Warum viele gute Vorsätze nach kurzer Zeit scheitern
Auf Silvester folgt die Zeit der guten Vorsätze. Zu Beginn des neuen Jahres sind die Fitness-Studios voll, wenig später lässt die Motivation zum Work-out bei vielen wieder nach. Der Psychotherapeut Horst Bertsch verrät, wie Durchhalten gelingen kann.

Das mit den guten Vorsätzen ist so eine Sache. Die ersten Tage im neuen Jahr wird gefastet und gesportelt, Tee statt Bier getrunken und brav die Wohnung geputzt. Doch kaum ist der Januar vorbei, sind viele gute Vorsätze schon wieder Geschichte. Warum das so ist, erklärt Horst Bertsch, Psychotherapeut mit eigener Praxis in Neuenstein.
Diesen Beitrag haben wir im März 2018 im Rahmen unserer Interview-Serie erstmals veröffentlicht. Eine Auswahl von Gesprächen mit anderen spannenden Personen aus der Region finden Sie hier.
Herr Bertsch, sind Sie mit einem guten Vorsatz ins neue Jahr gestartet?
Horst Bertsch: Ja.
Und was haben Sie sich vorgenommen?
Bertsch: Dass ich von meinen schlechten Essgewohnheiten wegkomme und meinen Sport intensiviere.
Das ist ja ein richtiger Klassiker.
Bertsch: Ja, das ist so richtig kitschig. Aber ich habe mir auch überlegt, wie mache ich es, dass es wahr wird. Das Spannungsfeld zwischen guten Vorsätzen und der Realität ist immer ambivalent. Ich bin noch immer nicht so gertenschlank, wie ich es gerne wäre. Aber ich denke, ich habe etwas hinbekommen, das eine Blaupause sein könnte für die, die nicht nur gute Vorsätze fassen, sondern sie auch durchziehen wollen.
Die Blaupause könnte wie aussehen?
Bertsch: Schweigen und machen.
Das heißt, keiner wusste von Ihrem guten Vorsatz?
Bertsch: Nein, aber nur die nötigen Menschen. Statt zu reden, wurde gehandelt.
Und wie?
Bertsch: Wir haben Silvester zu Hause gefeiert. Ich habe gut gekocht, wie ich es gerne tue. Aber ab Mitternacht bis zum 7. Januar habe ich heilgefastet.
So richtig mit Gemüsebrühe und ganz ohne Sekt?
Bertsch: Das Glas Sekt gab es noch. Dann kam die Gemüsebrühe.
Das ist hart?
Bertsch: Das Ziel war nicht, zehn Kilo abzunehmen und dann mit Jojo-Effekt wieder zuzunehmen. Das Ziel war, eine Woche Abstand von den schlechten Angewohnheiten zu bekommen, wieder gesünder zu essen, damit es leichter fällt, der Chipstüte am Abend zu wiederstehen.
Das Heilfasten also als Reset-Knopf, damit es dann auf einem anderen Level wieder weitergehen kann?
Bertsch: Genau. In meiner Theorie sind die schlechten Gewohnheiten das Alltagsgegenprogramm zu den guten Vorsätzen.
Warum scheitern so viele schon Mitte Januar an ihren guten Vorsätzen?
Bertsch: Die guten Vorsätze sind nicht schlecht. Man hat ein Ritual. Viele machen zum Jahresende eine Bilanz dessen, was war, und eine Vorschau auf das, was wohl kommen wird. Man hängt zum Jahreswechsel seinen Optimismus an neue Ziele.
Aber warum an Silvester?
Bertsch: Es stimmt schon. Das könnte ebenso der 1. März sein. Aber zum Jahreswechsel wird man halt oft gefragt, was man sich vorgenommen hat, und da möchte man dann was Gutes dazu sagen. Außerdem: Die Idee der Verbesserung motiviert. Doch der Aufwand der Umsetzung wird oft unterschätzt. Der Jahreswechsel ist beliebt, weil es eine klare Zäsur ist. Das neue Jahr beginnt mit einer Rückschau. War ich zufrieden mit dem, was war? Was kommt im neuen Jahr auf mich zu? Bleibe ich gesund? Will ich im Freibad eine gute Figur machen? Was sind die Themen, die ich vor mir herschiebe? Und für alle, die keine guten Vorsätze bemühen: Herzlichen Glückwunsch, dass sie so leben, wie sie leben möchten.
Wenn gute Vorsätze scheitern, sind dann die Ziele zu groß, zu unrealistisch?
Bertsch: Nicht zwingend. Aber man sollte sich Zwischenschritte einbauen und sich klar sein, wie viel mentale Kraft es kostet, sich gegen die Macht der Gewohnheit zu stellen.
Was kann helfen?
Bertsch: Sicherlich realistische und möglichst konkret gefasste Ziele. Auch sollte man sich Gedanken über das Wie machen und nicht nur über das Wohin. Entschlossenheit gehört auch dazu. Man könnte es auch Sturheit nennen.
Wer bis wann nicht gescheitert ist, hat es geschafft?
Bertsch: Dann, wenn man einen Vorfall nicht mehr als Rückfall betrachtet.
Das heißt?
Bertsch: Viele wollen aufhören zu rauchen. Dann sitzen sie nach drei Wochen einen Abend in der Kneipe und haben drei Bier getrunken. In der Folge stehen sie mit ihren Kumpels vor der Tür und rauchen eine, kaufen eine Schachtel und rauchen die leer. Statt am nächsten Tag zu sagen, das war ein Fehler, und das ursprüngliche Ziel wieder zu verfolgen, sagen sie, so bin ich halt. Und sie rauchen weiter.
Hat das mit Sucht zu tun?
Bertsch: Viele reden über Sucht, wo Sucht noch keine Zwangsläufigkeit ist, sondern eine Hingabe an eine schlechte Gewohnheit.
Wer sich jedes Silvester vorgenommen hat, mit dem Rauchen aufzuhören und Ostern wieder raucht, der sollte was tun?
Bertsch: An einem seriösen Raucherentwöhnungsprogramm teilnehmen.
Und welche Tricks helfen gegen die Chipstüte am Abend?
Bertsch: Hier könnten konsequente Verhaltensregeln helfen, die lebensnah genug sind und für die man sich verpflichtet. Zum Beispiel, indem man sich einer sozialen Gemeinschaft gegenüber rechtfertigt. Und womöglich hilft eine schonungslose Auseinandersetzung damit, welche Funktion das Essen bisher hatte.
Und wie sieht es mit Sport aus?
Bertsch: Ich gehe wieder zweimal die Woche joggen und schon vor Silvester habe ich mit Freunden eine Alpenüberquerung mit dem Rennrad klargemacht. Das schafft kurzfristige Motivation, ist eine konkrete Verpflichtung. Und am Ende steht eine Belohnung. Die Chancen, das Sportpensum durchzuziehen, wachsen damit.
Wann kann man sagen, dass man es geschafft hat?
Bertsch: Erst wenn die schlechte Gewohnheit sich ausverwahrlost hat und die neuen Gewohnheiten darüber gewachsen sind, können die neuen das Ruder übernehmen.
Kann man dafür einen Zeitraum definieren?
Bertsch: Beim Reiten sagt man: Man kann auf beiden Seiten vom Pferd fallen oder oben bleiben. Nachhaltigkeit ist wichtiger als das Strohfeuer.
Zur Person: Horst Bertsch (59) ist seit 1984 Psychotherapeut in Neuenstein-Eschelbach. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne. Beruflich beschäftigt er sich mit Erwachsenen, aber auch Kinder und Jugendliche stellen einen Großteil der Klienten. Bertsch betrachtet sich als Landpsychologe, der den Spagat schaffen will, für alle erreichbar zu sein und trotzdem individuell zu sehen, wie er dem Gegenüber helfen kann, wieder in seine Lebensspur zu finden.
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