Was Stimme-Leser nach zwei Monaten vom 9-Euro-Ticket halten
Seit zwei Monaten sind sechs Stimme-Leserinnen und -Leser mit dem 9-Euro-Ticket unterwegs. Ihr bisheriges Fazit fällt angesichts von Verspätungen und schlechten Verbindungen gemischt aus.
Mehr als 21 Millionen mal wurde das 9-Euro-Ticket verkauft. Dazu kommen laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) rund zehn Millionen Abo-Kunden, denen im Juni, Juli und August entsprechend weniger abgebucht wird. Damit ist das Neun-Euro-Ticket aus Sicht der Bundesregierung schon nach zwei Monaten ein Erfolg. Die Ampel-Koalition will nun die Auswertung der Testphase abwarten, um zu entscheiden, ob es künftig ein deutschlandweites günstiges Ticket für Bus und Bahn geben soll. Der VDV hat vorgeschlagen, dafür 69 Euro monatlich zu berechnen.
Ein weiteres bekanntes Modell ist ein Jahresticket für 365 Euro. Sechs Stimme-Leserinnen und Leser haben das 9-Euro-Ticket von unserer Redaktion bezahlt bekommen und berichten von ihren Erfahrungen. Dabei zeigt sich: Ein günstiger Preis ist gut, täuscht aber nicht über Zugausfälle und überfüllte Bahnen hinweg.
Alyssa Ayers (25), Heilbronn
"Ich bin froh, dass ich das Neun-Euro-Ticket habe", sagt Alyssa Ayers. Denn normalerweise würde das Semesterticket in Stuttgart, wo die 25-Jährige derzeit studiert, mehr als 200 Euro kosten. Dazu kämen Kosten für die Strecke, die im Heilbronner Verkehrsverbund HNV verläuft. "Von mir aus könnte man das Neun-Euro-Ticket also gerne beibehalten", sagt sie und lacht.
Das Neun-Euro-Ticket hat Ayers sowohl fürs Pendeln als auch in ihrer Freizeit und am Wochenende genutzt. Ihrer Erfahrung nach hat sich die Situation in Stuttgart etwas eingespielt. Die Bahnen seien nicht mehr so voll, außer morgens und in den Abendstunden. Auch eine Fahrt nach Mannheim ist laut der 25-Jährigen "entspannt" verlaufen. "Ich hätte es aber gut gefunden, wenn man am Anfang auf einer Übersicht erklärt hätte, wo das Ticket gilt." Freunde von ihr seien erwischt worden, als sie mit dem Billig-Fahrschein den ICE nutzen wollten. Chaotische Zustände wie Anfang Juli, als eine kaputte Oberleitung den Bahnverkehr in Stuttgart lahmlegte, hätten mit dem Neun-Euro-Ticket nichts zu tun, sagt sie. Ein 365-Euro-Ticket wäre für Ayers ein gutes Angebot. "Gut wäre, wenn man das monatlich zahlen könnte. 365 Euro auf einen Schlag sind viel für eine Studentin."
Stephanie Flödl (34), Bad Friedrichshall
Stephanie Flödl und Tochter Emma haben das Neun-Euro-Ticket rege genutzt. "Für uns war das eine positive Erfahrung. Wir waren deutlich flexibler." Statt wie bisher ihre Fahrten mit Bus und Bahn zu planen, konnten die beiden spontan los. Unter der Woche hat die 34-Jährige das Ticket vor allem für Erledigungen genutzt, am Wochenende sind beide zusammen ins Freibad gefahren oder haben die Uroma besucht. "Die besuchen wir gerade tatsächlich ein bisschen öfter", sagt Flödl und lacht. Für die beiden hat sich das Neun-Euro-Ticket im Gegensatz zu einem normalen Fahrschein bereits in der ersten Woche gerechnet.
Besonders am Wochenende seien die Züge ziemlich voll gewesen, berichtet die 34-Jährige. "Dann fiel auch noch die Klimaanlage aus, das war störend." Auch die Toilette sei gesperrt gewesen. Außerdem mussten die beiden mehrmals lange am Bahnhof warten, weil S-Bahnen ausgefallen oder zu spät gekommen sind. Einmal habe sie eine Dreiviertelstunde auf den nächsten Zug warten müssen, berichtet Flödl. "Für mich alleine wäre das nicht schlimm gewesen, aber mit Kind ist das immer so eine Sache." Stephanie Flödl findet sowohl ein 69-Euro-Monatsticket als auch ein Jahresticket für 365 Euro "recht günstig: Ich würde beides befürworten".
Bernd Veith (63), Eberstadt
Bernd Veith aus Eberstadt ist derzeit fast jedes Wochenende mit dem Neun-Euro-Ticket unterwegs. Zuletzt besuchte er das Freilichttheater in Ötigheim bei Rastatt. Meistens hätten solche Reisen relativ reibungslos geklappt, berichtet Veith. Für Bahnreisende Richtung Karlsruhe hat er jedoch einen Tipp: "Es ist keine gute Idee, am Alten Schlachthof umzusteigen, da wartet man die ganze Zeit in der Sonne." Der Albtalbahnhof direkt neben dem Karlsruher Hauptbahnhof sei da die bessere und schattigere Alternative. Auch für den Rückweg aus dem Raum Karlsruhe rät der 63-jährige pensionierte Eisenbahner, die Verbindungen über Stuttgart zu meiden und lieber in die S-Bahnen der Linie S4 zu steigen. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass das besser klappt und weniger los ist."
Allerdings hat auch Bernd Veith bei seinen Zugreisen in den vergangenen Wochen nach Lahr (Schwarzwald) oder Bamberg massiv überfüllte Züge erlebt, in die niemand mehr einsteigen konnte. Das 365-Euro-Ticket sei daher zwar eine gute Lösung. "Man müsste den Nahverkehr aber gleichzeitig auch ausbauen", betont Veith. "Die Bahn ist hoffnungslos überlastet, vor allem am Wochenende. Dauernd fallen Züge aus, weil Mitarbeiter krank sind, die Strecken sind marode. Das muss besser werden."
Familie Dörzbach, Bad Rappenau
Nina Dörzbach zieht für ihre Familie nach rund zwei Monaten ein ernüchterndes Fazit. "Wir nutzen es nicht so, wie wir es uns erhofft hatten." Besonders deutlich wird das als Mutter, Vater und die beiden Söhne mit ihrer Oma zur Gartenschau in Eppingen fahren wollen. Dafür hätte die Familie aus Bad Rappenau-Treschklingen mit dem Bus nach Gemmingen fahren und dort in die Stadtbahn nach Eppingen umsteigen müssen. "Da sind wir mit dem Fahrrad schneller", sagt Nina Dörzbach. Deshalb fährt die Familie nun mit dem Auto, wenn die Oma mitgeht und ansonsten mit dem Rad. Das sei auch zum Einkaufen und ins Freibad schneller.
Die Söhne Hannes (8) und Anton (7) hätten das Neun-Euro-Ticket zwar eigentlich für Schulausflüge nutzen können, hatten aber bereits ein Ticket, das den nötigen Bereich abdeckte. "Mein Mann hat das Ticket bisher gar nicht genutzt." Jetzt hofft Nina Dörzbach auf den Sommerurlaub, den die Familie mit dem Wohnmobil im Schwarzwald verbringt. "Vielleicht können wir dort den Nahverkehr nutzen, wenn die Fahrräder stehen bleiben sollen."
Ein Nachfolge-Ticket würde sich für die Familie niemals lohnen, meint Dörzbach. "Ich wünsche mir eher einen Radweg nach Babstatt in die Schule als eine Busverbindung." Schließlich sei das Fahrrad "nicht das schlechteste" Fortbewegungsmittel.
Elisa Czerny und Jord Janssen (26, 22), Leingarten
Elisa Czerny und Jord Janssen haben das Neun-Euro-Ticket vor allem zum Pendeln zwischen Leingarten und Heilbronn genutzt. Schon vor Juni fuhren die beiden diese Strecke mit der S-Bahn, weil sie auf ein Auto verzichten wollen. "Das Leben ohne Auto klappt super", berichtet Elisa Czerny. "Keine Parkplatzsuche, die Bahnen fahren regelmäßig, Flexibilität ist gegeben und man bewegt sich auch noch mehr." Durch das Neun-Euro-Ticket haben die beiden allerdings viel Geld gespart: 230 Euro hätten die beiden Monatskarten gekostet und wären dann auch nur zwischen Heilbronn und Leingarten gültig gewesen. Damit seien das Neun-Euro-Ticket "und regionale, größere Freiheit schon ein dickes Plus", sagt Czerny.
Auch in ihrer Freizeit waren die beiden mit dem Zug unterwegs, wählten dafür aber den ICE. "Auf weiteren Strecken verzichten wir nicht gern auf den ICE, da braucht man mit Regionalbahnen einfach zu lange", erklärt die 26-Jährige. Dennoch haben sie auf ihren Reisen in Deutschland mit dem Neun-Euro-Ticket rund 60 Euro gespart. Ihr generelles Fazit nach zwei Monaten: "Es ist leichter geworden, sich auf spontane kleine Ausflüge einzulassen." Als Nachfolgeangebot für den Billig-Fahrschein halten die beiden ein 365-Euro-Jahresticket für die beste Option.
Marco Gegner (28), Weinsberg
Mit dem Neun-Euro-Ticket war Marco Gegner hauptsächlich auf seinem Arbeitsweg zwischen Weinsberg und Heilbronn unterwegs. Das habe in den vergangenen Wochen gut geklappt, berichtet der 28-Jährige. Seine Bahnen kamen pünktlich, verlässlich und sind auf dieser Strecke nahezu im Viertelstundentakt unterwegs. "Es dauert halt einfach viel länger", sagt Gegner. Denn normalerweise würde er diese Strecke mit dem Elektroauto fahren. Die Flexibilität, die das Auto bietet, fehlt ihm bei der Nutzung von Bus und Bahn.
Am Wochenende ist der Schiedsrichter zu mehreren Fußballspielen im Land gefahren. Besonders am Wochenende sei der Nahverkehr jedoch eingeschränkt und die Rückreise deshalb mit Planung verbunden gewesen, berichtet Gegner. "Das Spiel ist vorbei aber es kommt halt gerade nichts. Wenn man da den Vergleich zum Auto hat, ist das schon nervig."
Ein Monatsticket für 69 Euro hält der 28-Jährige für keine gute Idee. Denn das sei teurer als die Betriebskosten seines E-Autos, sagt Gegner. "Das würde für mich keinen Sinn ergeben." Er befürwortet stattdessen ein deutschlandweit gültiges 365-Euro-Ticket, allerdings nur, wenn damit auch Fernverkehrszüge genutzt werden können. "Dann würde ich das in Erwägung ziehen."