"Meine Größe geht im Traum verloren"
David Heilemann ist kleinwüchsig. Im Alltag kommt er gut zurecht, was ihn ärgert, sind die Blicke von anderen. Und manchmal träumt er vom Fliegen.

Wendlingen, Innenstadt. David Heilemann stützt sich auf seinen Tretroller. Seine Füße, sein Rücken und seine Hüften schmerzen an diesem verregneten, windigen Nachmittag. Sein Arzt empfiehlt ihm, ein wenig abzunehmen. Für den 24-Jährigen leichter gesagt als getan. Für Süßigkeiten hat er eine Leidenschaft. Menschen, die sich durchsetzen können, sind ihm sympathisch. Im Gespräch erklärt er, welche Rolle Größe in seinem Leben spielt.
Über welche Barrieren haben Sie sich heute aufgeregt?
David Heilemann: Heute war nichts. Generell kann ich sagen, dass Bedienteile für Normalwüchsige angebracht sind.
Wo fällt Ihnen das besonders auf?
Heilemann: Bei der Deutschen Bahn regt mich das auf. Ich fahre zeitweise mit einem E-Rollstuhl. Da kommt es immer wieder zu unangenehmen Situationen.
Zum Beispiel?
Heilemann: Wenn ich einen Zielort eingeplant habe und drei Mal umsteigen muss. Dann kann es passieren, dass es an einem der drei Bahnhöfe keine Rampe oder Einstiegsmöglichkeit gibt. Dann stehe ich da. Und das trotz rechtzeitiger Anmeldung. Die Bahn hat zwei Tage Zeit, um den Plan durchzugehen. Das wirft kein gutes Licht auf das Unternehmen.
Und wie ist es im Alltag?
Heilemann: Der funktioniert in der Regel ganz gut. Mein Rollstuhl ist höhenverstellbar. Beim Einkaufen muss ich ab und zu um Hilfe bitten. Ich hab" bisher nur eine schlechte Erfahrung gemacht.
Welche?
Heilemann: Ich hab" mal jemanden um Hilfe gebeten. Diese Person hat die Hilfe verweigert. Damit hatte ich eigentlich kein Problem. Aber mir war der Grund dafür nicht klar. Das hat mich irritiert.
Wie reagieren Menschen auf Sie?
Heilemann: Ganz unterschiedlich. Oft sind sie verunsichert. Sie wollen helfen, wissen aber nicht, wie sie an mich herantreten sollen. Je länger ich aber an einem Ort bin, desto leichter fällt es mir, um Hilfe zu bitten. Man kennt die Leute in seinem Umfeld. Was mich bei Erwachsenen stört, ist das Gaffen. Da sehe ich einen Unterschied zu Kindern.
Welchen?
Heilemann: Ich hatte lange Probleme mit Reaktionen von Kindern. Das Witzige ist aber: Sie bringen es gleich auf den Punkt und sagen: "Guck mal, der kleine Mann."
Man darf Ihnen aber Hilfe anbieten?
Heilemann: Das finde ich sogar sehr nett. Ich weiß, dass viele Menschen aus ihrer Komfortzone heraustreten müssen, wenn sie mich ansprechen. Das verdient Respekt. Sie sind unsicher und fragen sich: Sage ich was Falsches?
Fällt es Ihnen schwer, auf Menschen zuzugehen?
Heilemann: Im Moment bin ich eher noch unsicher unterwegs.Gut finde ich an anderen, wenn sie ihre Meinung vertreten, selbst wenn sie dadurch viel Ärger bekommen könnten.
Wie sollten Menschen Sie ansprechen?
Heilemann: Die Menschen sollen auf mich zukommen und Fragen stellen. Obwohl, ich weiß nicht. Was ich nicht abhaben kann, sind Leute, die übertrieben freundlich zu mir sind. Aber ich sage mir dann immer: Menschen sind halt nicht alle gleich.
Was ist für Sie schlimmer: das Gaffen oder übertriebenes Mitleid?
Heilemann: Ganz klar das Gaffen. Wenn es um Mitleid geht, muss man im Gespräch sein. Wenn ich mit meinem E-Rollstuhl unterwegs bin, starren die Menschen mich weniger an.
Sie haben eine Zeitlang in Südafrika gelebt. Wie kam es dazu?
Heilemann: Meine Eltern hielten es damals für eine gute Idee. Sie hatten ein Reisebüro. Daher kam auch die Lust am Reisen. Die Internationalität und die anderen Sprachen wären gut für mich, dachten sie.
Haben Sie manchmal Sehnsucht nach Südafrika?
Heilemann: Ja, vor allem um alte Schulkameraden zu treffen. Leben wollte ich dort nur wieder, wenn ich sehr viel Geld hätte.
Sind Sie religiös?
Heilemann: Es gibt viele Leute, bei denen hat man das Gefühl, dass sie denken, Gott wird es schon richten. Und ich muss gar nichts dazutun. Es ist für mich paradox, anzunehmen, Gott mache keine Fehler, und dann müssen Menschen aber Schmerzen erleiden. Wieso? Wie kann Gott so was zulassen?
Es heißt, Gott ist groß.
Heilemann: Ich würde mich als Atheisten bezeichnen. Für mich kann es keinen Gott geben. Welcher Gott würde zulassen, dass ich kleinwüchsig bin? Dieser Gedanke geht mir oft durch den Kopf. Es gibt Menschen, die sagen, das ist eine Prüfung. Dieses Denken ist für mich nichts Greifbares. "Dir wurde was auferlegt, damit musst Du leben und dafür muss es einen Grund geben." Das kann ich nicht nachvollziehen.
Man sagt gern: Goethe war ein großer Dichter, Voltaire oder Nietzsche waren große Denker. Nicht jeder ist ein Dichter oder Philosoph. Woran also machen Sie Größe fest?
Heilemann: An Toleranz und daran, dass man gleichzeitig sagen kann, was man denkt. Ich hege Bewunderung für Menschen, die sich durchsetzen, bis ein greifbares Ergebnis rauskommt. Und für Menschen, die Geheimnisse bewahren.
Wann fühlen Sie sich klein?
Heilemann: Das bezieht sich bei mir auf einen rein physischen Aspekt. Wenn etwas zu hoch angebracht ist, werde ich mir meiner Größe bewusst.
Größe wird auch mit Stärke verbunden. Wann haben Sie sich das letzte Mal innerlich groß gefühlt?
Heilemann: Ich bin ein Mensch, der gerne Sachen vor sich herschiebt. Wenn ich das dann aber erledige, fühle ich mich gerne groß.
Was machen Sie in Ihrer Freizeit?
Heilemann: Ich gehe abends ab und zu aus und treffe mich mit Freunden. Momentan ist aber flaute.
Wussten Ihre Eltern eigentlich, dass bei Ihnen Kleinwüchsigkeit vorliegt?
Heilemann: In der Schwangerschaft war das nicht bekannt. Die Ärzte haben meiner Mutter bis zur Geburt gesagt, dass es keine Auffälligkeiten gibt. Als ich auf die Welt kam, war ich bereits unterdurchschnittlich klein.
Bezeichnen Sie Ihre Kleinwüchsigkeit als Behinderung?
Heilemann: Das habe ich bisher nicht so gesehen. Meine Eltern haben mich wie ein durchschnittliches Kind erzogen. Daher war mir gerade in meiner Kindheit die Behinderung oft nicht so bewusst.
Wie träumen Sie?
Heilemann: Meine Größe geht im Traum verloren. Ich erinnere mich nicht, wie groß ich bin. Dann mach' ich Schwimmbewegungen und kann fliegen und ich frage mich, warum ich das nicht schon früher gemacht habe.
Zur Person
David Heilemann ist 24 Jahre alt, lebt und arbeitet in Wendlingen. In seiner Freizeit liest er gerne Romane. Am liebsten von Simon Beckett. Außerdem hört er gerne Musik, geht schwimmen und beschäftigt sich mit dem Internet. Heilemann ist 1,08 Meter groß. Kleinwüchsigkeit beginnt ab einer Größe von unter 1,50 Meter.