So lernen Erwachsene Kraulschwimmen: Neckarsulmer Trainer gibt Tipps
Die Autorin konnte nicht Kraulen, bis sie sich vor einem Jahr vornahm, das zu ändern. Was Anfänger beachten sollten, erklärt Paul Harloff, der Leiter des Landesstützpunkts der Schwimmer im Neckarsulmer Sportbad.

Kraulschwimmen lernen mit Ende 40: Das habe ich mir kurz vor Weihnachten 2022 vorgenommen - und damit offenbar bei einigen in meiner Altersgruppe einen Nerv getroffen. Wenn ich von meinem Projekt erzähle, ist die Antwort häufig: "Wow, das würde ich auch gern können." Die meisten schieben schnell hinterher: "Ich könnte das nie!" Wie schwierig ist Kraulschwimmen? Und kann man sich das wirklich selbst beibringen - ich habe Freitag- und Samstagnacht Youtube-Videos studiert und sonntags dann losgelegt. Ist das schlau und was sollte man beachten, wenn man loslegt? Viele Fragen für Paul Harloff, Lehrer und Leiter des Landesstützpunkts der Schwimmer in Neckarsulm.
Verlässliche Zahlen gibt es nicht, doch laut Schätzungen beherrscht ein Großteil der Erwachsenen in Deutschland das Kraulen schlecht bis gar nicht. Die Grundlagen fehlen, denn über Jahrzehnte lernten Kinder in der Schule oder in Kursen zuerst das Brustschwimmen. Kraulen gilt als höhere Kunst. In großen Schwimmnationen wie den USA, Australien oder den Niederlanden starteten Kinder in der Regel mit Kraul- oder Rückenschwimmen, denn das seien die effizienteren Schwimmstile, mit denen man mit vergleichsweise wenig Energie deutlich längere Strecken bewältigen könne, sagt Harloff. In Deutschland sei der Paradigmenwechsel in der Breite noch nicht angekommen. Doch es lohnt sich auch für Erwachsene, das Kraulschwimmen zu lernen, findet er. Das sind seine Tipps:
Wasserlage: Um schnell vorwärtszukommen und nicht so viel Kraft zu vergeuden, müssen Körpermittelpunkt und Beine möglichst nah an der Wasseroberfläche bleiben. Die sogenannte Strecklage zu erlernen sei einer der wichtigsten Faktoren, sagt Harloff. Viele machten den Fehler, die Beine zu weit nach unten hängen zu lassen, das koste unnötig Energie. Deshalb sei es am Anfang wichtig, ganz viel Beinarbeiten zu trainieren, zum Beispiel unter Einsatz eines Schwimmbretts. So gehts: Aus den Beinen kommt die Hauptkraft beim Kraulen, weil sie die größten Muskeln haben. Die Füße sind locker überstreckt und nicht angewinkelt. Aus dieser Haltung heraus erfolgt permanent hintereinander der Beinschlag, genannt "Kicks". Der Einsatz von Flossen kann hilfreich sein, damit bekommt man leicht ein Feedback zur Bewegungsausführung. Bei der optimalen Wasserlage ist der Nacken gestreckt, der Blick gerade nach unten gerichtet. Der Körper bildet eine Linie und dreht in der Längsachse hin und her. Der Po ist unter der Wasseroberfläche, der Bauch angespannt, der Bauchnabel zieht dabei zur Wirbelsäule.

Kurs oder Selbstversuch? An einigen Orten in der Region werden Kraulkurse für erwachsene Anfänger und Fortgeschrittene angeboten, auch im Sportbad in Neckarsulm. Häufig sind diese schnell ausgebucht. Kann sich ein mäßiger Schwimmer das Kraulen selbst beibringen? "Bis zu einem gewissen Grad geht das", sagt Paul Harloff. Ab einem bestimmten Niveau sei Feedback wichtig. "Da ist es gut, wenn jemand von außen beobachtet und einem Rückmeldung gibt." Für den Anfang rät Harloff, über verschiedene Übungen auszuprobieren, welche Effekte sich im Wasser ergeben. Abstoßen vom Beckenrand unter Wasser zum Beispiel mit anliegenden Armen und dann zum Vergleich mit einem Arm vorne oder mit beiden Armen vorne. Oder aber mit einer Faust schwimmen oder als Kontrast mit gespreizten Fingern. "Schwimmen ist Physik", sagt er. Es sei sinnvoll, die Auswirkungen zu verstehen, die Wasserlage und Technik auf die Fortbewegung im Wasser haben.

Atmung: Die Atmung beim Kraulen ist der schwierigste Teil und womöglich auch der Grund dafür, dass Kindern in Deutschland zuerst Brustschwimmen beigebracht wird, mutmaßt Harloff. Denn dabei kann man permanent den Kopf über Wasser halten, auch wenn das technisch nicht korrekt ist. Eigentlich gilt beim Brustschwimmen ebenso wie beim Kraulschwimmen: Ausgeatmet wird unter Wasser. "Das zu lernen ist ganz wichtig." Wer das nicht beherrscht und beim Kraulen versucht, über Wasser aus- und wieder einzuatmen, verfällt leicht in Hektik und hyperventiliert unter Umständen.
Der Kopf sollte durchweg zum Boden des Beckens schauen, lediglich zum Luftholen wird er seitlich aus dem Wasser gedreht. Und zwar nur so weit, bis man mit dem Mund knapp über der Wasseroberfläche Luft holen kann. Kräftig ausgeatmet wird unter Wasser.
Dabei ist es laut Harloff für die Geschwindigkeit nicht maßgeblich, ob im Zweier-Rhythmus nur auf eine Seite geatmet wird oder im Dreier-Rhythmus im Wechsel nach rechts und nach links. "Der Vorteil ist aber, dass man das Atmen auf beiden Seiten lernt, wenn man abwechselt."

Die Arme: Die Rotationsbewegung findet mit den Armen um den Körper herum statt, die Arme fungieren als Antriebsflächen, sagt Harloff. Ein Arm wird weit vor dem Körper ins Wasser getaucht, der andere Arm drückt kraftvoll unter Wasser nach hinten. Dabei wird der vordere Arm samt Schulter nach vorn geschoben. Dadurch bewegt sich auch die Hüfte in leichter Rotation vor. So gleitet man optimal vorwärts. Ein häufiger Fehler ist es, die Arme diagonal nach vorne ins Wasser zu führen. Korrekt ist es, sie gerade einzutauchen. Gerade im Anfängerbereich komme man gut ohne Hilfsmittel wie ein Pull Buoy (Schaumstoffteil, das zwischen die Beine geklemmt wird und Auftrieb gibt) oder Paddles (Handbrettern) aus, erklärt er. "Ich sehe häufig Leute, die mit Paddles ihren Armzug trainieren und denke mir, sie sollten besser erst an ihrer Wasserlage arbeiten." Hilfreich sein könne aber ein Schwimmbrett, um Beintechnik und Atmung schrittweise zu lernen.
Die Gesundheit: Was ich bei meinem Selbstversuch schnell gemerkt habe: Die Zeit im Wasser tut mir mental gut, denn ich konzentriere mich ganz auf meine Bewegungen. Ablenkungen gibt es keine, auch die gedämpften Geräusche unter Wasser wirken beruhigend auf mich. "Nur mit sich selbst und seinen Gedanken beschäftigt zu sein, hat schon was sehr Erholsames", sagt auch Paul Harloff. Reize um einen herum seien ausgeschaltet, damit sei der Sport etwas ganz anderes als das Training im Fitnessstudio, wo für gewöhnlich viele Menschen um einen herum sind und laute Musik läuft. Es bestehe auch kaum die Gefahr, dass man sich durch falsche Technik gesundheitliche Probleme, etwa am Knie, einhandelt, wie das beim Brustschwimmen passieren kann.
Dranbleiben: "Lerne ich das jemals richtig?" Das war am Anfang, als ich noch viel Wasser geschluckt habe und häufig nach ein paar Bahnen im 25-Meter-Becken völlig fertig war, meine häufigste Frage an mich selbst. Ein Schwimmer hat mir damals geraten: "Dranbleiben, das wird!" Ein Jahr später schwimme ich zweimal pro Woche rund 45 bis 60 Minuten - in einem Bad mit 50-Meter-Bahn. Seit Kurzem muss ich auch nicht mehr gegen die Panik ankämpfen, wenn ich sehe, dass das Becken im Bereich des Sprungturms tiefer wird. "Der Einstieg ist total schwierig, da heißt es definitiv dranbleiben" sagt Paul Harloff. Doch das lohne sich auf jeden Fall, schließlich könne man bis ins hohe Alter schwimmen und so etwas für seine Ausdauer, das Herz-Kreislaufsystem, seine Beweglichkeit und die Psyche tun. Für mich persönlich war der vorläufige Höhepunkt nach einem Jahr Trainieren das Lob eines Schwimmers, der mir am Beckenrand sagte: "Du hast eine sehr gute Wasserlage."
Zur Person

Paul Harloff (28) ist Lehrer für Deutsch und Sport am Albert-Schweitzer-Gymnasium in Neckarsulm, Trainer mit A-Lizenz und Leiter des Landesstützpunkts der Schwimmer Neckarsulm.
Kraulkurse
In der Region bieten einige Vereine Kraulkurse an, so zum Beispiel die Triathlon-Abteilung der Sport-Union Neckarsulm (SUN). Im Frühjahr gebe es neue Termine, heißt es auf deren Internetseiten.
Auch im Heilbronner Hallenbad Soleo gibt es Kurse, angeboten von der Schwimmabteilung der TSG 1845 Heilbronn.
Das Tri-Team-Heuchelberg bietet im Internet ebenfalls Kurse für Anfänger und Fortgeschrittene an, im Lehrschwimmbecken der Grundschule Frankenbach. Kursteilnehmer müssen bereits Brustschwimmen können, heißt es dort.