werde kaum noch veränderbar. „Das ist problematisch und vergleichbar damit zu behaupten, Mädchen seien nicht gut in Mathe“, sagt er - ein Vorurteil, das über Jahrzehnte gesellschaftlich anerkannt war.

Alle müssen beteiligt werden, nicht nur die Leistungsstarken

„Dabei sollte das wesentliche Element im Sportunterricht doch sein, Freude an der Bewegung zu vermitteln, um sie dauerhaft ins eigene Leben zu integrieren.“ Freude stellt sich ein, wenn man sozial eingebunden ist und spürt, dass man etwas gut kann. Das heißt: Alle müssen beteiligt werden, nicht nur die Leistungsstarken in einer Gruppe, und alle sollten Anerkennung für ihre Leistungen bekommen. Wenn solche „Bausteine von Freude“ beim Sport erlebt werden, „führt das zu langfristigem Engagement“, so Schwarzer. Wer sich hingegen nicht eingebunden fühlt und zusätzlich Misserfolge hat, „der sucht sich eine Entschuldigung nach der anderen, um nicht am Sport teilnehmen zu müssen, und dann hat man verloren“. Schwarzer sagt: „Das sind verpasste Chancen für lebenslange körperliche Aktivität.“

Unsere Autorin joggte über Jahre nur allein. Grund dafür war auch die Angst, in einer Gruppe nicht mithalten zu können. Langsam ändert sich ihre Wahrnehmung.
Unsere Autorin joggte über Jahre nur allein. Grund dafür war auch die Angst, in einer Gruppe nicht mithalten zu können. Langsam ändert sich ihre Wahrnehmung.  Foto: Seidel, Ralf

Inzwischen bin ich zur begeisterten Freizeitsportlerin geworden

Ich habe als Jugendliche irgendwann den Einstieg in den Handball gefunden, durch einen Lehrer, der erkannte, dass  dieser Sport gut zu mir und meinen körperlichen Voraussetzungen passt. Später, im Studium, habe ich gemerkt, dass mir Joggen guttut. Damit konnte ich nach einem Tag am Schreibtisch gut abschalten.

Kraulschwimmen habe ich mir selbst beigebracht

Vor zwei Jahren habe ich dann beschlossen, mir selbst das Kraulschwimmen beizubringen. Ich bin drangeblieben und habe mich inzwischen einem Verein angeschlossen. Seit dem Herbst bin ich zusätzlich Teil einer Gruppe ambitionierter Läufer, einige bereiten sich gerade auf den Berlin-Marathon im September 2025 vor. Kürzlich sagte eine der anderen Läuferinnen zu mir, sie sei ja immer sportlich gewesen, deshalb habe sie sich gleich zugetraut, in der Gruppe mitzulaufen. Meine Antwort, während wir in raschem Tempo durch den Wald rannten: „Ich habe mich noch nie für sportlich gehalten.“

Tatsächlich bin ich wochenlang mit Magenproblemen zu den Treffen gegangen, hatte Angst, nicht mithalten zu können. Mich mit anderen zu messen, das bedeutet immer noch Stress für mich. Als ich dem Trainer davon erzähle, lacht er und sagt: „Du warst jetzt ein paar Mal dabei und rennst inzwischen mit vorneweg. Wieso glaubst du, dass du das nicht schaffst?“

„Du bist unsportlich“: Solch eine Zuschreibung wirkt nach  

Ich beginne, über mein Selbstbild nachzudenken und frage mich: Bin ich womöglich vom „unsportlichen Kind“ zur „sportlichen Erwachsenen“ geworden? Waren die Zuschreibungen jemals zutreffend? Oder sind sie mir inzwischen einfach egal und ich bewege mich gerne, wobei die Angst vor dem Scheitern geblieben ist?

Auch in höherem Alter können Menschen ihre Freude an Bewegung entdecken

Wahrscheinlich falle es Kindern, bei denen die Grundlagen für den Spaß am Sport gelegt wurden, leichter, ein Leben lang aktiv zu sein, sagt Schwarzer: „Aber selbst für Abstinenzler sind in höherem Alter noch Sportkarrieren in gewissem Rahmen möglich.“ Letztlich sei Sport für die meisten Menschen einfach Ausgleich zum Job und gesundheitliche Prävention. „Es geht darum, für sich selbst das Richtige zu finden.“

Die Sportart finden, die einem Freude bereitet

„Joggen ist nicht für jeden etwas. Und wer sich mit seinem Körper nicht wohlfühlt, sollte nicht unbedingt ins Fitnessstudio, wo viele Leute enge Kleidung tragen.“ Für manche sei Ästhetik und Ausdruck wichtig, sie fühlten sich womöglich beim Tanzen wohl. Für andere sei der Aufenthalt an der frischen Luft das Richtige, um Ausgleich zu finden. Wieder andere liebten den geselligen Aspekt in einer Mannschaft oder einem Verein. Manche Menschen hätten Spaß daran, Bahnen zu schwimmen.

Ihre intrinsische Motivation sei das Sporttreiben an sich. Für andere ist es ein Ansporn, die eigenen Daten mit der Fitnessuhr zu messen und Leistungssteigerungen zu verfolgen. Schwarzer sagt: „Es geht darum, in sich hineinzuhören und herauszufinden: Was macht mir Freude?“

Auch das Dehnen gehört dazu nach dem gemeinsamen Training. Bianca Mühlbeyer (vorn) ist ausgebildete Fitness-Trainerin. Sie gibt die Übungen vor.
Auch das Dehnen gehört dazu nach dem gemeinsamen Training. Bianca Mühlbeyer (vorn) ist ausgebildete Fitness-Trainerin. Sie gibt die Übungen vor.  Foto: Seidel, Ralf

Die Laufgruppe gibt Sicherheit und motiviert

Ich spreche mit einer anderen Frau aus der Laufgruppe. Sie sagt, sie habe sich alleine „immer so einen Druck gemacht“ beim Laufen, habe deshalb sogar zwischenzeitlich entschieden, „nie wieder“ Wettbewerbe mitzulaufen. Seit sie bei der Gruppe ist, traut sie sich das wieder zu.

„Der Trainer sieht jeden, egal, welche Zeit man läuft.“ Und wenn jemand keinen guten Tag hat, nehmen die stärkeren Läufer Rücksicht und warten. „Das ist Motivation und Halt für mich“, sagt sie. Ich kann das gut nachempfinden. Sowohl beim Schwimmen als auch in der Laufgruppe fühle ich mich sozial eingebunden und beachtet.

Es geht darum, positive Anreize zu setzen, sagt Dirk Schwarzer 

„Die Trainingsatmosphäre in einer Gruppe muss zu den eigenen Zielen passen“, sagt Dirk Schwarzer. Wenn das der Fall sei, „stecken in so einem Gruppentraining viele Ressourcen, denn man bekommt Anregungen und Unterstützung“, das schaffe ein positives Leistungsklima. Was laut Schwarzer zum Scheitern verurteilt ist: Ansagen vom Arzt, nach dem Motto: „Sie sollten wirklich mal Sport machen“, womöglich in Verbindung mit einer vorweggenommenen Bestrafung wie „sonst bekommen Sie noch einen Herzinfarkt“: „So bekommt man niemanden dazu, sich langfristig mehr zu bewegen.“ 

Zur PersonProfessor Dirk Schwarzer ist Sportpsychologe an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Heilbronn. Er leitet den Studiengang BWL-Dienstleistungsmanagement / Sportmanagement.

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