Stimme-Leser ziehen Fazit nach zwei Wochen 9-Euro-Ticket
Seit zwei Wochen gilt im Regionalverkehr in ganz Deutschland das 9-Euro-Ticket. Sechs Stimme-Leserinnen und -Leser berichten, was sie auf ihren Reisen mit dem Ticket erlebt haben.

Seit zwei Wochen gibt es das 9-Euro-Ticket. Mit dem günstigen Fahrschein können Reisende im Juni, Juli und August mit Zügen, Stadtbahnen und Bussen im Regionalverkehr durch ganz Deutschland fahren. Ziel der Bundesregierung ist es, die Bürger in Zeiten explodierender Spritpreise zu entlasten.
Doch viele Menschen nutzen das Ticket auch in ihrer Freizeit: Am Pfingstwochenende meldete die Deutsche Bahn besonders auf touristischen Strecken Überlastungen. Das Land appellierte daraufhin für das vergangene Wochenende, besonders schnelle Interregio-Züge zu meiden und keine Fahrräder mitzunehmen.
Wie ist das 9-Euro-Ticket in der Region angelaufen? Unsere Redaktion hat den Fahrschein sechs Leserinnen und Lesern spendiert. Deren Erfahrung: Ein günstiges Ticket macht noch keinen guten Nahverkehr aus.
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Alyssa Ayers (25), Heilbronn
Alyssa Ayers hat bei ihren Fahrten mit dem 9-Euro-Ticket keine guten Erfahrungen gemacht. "Ich verstehe nicht, warum man ein 9-Euro-Ticket einführt, wenn dann überall Baustellen sind." Die Studentin ist mehrmals von Stuttgart nach Heilbronn gefahren und musste dabei in Ludwigsburg umsteigen. "Es war total überfüllt und chaotisch", erzählt die 25-Jährige.
"Der Bahnhof ist einfach nicht für so viele Umsteiger ausgelegt." Auch allzu entspannt waren die Reisen nicht, erzählt Ayers. In die Bahnen habe sie sich "gerade noch reinquetschen" können und musste dann stehen. Besonders spärlich sei der Platz für die vielen Ausflügler mit Fahrrädern gewesen. "Die brauchen halt viel Platz." Aber es gibt auch Positives: "Ich finde es angenehm, nach Heilbronn zu fahren, ohne mir jedes Mal ein Ticket kaufen zu müssen."
Innerhalb Stuttgarts hat sich für die Studentin dagegen wenig geändert. Eine Fahrt zu einem Festival mit der hiesigen S-Bahn ist ebenfalls ohne Zwischenfälle verlaufen. Zwei Wochen nach Start zieht Alyssa Ayers damit ein gemischtes Fazit zum 9-Euro-Ticket. "Ich finde es schon sehr gut, weil ich finde, dass sich jeder öffentliche Verkehrsmittel leisten können muss", sagt sie. "Ich verstehe nur die ganzen Baustellen nicht. Der Stuttgarter Hauptbahnhof ist da auch eine Katastrophe."
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Stephanie Flödl (34), Bad Friedrichshall
Das 9-Euro-Ticket hat Stephanie Flödl in den ersten zwei Wochen fast täglich genutzt. "Es ist einfach angenehmer, wenn man ein bisschen mobiler ist." Während die Tochter in der Kita war, ist die 34-Jährige zum Beispiel Einkaufen gefahren. An den Wochenenden ging es für die beiden dann mit Bus und Bahn ins Freibad oder zum Buga-Gelände. "Das hätten wir ohne das Ticket zwar auch gemacht", erzählt Flödl. "Dann aber nicht spontan, sondern ich hätte es eingeplant, wenn das Geld da ist." Das ist aus ihrer Sicht auch der Hauptnutzen des günstigen Fahrscheins. "Es ist alles ein bisschen spontaner. Weil man einfach mal zwei Stationen fahren kann, ohne darüber nachdenken zu müssen."
Am Bahnsteig sei es anfangs zum Teil noch ziemlich voll gewesen, berichtet Flödl. Das habe vor allem an Bauarbeiten am Bahnhof in Kochendorf gelegen. Während dieser Zeit mussten die beiden von der Bahn auf Busse ausweichen, in denen Stehen angesagt war. "Da war ich sehr froh, dass jemand aufgestanden ist, damit wenigstens die Kleine sitzen konnte. Das fand ich schön!"
Wenn das Wetter weiterhin gut bleibt, möchten die beiden noch öfter ins Freibad gehen. Ansonsten soll das 9-Euro-Ticket vor allem für tägliche Wege und Erledigungen zum Einsatz kommen. "Das war der Plan, das Ticket im Alltag zu nutzen."
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Bernd Veith (63), Eberstadt
Ganz Deutschland erkunden, das war Bernd Veiths Plan für das 9-Euro-Ticket. Welche Tücken das birgt, hat der 63-Jährige bei einem Ausflug ins hessische Rüdesheim am vergangenen Wochenende erlebt, wo er sich die historische Drosselgasse angeschaut hat. Etwas mehr als vier Stunden hat das gedauert, wie Veith erzählt. "Auf der Hinfahrt war der Zug ziemlich voll aber wir hatten einen Sitzplatz."
Das Pech ereilte den Rentner dann bei der Rückfahrt am Abend desselben Tages. "Zwischen Frankfurt und Darmstadt war eine Weichenstörung. Deshalb sind wir erstmal in Darmstadt gestrandet", berichtet Veith. Der Regionalzug, der den Rentner zurück Richtung Eberstadt hätte bringen sollen, sei mindestens eine Stunde verspätet gewesen. Deshalb hat der pensionierte Eisenbahner quasi die Joker-Karte gespielt und seine Freikarte genutzt, um auf den ICE umzusteigen. "In Heidelberg haben wir den Regionalexpress nach Bad Friedrichshall noch bekommen."
Veith schätzt, dass viele das 9-Euro-Ticket zwar für Ausflüge nutzen, jedoch nur wenige dauerhaft auf Bus und Bahn umsteigen. Er selbst findet, dass sich weite Strecken weniger für Tagesausflüge eignen. "Da muss man so oft umsteigen und der Aufenthalt ist kurz." Deshalb soll es demnächst nach Bamberg und Würzburg gehen.
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Familie Dörzbach, Bad Rappenau
Für Nina Dörzbach aus Bad Rappenau-Treschklingen und ihre beiden Söhne Hannes und Anton ging die erste Reise mit dem 9-Euro-Ticket nach Stuttgart. Während die Hinfahrt reibungslos verlief, erlebten die drei auf der Rückfahrt einiges. Der Zug, mit dem die Dörzbachs eigentlich fahren wollten, tauchte zwar in der Bahn-App auf, aber nicht auf den Anzeigen am Bahnhof.
"Auf Nachfrage bei einem Bahnmitarbeiter wurde uns mitgeteilt, dass diese Verbindung wegen Bauarbeiten ausfiele", berichtet Nina Dörzbach. Also nahm die Familie den nächsten Zug, zehn Minuten später. "Dieser war gut besucht, wir konnten aber alle sitzen. Leider war auch ein von Durchfall geplagter Hund mit von der Partie."
Zwei Umstiege später sitzen die Dörzbachs im Bus nach Hause. "Hier konnte ein betrunkener Fahrgast seine Bierdose nicht mehr festhalten, das Bier hat sich über den Fußboden verteilt. Alles Dinge, die meine Kinder so noch nicht kannten", erzählt Nina Dörzbach. Als die Familie "müde und genervt" in Bad Friedrichshall ankommt, treffen sie einen Zugführer, der gerade Pause macht und die beiden Söhne in den Führerstand mitnimmt. "Er hat alle Fragen beantwortet und die Jungs durften sogar auf seinen Stuhl sitzen und ich sie fotografieren. Er war sehr nett zu den Kindern. Das hat uns für die Unannehmlichkeiten mehr als entschädigt!"
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Elisa Czerny und Jord Janssen (26, 22), Leingarten
Elisa Czerny (26) und Jord Janssen (22) nutzen das 9-Euro-Ticket und den öffentlichen Nahverkehr so, wie sie es zuvor auch getan haben. Fast täglich fahren die beiden von ihrem Wohnort Leingarten zu ihrem Arbeitsplatz nach Heilbronn. "Ganz ehrlich: Meiner Meinung nach hat sich kaum etwas verändert", berichtet Elisa Czerny. Besonders in der Ferienzeit seien die S-Bahnen der Linie S4 vergleichsweise leer. Für sie sei das überraschend gewesen. "Der Ansturm, mit dem ich auch gerechnet hatte, ist ausgeblieben."
Nur in den Abendstunden sind die Stadtbahnen aus Sicht der 26-Jährigen etwas voller. "Vielleicht nutzen viele das Ticket, um abends wegzugehen." Am Wochenende waren die beiden sowohl in der Stadt als auch im Landkreis Heilbronn unterwegs. Dort sei ihr jedoch ebenfalls kein großer Unterschied aufgefallen, berichtet Czerny.
Das günstige 9-Euro-Ticket bewerten die beiden dennoch positiv. "Es ist ein super Angebot, das wir weiter nutzen werden", erzählt Czerny. In den Sommermonaten wollen Czerny und Janssen in ihrer Freizeit ein paar Mal mit der Bahn verreisen und austesten, ob das 9-Euro-Ticket dort überall gilt oder ob sie auf einzelnen Strecken einen Aufpreis zahlen müssen. Bisher lautet das Fazit jedoch: "Alles entspannt."
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Marco Gegner (28), Weinsberg
Marco Gegner hat mit dem 9-Euro-Ticket ein Experiment verbunden: Kann die Bahn das E-Auto auf seinem Arbeitsweg von Weinsberg nach Heilbronn schlagen? Nach zwei Wochen fällt seine Bilanz eher negativ aus. "Ich bin zeitlich total unflexibel und verliere gefühlt eine Stunde am Tag." Denn mit dem Auto gehe es direkt von A nach B. Wenn er die Bahn nehme, muss Gegner zum Bahnhof laufen, einen Zeitpuffer einplanen und von der Haltestelle zu seinem Arbeitsplatz laufen. "Das ist deutlich zeitaufwendiger."
Das gleiche Problem sieht der 28-Jährige bei Bahnreisen in der Freizeit. Wenn er Verwandte in Rostock besucht, dauert das mit dem ICE rund acht Stunden. "Mit dem Regionalverkehr wären es 15 bis 16 Stunden mit acht Mal umsteigen. Und wenn ein Regionalexpress zu spät kommt, hockt man in der Prärie." Selbst ein Trip an den Bodensee dauere lange und sei mit mehreren Umstiegen verbunden.
Gegner plant deshalb in nächster Zeit nur Reisen zu Zielen, die innerhalb von rund zwei Stunden erreichbar sind – etwa nach Schwäbisch Hall oder Nürnberg. Er hofft, dass es irgendwann statt des 9-Euro-Tickets ein Jahresticket für 365 Euro geben wird, mit dem man auch den Fernverkehr nutzen kann. "Das wäre eine Überlegung wert."