Professor Peter Ruef ist Direktor der Kinderklinik am SLK-Klinikum am Gesundbrunnen in Heilbronn. Die Klinik zählt zu den größten nicht universitären Einrichtungen der Kinderheilkunde im Land. Thomas Weber ist kaufmännischer Geschäftsführer der SLK-Kliniken Heilbronn GmbH.
"Situation generell belastend": So steht es um die SLK-Kinderklinik in Heilbronn
Peter Ruef und Thomas Weber äußern sich im Interview zum schwierigen Stand der Kindermedizin in Deutschland und zur Interimslösung für ein wichtiges Kinder-Zentrum bei der SLK.
Die SLK-Kinderklinik steht unter großem Druck, wie die Kindermedizin in Deutschland insgesamt. Eine Interimslösung für das wichtige Sozialpädiatrische Zentrum SPZ ist zwar gefunden, die Sorgen aber bleiben. "Ich empfinde die Situation als sehr belastend", sagt Kinderklinik-Chefarzt Professor Peter Ruef.
Ein "Neustart" am SPZ sei nötig, sagt SLK-Geschäftsführer Thomas Weber. Von Brancheninsidern erhobene Vorwürfe zur großen Personalnot an der SLK-Kinderklinik und der Verantwortung der Geschäftsführung weist er zurück.
Wie groß war ihr Verständnis dafür, dass die Probleme am SPZ von einem ihrer Oberärzte im Sommer öffentlich gemacht wurden?
Thomas Weber: Die Sorge um die weitere Versorgung der Kinder durch das SPZ war groß, insofern war die Diskussion gerechtfertigt. Der Zeitpunkt des Hilferufs über die Medien war unglücklich, denn wir waren gewissermaßen auf der Ziellinie, was eine Lösung für das SPZ angeht, und die wurde durch die öffentliche Aufmerksamkeit nicht unbedingt unterstützt.

Wie nachhaltig ist die Lösung für das SPZ in Heilbronn?
Weber: Wir müssen dort einen Neuanfang machen, aber zunächst steht die Zwischenlösung für ein Jahr. Die sieht so aus, dass eine erfahrene Ärztin aus der Kinderklinik die Interimsleitung übernimmt und dabei von einem Neuropädiater aus dem SPZ in Maulbronn unterstützt wird. Parallel suchen wir einen Neuropädiater zur Festanstellung am SPZ, diese Funktion braucht es für den Betrieb einer solchen Einrichtung. Zusätzlich sind weitere Stellen ausgeschrieben, beispielsweise für Psychologen. Es gibt einige Bewerbungen.
Die Probleme am SPZ waren intern lange bekannt. Haben Sie sich rechtzeitig genug gekümmert? Hätten Geschäftsführung und Aufsichtsrat vorher aktiv werden müssen? Diese Forderungen standen im Raum.
Weber: Unser Bekenntnis zum SPZ steht, sonst hätten wir die Einrichtung mit dem Weggang der bisherigen Leiterin auch auslaufen lassen können. Andernorts werden solche Strukturen geschlossen, auch weil sie nicht auskömmlich finanziert werden. Wir bräuchten pro Kind von den Krankenkassen einen Satz von 640 Euro, bekommen aber nur knapp unter 400 Euro. Daher ist das natürlich auch ein Finanzierungsthema, pro Jahr fehlen uns bei 2000 behandelten Kindern etwa 400.000 Euro. Wir als Klinik gleichen also jedes Jahr ein Defizit aus, das im ambulanten Bereich anfällt, denn das SPZ ist ein ambulantes Zentrum, das nur räumlich an der Kinderklinik angesiedelt ist. Zur Rolle des Aufsichtsrates kann ich sagen: Wichtige Themen werden dort vorgetragen, aber das Gremium ist nicht für das operative Geschäft zuständig. Dennoch ist es dem Aufsichtsrat immer ein wichtiges Anliegen gewesen, das SPZ weiterzuführen.
Die Kinderärzte aus der Region sagen, das SPZ sei unverzichtbar. Warum ist das so, Professor Ruef?
Peter Ruef: Nur dort können spezielle und aufwändige diagnostische Leistungen angeboten werden, für die es Experten braucht, die es in dieser Breite eben nur in einem SPZ gibt, zum Beispiel Neuropädiater, Psychologen, Physiotherapeuten oder Heilpädagogen. Die Nähe zur Kinderklinik ist dabei hilfreich, um weitere Spezialisten mit einzubeziehen. Die hier gemachten Diagnostiken sind viel zu aufwendig für Kinderarztpraxen, sie sind aber wichtig, damit festgestellt werden kann, ob für Kinder Risiken auf Behinderungen bestehen. Wenn dem rechtzeitig entgegengewirkt wird, kann man viele Schäden mit gravierenden Auswirkungen für das spätere Leben vermeiden.
Welche Kinder kommen ans SPZ?
Ruef: Die Bandbreite ist groß. Dort findet zum Beispiel die Diagnostik für Verhaltensauffälligkeiten wie ADHS oder für Neugeborene mit besonderen Risiken statt, es kommen auch viele Kinder von Geflüchteten mit diversen Erkrankungen und Vorschädigungen mit teils erheblichen Sprachschwierigkeiten. Außerdem geht es um Dinge wie IQ- oder Entwicklungstests, genetische Beratung oder orthopädische Hilfsmittelversorgung. Die Wartezeiten am SPZ betragen jetzt schon bis zu ein Jahr und wir können nur Diagnostik anbieten, für Therapien müssen wir weiterverweisen, die Kapazitäten haben wir nicht. Daher ist es so bedeutsam, dass diese Anlaufstelle in Heilbronn bestehen bleibt. Als die mögliche Schließung im Raum stand, habe ich viele besorgte Anrufe aus umliegenden Kliniken mit großen Zentren wie Heidelberg und Stuttgart bekommen. Auch dort sind die SPZ an der Kapazitätsgrenze und könnten das nicht auffangen.
Nun haben Sie in den vergangenen Wintern immer wieder Hilferufe wegen Überlastung der SLK-Kinderklinik gesendet. Wie ist die Lage insgesamt?
Ruef: Was uns diesen Winter erwartet, wissen wir nicht. Die Situation an der Kinderklinik generell ist belastend. Es wird immer schwieriger, in der Kinderheilkunde Personal zu finden, das breit ausgebildet ist. Wenn bei uns an einer Stelle ein bestimmter Spezialist ausfällt, dann reißt das eine Riesenlücke, weil Schlüsselbereiche teilweise nur mit ein oder zwei Personen besetzt sind. Wenn zum Beispiel unser Kinderonkologe oder der Kinderkardiologe krankheitsbedingt ausfallen, haben wir sofort ein Riesenproblem, weil es keinerlei Reserve gibt. Wir haben an der Kinderklinik in den vergangenen Jahren keinen Personalaufbau gehabt. Da ist es dann auch schwierig, selbst auszubilden, denn dafür braucht man einen festen Personalstamm, der groß genug ist.
Die Personalknappheit bei SLK ist ein immer wiederkehrendes Thema, Vergleiche mit anderen Kliniken scheinen zu belegen, dass SLK deutlich weniger Personal hat.
Weber: Ich halte nichts von reinen Zahlenvergleichen, man muss sie schon in den Kontext zu anderen Faktoren setzen, sonst ist das nicht seriös.
SLK hat Ihrer Meinung nach also nicht zu wenig Personal?
Weber: Wenn man das Gesundheitssystem insgesamt betrachtet, haben wir einen Mangel, die Bundesregierung selbst spricht zum Beispiel von 20.000 oder 30.000 Pflegekräften, die in der Republik fehlen.
SLK schneidet in den bekannten Vergleichen wie dem Klinikatlas der Bundesregierung oder Qualitätsdaten von Krankenhäusern beim Personalquotienten stets schlecht ab. Warum?
Weber: Die Daten stammen häufig aus der Vergangenheit und bilden Faktoren wie die Fallschwere nicht ausreichend ab oder die Tatsache, dass wir viel mit Hilfskräften arbeiten, um die Fachkräfte bei einfachen Tätigkeiten zu entlasten. Auch Unterschiede zwischen den Regionen kommen nicht raus. Und dann ist auch die Frage, ob wir ausgeschriebene Stellen überhaupt besetzt bekommen. Insofern sind mir einfache Vergleiche von A mit B zu platt. SLK hat sicher nicht mehr Personal als andere Kliniken, aber ich würde sagen, auch nicht weniger. Dass Professor Ruef und ich bei Personalfragen unterschiedlicher Meinung sind, ist in einem Betrieb wie SLK mit 5700 Mitarbeitern normal.
Stimmt es, dass Sie dauerhaft Betten auf der Frühgeborenenstation nicht betreiben können, weil das Personal fehlt?
Ruef: Das stimmt leider. Auch da stehen wir nicht allein da, das geschieht gerade in vielen Kinderkliniken. Gesetzliche Regelungen für Mindestanforderungen in der Pflege machen es nicht einfacher.
Schaffen Sie in diesem Jahr die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestmengen für Frühgeborene, ein vom Gesetzgeber geschaffenes Qualitätskriterium für die Versorgung? Sonst droht einer der wenigen gut vergüteten Bereiche in der Kindermedizin wegzufallen.
Weber: Wir hoffen es, müssen aber wahrscheinlich kämpfen, um auf die Mindestmenge von 25 Kindern unter 1250 Gramm zu kommen. In den Vorjahren waren wir immer deutlich über 50, insofern hoffen wir, dass unser Status nicht gleich wackelt.