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Wie Kreml-Propaganda im Grundschulunterricht im Landkreis Heilbronn landen konnte

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In einem Arbeitsblatt an einer Grundschule in der Region finden sich unkommentiert Propaganda-Sätze zum Ukraine-Krieg. Das Material stammt von einer Internetplattform zum Austausch von Lehrmaterial.

von Christine Tantschinez

Den Bildern und Nachrichten aus Fernsehen, Zeitung und Internet über den Krieg in der Ukraine können auch Kinder kaum entkommen. So war das Redebedürfnis bei den Schülern zweier dritter Klassen an einer Grundschule* im Landkreis Heilbronn nach den Faschingsferien enorm. Um das Thema im Unterricht angemessen behandeln zu können, übernahm eine Klassenlehrerin das vorgeblich selbst erstellte Arbeitsmaterial einer Kollegin von einer anderen Grundschule.

Auf den 17 Arbeitsblattseiten waren allerlei Informationen zu Russland, zur Ukraine und zum Krieg gesammelt, dazu Bilder zum Ausmalen, Landkarten und Aufgaben. Eine gute Idee. Was darin aber auch enthalten war, ohne Einordnung oder Relativierung: Putins sehr einseitige Begründung des Angriffs.


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"Putin möchte die Menschen beschützen"

Das Papier, das der Heilbronner Stimme vorliegt, führt unter der Überschrift „Wie kam es zum Krieg" wortwörtlich auf: „Putin erklärte die beiden Gebiete Donesk und Luhansk nun für eigene Länder und schickte dort viele Soldaten hin. Er sagte, er habe Angst, dass es in diesem Gebiet zu Krieg kommen könnte, da die Ukraine die Gebiete nicht einfach kampflos aufgeben wird. Er möchte die Menschen in Donesk und Luhansk mit seinen Soldaten beschützen.“

Zwar ist es ein schöner Grundsatz der Bildung, dass man eigenständige Meinungen der Schüler ermöglichen und daher kontroverse Themen auch kontrovers darstellen sollte. Doch eine weitere Erklärung zu Russlands Angriffskrieg in der Ukraine findet sich auf keinem weiteren Blatt. Die einzige Schilderung entspricht im Gegenteil sehr direkt der offiziellen Begründung aus dem Kreml vom 24. Februar für den Einmarsch in die Ukraine. Dass wiederum eine überwältigende Mehrheit der UN-Vollversammlung, insgesamt 141 Länder, diesen Angriff offiziell verurteilt, wird mit keiner Silbe erwähnt.

Wie kann das passieren? Wie kommen russische Kriegspropaganda-Sätze unkommentiert in das Unterrichtsmaterial einer Grundschule?

Didaktische Kompetenz gefragt

Was Eltern vielleicht nicht wissen: Lehrer und Lehrerinnen erstellen Unterrichtsmaterial auch selbst, wenn das vorliegenden Material für ihre jeweiligen Schüler nicht geeignet erscheint. Das ist in vielen Fällen auch unabdingbar, um den Unterricht zu individualisieren und aktuell zu bleiben. "Lehrer und Lehrerinnen besitzen durch ihre Ausbildung die dazu notwendige didaktische Kompetenz", sagt Markus Wenz vom Schulamt Heilbronn. Es sei auch keine Seltenheit, einmal erstelltes Unterrichtsmaterial anderen Lehrkräften zur Verfügung zu stellen. Jedoch, und darauf weist Markus Wenz hin, sollte der Lehrer das Material nicht ungeprüft verwenden.

Im Falle der Grundschule im Landkreis ging das eher schief. Einem Elternteil fiel das Arbeitsblatt auf, die darauf angesprochene Klassenlehrerin reagierte ehrlich bestürzt. Das wäre ihr nicht aufgefallen, sie wären noch nicht bei diesem Arbeitsblatt angekommen, gab sie an. Die Arbeitsblätter würden sie nur bei Bedarf und nur gemeinsam in der Klasse bearbeiten. Die betreffende Aussage sei absolut nicht in Ordnung und die Arbeitsblätter würden umgehend wieder eingesammelt.


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Die Schulleitung, von unserer Zeitung auf den Vorfall angesprochen, reagierte ebenfalls prompt. Sie habe mit den Lehrkräften der beiden Klassen gesprochen und leider wäre die Seite niemanden aufgefallen, aber auch nicht im Unterricht behandelt worden. „Dass man überhaupt diese Arbeitsblätter genutzt hat, war der Dringlichkeit geschuldet. So kurz nach den Ferien mussten wir reagieren. Und von offizieller Seite gab es keine geeigneten Angebote“.

Offizielle Materialien kamen zu spät 

Offiziell können Lehrkräfte auf Informationen des Kultusministeriums zurückgreifen, beispielsweise vom Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) oder auch auf die Informationen, die das Landesmedienzentrum (LMZ) bereitstellt. Beide Angebote stehen nach Angaben des Kultusministeriums seit dem Ende der Faschingsferien zur Verfügung. Allerdings sei das Material nach Meinung der Schulleitung eher geeignet für die Sekundarstufe II oder als Information für Lehrer, aber nicht für den Grundschul-Unterricht. 


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Lehrer und Lehrerinnen greifen für individuelles Lehrmaterial auch oft auf Plattformen im Internet zurück. Eduki.com ist eine davon, 2016 gegründet, mit mittlerweile nach eigenen Angaben 700.000 Nutzern, 140.000 Unterrichtsmaterialien und 5000 Autoren und Autorinnen.

Eine dieser Autorinnen nennt sich Frau Espunkt und bietet dort für sehr geringes Entgelt selbst erstelltes Unterrichtsmaterial zum Ukraine-Krieg an – unter anderem auch genau die betreffenden Arbeitsblätter. Auch dort findet sich die offizielle Kreml-Aussage als einziger Grund für den Krieg. Auf Anfrage unserer Zeitung bei der Autorin, die als Kontaktmöglichkeit nur ihre Instagram-Seite angibt, warum keine weitere Einordnung stattfindet, antwortet sie: “Das Material wird am Wochenende aktualisiert und auf den neuesten Stand gebracht. Aktuell wird es bei Eduki nicht mehr angeboten. Das Material ist bewusst wertungsfrei gehalten.“

Tatsächlich hat Eduki.com die Autorin gebeten, die Unterlagen zu überarbeiten. Auf unsere Nachfrage gibt Geschäftsführer Max Maendler an: „Die zitierte Stelle ist missverständlich formuliert, insbesondere weil die Autorin die Bildung der indirekten Rede nicht beachtet hat. Grammatikalisch korrekt müsste der letzte Satz heißen: 'Er wolle die Menschen in Donesk und Luhansk mit seinen Soldaten beschützen' . Und noch unmissverständlicher wäre eine Wiederholung des Sprechers gewesen: 'Er behauptete, er wolle die Menschen…'

Gut gemeint, nicht gut gemacht

Eine Autorin auf einer Plattform für Unterrichtsmaterial, die nach eigenen Angaben Grundschullehrerin in Nordrhein-Westfalen ist, beherrscht die indirekte Rede nicht, erstellt aber Lehrmaterial für Grundschulkinder über ein hochsensibles Thema? 53-mal wurde das Material mittlerweile mit "Daumen hoch" bewertet.

"Das lief in diesem Fall wohl nicht gut", sagt Markus Wenz. Aber es sei ein Einzelfall. Die Plattformen, bei denen sich Lehrer und Lehrerinnen bedienten, um möglichst vielfältiges Unterrichtsmaterial zu nutzen, seien nicht das Problem. Dass Lehrer zusammenarbeiten und auch Materialien untereinander teilen, sei nachvollziehbar. Aber Lehrer und gegebenenfalls Fachkonferenz und Schulleitung müssten vor dem Einsatz die Qualität sicherstellen. 

In der betroffenen Grundschule ist man für das Thema jetzt maximal sensibilisiert. Zusätzliches Lehrmaterial zu nutzen bei Themen wie Mathematik oder Sachkunde, wo keine Einordnung nötig sei, sei unproblematisch. Aber bei anderen Themen werde man viel genauer hinschauen, ist sich die Schulleitung sicher. Die Belastung der Lehrkräfte habe in den vergangenen Jahren sicher nicht abgenommen. Jetzt stehe die nächste Bewährungsprobe vor der Tür: Die Aufnahme von aus der Ukraine geflüchteten Kindern. Auch hier steht die Schule erstmal alleine vor der Herausforderung. Es gäbe zwar schon die Anweisung, dass man Kinder aufnehmen müsse. Aber für weiteren Hilfestellung bislang nur den Hinweis „in Bearbeitung“.  

 

*Die Schule ist der Redaktion bekannt

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