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Stimme-Leser berichten von ihren Reiseplänen mit dem Neun-Euro-Ticket

  
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Es ist wohl das größte Bus-und-Bahn-Experiment aller Zeiten: Für neun Euro pro Monat geht es von Juni bis August im Nahverkehr durch ganz Deutschland. Wir haben Lesern das Ticket spendiert und fragen sie nach ihren Erfahrungen.

Es ist wohl das größte Bus-und-Bahn-Experiment aller Zeiten: Für neun Euro pro Monat geht es von Juni bis August im Nahverkehr durch ganz Deutschland. Im Stuttgarter Verbund, hier auf unserem Foto, ist es schon zu haben, im HNV voraussichtlich ab Montag. Wir haben Lesern das Ticket spendiert und fragen sie nach ihren Erfahrungen. Sommermärchen oder Bahn-Blues? Zum Auftakt erzählen die Gewinner von ihren Reiseplänen.


 

  • 1

    #teamcouple: Immer ohne Auto

    Mit den Hashtags #mitanderenfährtssichbesseralsallein und #teamcouple haben sich Elisa Czerny und Jord Janssen auf den Aktionsaufruf gemeldet. "Wir beide leben gemeinsam in Leingarten und leben ohne ein Auto, da wir bisher ganz gut ohne zurechtkommen", schreiben sie.

    Die beiden sind Stammkunden im Nahverkehr, die 26-Jährige und der 22-Jährige arbeiten in Heilbronn und pendeln mit der Stadtbahnlinie S4. "Das Gleiche machen wir, wenn wir abends in der Stadt was Essen gehen möchten oder es uns zu einer Veranstaltung hinzieht." Die Leingartener sind ÖPNV-Kunden, manchmal eher widerwillig, wie sie gestehen. Verspätungen, Zugausfälle, lange Reisezeiten – mitunter sind sie genervt, nicht immer stimme das Preis-Leistungs-Verhältnis. Beim Neun-Euro-Ticket ist es unschlagbar. Das Paar plant über die Alltagspendelei hinaus Ausflugsfahrten und Verwandtenbesuche in der Region.

    "Wir lieben es, die Umgebung um Heilbronn und darüber hinaus zu erkunden." Bis in die Niederlande, wo Janssens Eltern wohnen, soll es im Sommer gehen, auf deutscher Seite mit dem Rabattticket. Wie erleben die Stammkunden den zu erwartenden Run auf Bus und Bahn? Sind sie genervt von vollen Zügen und Bussen, am Ende gar verprellt und reif fürs Auto?

    Solche Effekte fürchten Kritiker wie der Fahrgastverband Pro Bahn, der das Neun-Euro-Ticket als "Strohfeuer" ohne nachhaltige Wirkung bezeichnet hat. Vielleicht sind die Stammkunden anschließend aber erst recht überzeugt von den Möglichkeiten, die der Nahverkehr bietet. Elisa Czerny und Jord Janssen werden es erleben und regelmäßig in der Heilbronner Stimme von ihren Erfahrungen berichten. 

  • 2

    Mit der Familie auf Tour

    Bei Familie Dörzbach aus Bad Rappenau-Treschklingen fahren bislang nur die Kinder Hannes (8) und Anton (7) mit Bus und Bahn. Für die Eltern Nina und Claus sind öffentliche Verkehrsmittel eher fremdes Terrain. "Bisher fand ich das im Alltag schwierig bis unmöglich", sagt Nina Dörzbach. Jetzt wollen sie es testen, das Neun-Euro-Ticket als Versuchsballon nutzen und vielleicht dauerhaft bleiben. "Ich bin wirklich gespannt, ob ein Umsteigen möglich ist."

    Genau darauf zielt das Rabattticket ab, das der Bund als Teil des Entlastungspakets auf den Weg gebracht hat. Das Schnupperangebot soll Zweifler überzeugen, Pendler dauerhaft vom Auto auf die Schiene oder in den Bus bringen. Die ÖPNV-Strategie des Landes sieht vor, die Fahrgastzahlen in Baden-Württemberg bis 2030 zu verdoppeln. Was das bedeutet und wie voll die Züge werden, dafür dürfte die Neun-Euro-Aktion einen Vorgeschmack bieten.

    Familie Dörzbach will das Ticket auch für Freizeitaktivitäten nutzen, etwa um von Treschklingen nach Eppingen zur Gartenschau zu fahren. "Das wird sicher spannend, denn ich werde mit zwei Grundschülern und meiner 75-Jährigen Mutter die Dauerkarte in Eppingen nutzen", sagt Nina Dörzbach und blickt auch schon auf den Sommerurlaub. "Da wollen wir, wenn das Wohnmobil abgestellt ist, das Ticket fürs Pendeln in die nächst größere Stadt oder zur Rückfahrt nutzen."

    Dann sollen auch die Fahrräder mit an Bord. Das wird besonders heikel. Auf beliebten Strecken werden Engpässe befürchtet, besonders Radlern wird dann Flexibilität abverlangt. Forderungen, die Fahrradmitnahme während der drei Monate zum Teil einzuschränken, sind aber verhallt. 

  • 3

    Endlich günstiger unterwegs

    Für Stephanie Flödl aus Bad Friedrichshall ist das Neun-Euro-Ticket vor allem eine willkommene Entlastung. Wie so viele muss die alleinerziehende Mutter genau aufs Geld schauen. Erst kürzlich ist sie mit Tochter Emma umgezogen. "Wir kennen hier niemand, Freunde aus dem ehemaligen Kindergarten sind weiter weg, noch dazu habe ich kein Auto mehr", erzählt sie.

    Einkaufen, Arzttermine – alles wird mit Bus und Bahn erledigt. "Das geht ordentlich ins Geld." Bei der Fahrt nach Heilbronn kostet das HNV-Tagesticket 7,20 Euro. Mal nach Offenau, mal nach Neckarsulm – das läppert sich schnell. Die neun Euro rentieren sich da binnen kürzester Zeit, hofft die 34-Jährige auf ein wenig Entlastung. Zuletzt habe sie schon aus Kostengründen auf Ausflüge verzichtet.

    Im Sommer wollen Mutter und Tochter mehr unternehmen, Ausflüge machen, Freunde besuchen, ins Freibad gehen. "Mobil sein mit Kind ist einfach so wichtig", sagt sie.  Sparpotenzial steckt tatsächlich in dem zeitlich befristeten Angebot. Eine Monatskarte im HNV-Netz kostet 95,50 Euro, jetzt sind es vorübergehend mehr als 90 Prozent weniger. Von September an gelten wieder die regulären Preise. Wer bereits ein Abo hat, der muss übrigens nichts tun, betont der Verbund. In diesen Fällen werden in den drei Monaten jeweils nur neun Euro abgebucht.

    In den HNV-Verkaufsstellen soll es das Neun-Euro-Ticket von Montag an geben. In der App des Verbunds und an den Fahrkartenautomaten wird es noch eine Weile dauern. In Stadtbussen werden keine Zeitkarten verkauft, auch nicht das Neun-Euro-Ticket. Stephanie Flödl wird sich die Chance nicht entgehen lassen und von Juni an mit Emma auf Tour gehen. 

  • 4

    Mit der App geht es ab

    Ganz Deutschland erkunden – nicht weniger hat sich Bernd Veith mit dem Neun-Euro-Ticket vorgenommen. Dazu braucht es eigentlich nicht mehr als die Navigator-App der Bahn, der Rentner aus Eberstadt ist mit dem Hilfsmittel bestens vertraut. "Die App ist beim Umsteigen in Bus und Bahn sehr wichtig."

     Eines braucht es dann doch noch: Zeit und Geduld. Wer mag, kann durchaus mit dem Nahverkehr von Heilbronn nach Sylt gelangen. Ab Heilbronn Hauptbahnhof morgens um 7 Uhr, an Westerland um 22.06 Uhr, dazwischen acht Umstiege und knapp 15 Stunden Fahrzeit. Es geht. Aber solche Gewalttrips hat Bernd Veith eher nicht im Sinn.

    "Landesgartenschauen, Museen, Sehenswürdigkeiten in Deutschland" stehen auf seiner To-Do-Liste.  Und zunächst geht es gar nicht so weit fort: Die Tatort-Premiere auf dem Stuttgarter Schlossplatz ist eingeplant, ein Fest in Schwäbisch Hall, die Gartenschau in Eppingen. Auch Verwandtenbesuche in Leingarten gehen günstiger.

    Die Bahnverbindungen von Weinsberg seien prima, der Bus von Eberstadt nach Weinsberg wegen der spärlichen Verbindungen aber "nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig", sagt Veith, der sich in Sachen Bahn als "vorbelastet" bezeichnet. Lange arbeitete er bei der Deutschen Bahn, war Fahrdienstleiter mit Dienstsitz am Bahnsteig und bekam hin und wieder den Zorn der Kundschaft ab.

    Dass beim Neun-Euro-Ticket alles reibungslos läuft, glaubt er allerdings nicht. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass das gut geht", sagt der 63-Jährige mit Blick auf möglicherweise übervolle Züge. Aber dann sucht sich der Eberstadter eben mit der App eine andere Verbindung. 

  • 5

    S4 statt E-Auto: Die Wette gilt

    Umweltbewusstsein ist für Marco Gegner wichtig. Mit einem E-Auto fährt er täglich von Weinsberg nach Heilbronn, wo der 28-Jährige bei der Kreissparkasse arbeitet. Das Büro ist in der Hauptstelle am Wollhaus, einen Stellplatz hat er gemietet. "Schon länger spiele ich mit dem Gedanken, die gut getaktete S-Bahn Verbindung von Weinsberg nach Heilbronn Harmonie zu nutzen", sagt Gegner. "Abschreckend war bisher der hohe monatliche Preis für das Monatsticket von 70 Euro." Das Neun-Euro-Ticket ist die willkommene Möglichkeit, die Probe aufs Exempel zu machen. Auto oder Bahn: Die Wette gilt.

    Auch in der Freizeit wagt Gegner das Schienenexperiment. Mit seiner Frau verreise er gerne innerhalb von Deutschland. "Bisher nutzen wir das Auto." Jetzt bringt die beiden zumindest drei Monate lang die Bahn ans Reiseziel. Und: Der 28-Jährige ist als Fußball-Schiedsrichter am Wochenende viel zu den Spielen in ganz Baden-Württemberg unterwegs.

    Nun testet der Unparteiische, ob es auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln rechtzeitig zum Anpfiff reicht. Er hat eine Liste gemacht, welche Punkte er abklopfen will. Ist der Nahverkehr pünktlich und zuverlässig, wie passen die Fahrpläne? Sind die Züge stark überlastet? Am Ende wird sich zeigen, welches Verkehrsmittel das Rennen macht.

    Ausbaufähig ist der Anteil der Öffentlichen in jedem Fall. In Baden-Württemberg wurden nach einer Untersuchung 2017 zehn Prozent der Wege mit Bus und Bahn zurückgelegt, hingegen 44 Prozent mit dem Auto. Diesen sogenannten Modal Split will auch die Stadt Heilbronn im Rahmen ihres Klimaschutzkonzeptes hin zu mehr nachhaltiger Mobilität ändern.

  • 6

    Bahn besser als Autobahn 

    "Zunächst nutze ich das Ticket für alltägliche Strecken", sagt Alyssa Ayers. Die 25-Jährige kommt aus Heilbronn, studiert Soziale Arbeit an der Dualen Hochschule in Stuttgart. "Ich fahre regelmäßig mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zwischen Stuttgart und Heilbronn." In die Sommermonate Juli bis September fällt die Praxisphase, dann will sie mit Bus und Bahn zur Arbeit fahren.

    "Außerdem unternehme ich am Wochenende und in meinem Urlaub gerne und oft Kurztrips durch Deutschland." Mit dem Neun-Euro-Ticket werde es leichter, Freunde innerhalb Deutschlands zu besuchen. "Als typische Studentin habe ich viel Zeit und wenig Geld und nutze meine Zeit gerne im Bus und in der Bahn statt auf der Autobahn."

    Zu den Rekordjägerinnen zählt Alyssa Ayers allerdings nicht. Sie hat nicht vor, die grenzenlose Freiheit zum Kilometersammeln zu benutzen. Aber mal nach Mannheim oder Heidelberg, eventuell auch per Bahn nach Berlin, wo Freunde wohnen. "Ich mache das von den Verbindungen abhängig." Obwohl gerade die Frankenbahn nach Stuttgart bei Pendlern für ihre Verspätungsanfälligkeit gefürchtet ist, hat die Studentin überwiegend gute Erfahrungen gemacht. "Das ging eigentlich immer glatt." Neulich gab es eine größere Verspätung bei der Fahrt nach Köln.

    Die Rückerstattung kam prompt. "Der Service hat gestimmt." Nur die Preise stimmten oft nicht im Verhältnis zum Studenten-Budget. Die Strecke nach Stuttgart kostet einfach und ohne Ermäßigung bereits mehr als das Neun-Euro-Ticket – und das bietet einen Monat lang freie Fahrt auf allen Nahverkehrs- und Regionalstrecken im Bundesgebiet. Wir berichten regelmäßig von den Erfahrungen unser Ticket-Tester. 

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