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Heilbronn
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"Ich glaube, ich habe keine Wurzeln"

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Barbara Poschmann aus Heilbronn ist rund 30 Mal umgezogen. Im Interview spricht sie über ein Leben in Bewegung, über Freunde und Familie und darüber, was Unabhängigkeit bedeutet.

Von Christian Gleichauf
Eine Wohnung ist für sie nur ein Ort. Wichtiger ist für Barbara Poschmann, womit man sein Leben füllt: mit Reisen, mit Freunden, mit der Familie, mit ihrem Lieblingsverein, dem BVB. Foto: Andreas Veigel
Eine Wohnung ist für sie nur ein Ort. Wichtiger ist für Barbara Poschmann, womit man sein Leben füllt: mit Reisen, mit Freunden, mit der Familie, mit ihrem Lieblingsverein, dem BVB. Foto: Andreas Veigel  Foto: Veigel, Andreas

Es ist eine lange Liste, die Barbara Poschmann über ihre Umzüge zusammengestellt hat. Krefeld - Künzelsau - Stuttgart - Waldenburg - Braunsbach - Pfahlbach - Weißbach - Öhringen - Forchtenberg - Neckarsulm - Kaufbeuren - Heilbronn - Allmersbach - Frauenzimmern. Rund 30 Umzüge, so weit sie sich erinnern kann. Heimisch ist sie nun in Heilbronn geworden, sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung.

 

Frau Poschmann, gibt es irgendetwas in Ihrem Haushalt, was alle Ihre Umzüge mitgemacht und überstanden hat?

Barbara Poschmann: Die Pflanze in meiner Küche ist älter als mein Sohn, der ist jetzt 36. Da habe ich schon 1000 Ableger abgegeben. Aber auch einige Puppen ziehen seit Jahrzehnten mit mir um. Zwei stammen von meiner Oma, bei der ich aufgewachsen bin.

 

Im Volksmund heißt es, dreimal umgezogen ist einmal abgebrannt. Wie kommen Sie dazu, das so oft zu machen?

Poschmann: Angefangen hat es Anfang der 70er. Da musste ich vorübergehend wieder zu meiner Mutter, wo ich aber keinesfalls bleiben wollte. Ich hatte sie erst nach dem Tod meiner Großmutter kennengelernt. Und sie war immer sehr aufs Geld aus. Auch das Sparbuch, das meine Oma für mich angelegt hatte, hat meine Mutter leergeräumt. Sie hat nach meinem Einzug als erstes meine Möbel konfisziert. Also musste ich wieder mühsam einen Hausstand aufbauen, zuerst in ein möbliertes Zimmer, dann wieder in eine Wohnung. Nicht immer bin ich freiwillig gegangen. Freunde haben mich immer wieder aufgenommen. Und einmal ist die Wohnung, in der ich gelebt habe, auch tatsächlich fast abgebrannt, besser gesagt explodiert.

 

Was ist passiert?

Gasexplosion in der Hugo-Rümelin-Straße in Heilbronn 1981.
Gasexplosion in der Hugo-Rümelin-Straße in Heilbronn 1981.  Foto: Hermann Eisenmenger

Poschmann: Es gab eine Gasexplosion in der Nachbarswohnung. Das war 1981 in der Hugo-Rümelin-Straße in Heilbronn. Die Stimme hat damals groß berichtet. Die komplette Wand in meinem Schlafzimmer fehlte. Ich hatte nachts gearbeitet und vormittags geschlafen. Dann bin ich vom Knall aufgewacht und der Kleiderschrank ist auf mich draufgefallen (sie zieht ihren Ärmel hoch und zeigt eine Narbe). Das Kinderzimmer war komplett zerstört, eine Katze war tot. Aber meine Tochter hatte unglaubliches Glück. Sie hatte eine Freistunde und war kurz zu Hause und hatte sich gerade im Bad die Zähne geputzt. Als sie so übers Waschbecken gebeugt dastand, ging die Explosion direkt an ihrem Rücken vorbei. Da hieß es dann wieder umziehen, zumindest so lange, bis die Wohnung wieder gerichtet war.

 

Und dann kam trotzdem keine Ruhe in Ihr Leben?

Poschmann: Nicht wirklich. Ich war Anfang der 90er Jahre mit einem Mann verheiratet, der Alkoholiker war. Statt das Haus abzubezahlen, hat er auch noch meine Lebensversicherung versoffen. Ich musste immer schauen, wie ich wieder auf die Beine komme. Häufig konnte ich über die Arbeit günstig möbliert wohnen, etwa als ich in Neckarsulm in der Gaststätte Schwabenbräu gekellnert habe oder in Neckargartach, wo ich mich um entlassene Strafgefangene kümmerte. Von meinem Mann habe ich mich dann getrennt.

 

Also der nächste Umzug?

Poschmann: Nein, ich habe ihn rausgeschmissen. Aber 1998 habe ich dann einen Mann kennengelernt, einen wahnsinnig lieben, tollen Menschen. Der hätte mir die Sterne vom Himmel geholt. Wir haben 2001 geheiratet. Unter meiner Wohnung in Neckargartach hat es dann gebrannt. Als Fernfahrer war er häufig nicht zu Hause, und weil er dann Angst um mich hatte, wollte er, dass ich zu seinen Eltern in die Nähe von Backnang ziehe. Die Wohnung war aber nicht mal halb so groß wie die alte. Da hieß es wieder: ausmisten. Aber ich habe weiter in Heilbronn in der Behördenkantine gearbeitet. Auf Dauer war das zu viel Fahrerei. Also zurück nach Heilbronn, diesmal nach Horkheim. Inzwischen war mein Mann an Krebs erkrankt. Er ist 2013 gestorben.

 

Ihren Lebensmut haben Sie offenbar nicht verloren. Würden Sie sich als Lebenskünstlerin bezeichnen?

Poschmann: Jooo... Gute Laune habe ich immer. Wenn es mir mal nicht gut geht, dann muss das nicht jeder wissen. Alkohol spielt für mich übrigens gar keine Rolle. Da habe ich in der Gastronomie und im persönlichen Umfeld zu viel mitgekriegt. Jetzt gibt es maximal zu besonderen Anlässen mal einen Schluck Sekt. Ich würde sagen, mich kann nichts erschüttern. Wer mich ärgert, der muss erst noch geboren werden. Wenn es mir zu viel wird, dreh" ich mich um. Aber ich suche auch nicht ständig nach einem Neuanfang.

 

Sie hatten also nie Ärger mit Nachbarn.

Poschmann: Na ja, es gab Nachbarn, die schwierig waren. Ich erinnere mich an eine Frau, die abends immer durch den Spion geschaut hat, wann ich nach Hause komme. Wenn ich Gäste hatte, habe ich also den Spion zugehalten. Naja, das war dann nicht so schön. Wenn es gar nicht passt, muss man eben wieder gehen.

 

Wie schaffen Sie es, sich dann immer wieder auf eine neue Umgebung, eine neue Nachbarschaft einzulassen?

Poschmann: Ich bin ein Mensch, der auf jeden zugeht. Natürlich begrüße ich meine Nachbarn immer. Da spürt man meist sofort, mit wem man sich versteht. Aber mir ist klar: Ich muss mich anpassen. Ich kann nicht verlangen, dass sich die anderen an mich anpassen.

 

Wie leicht ist es, immer wieder Wurzeln zu schlagen?

Poschmann: Ich glaube, ich habe keine Wurzeln. Ich könnte wahrscheinlich überall leben. Ich war in Ägypten, in Spanien, in Tunesien, in Griechenland, in Jugoslawien, in meinem Traumland Amerika. Gefallen hat es mir an jedem Ort.

 

Spüren Sie, dass Ihnen die Wurzeln fehlen?

Poschmann: Man gewöhnt sich daran. Meine Wurzeln waren in Krefeld bei meiner Oma.

 

Aber es lebt sich auch ohne gut?

Poschmann: Es war nicht immer leicht. Besonders, als mein Mann gestorben ist, hatte ich eine schwere Zeit. Aber jetzt fühle ich mich wieder sehr wohl und auch hier in Sontheim heimisch. Dazu brauche ich gute Nachbarn, gute Freunde und den Kontakt mit meiner Familie. Mit meiner Freundin, die ich hier in Heilbronn seit gut 30 Jahren habe, treffe ich mich praktisch jede Woche. Wichtiger finde ich, dass man sich auf den anderen verlassen kann. Dass das, was man mir im Vertrauen erzählt, auch bei mir bleibt und nicht weitergetratscht wird.

 

Wenn man an Ihre Wände schaut, dann sieht man überall Bilder von Ihrer Familie. Wie wichtig ist das für Sie?

Poschmann: Oh, ich habe nur einen Teil aufgehängt, im Keller habe ich noch viel mehr. Meine Familie ist mir sehr wichtig. Übers Telefon, über WhatsApp und Skype halten wir ständig Kontakt. Eine Tochter ist in Amerika, und damit auch mein Enkel und mein Urenkel. Ich würde sie gerne wieder besuchen, gerne mehr reisen.

 

Was hindert Sie?

 Foto: Veigel, Andreas

Poschmann: Derzeit noch meine Katze. Für sie brauche ich jetzt noch ein gutes neues Zuhause. Sie ist so lieb, aber man kann sie halt nicht allein lassen, und so kann ich nie spontan weg. Zu Freunden, zu meinen Geschwistern, zu meinen Kindern und Enkeln. Ich hätte gerne etwas mehr Bewegungsfreiheit. Das ist, was mir fehlt.

 

Sie halten also Bewegungsfreiheit für wichtiger als Wurzeln?

Poschmann: Ja. Ich möchte auch meinen Lebensrhythmus niemandem mehr anpassen. Früher war ich beispielsweise alle zwei Wochen in Dortmund im Stadion, ich bin großer Borussia-Fan. Da würde ich mich freuen, wenn ich wieder Leute finde, die bei so etwas mitmachen. Natürlich sind mir auch meine Familie, meine Enkel wichtig...

 

...aber Sie würden nicht direkt bei Ihnen wohnen wollen?

Poschmann: Na, ich habe es versucht. Ich hatte bis vor drei Jahren in Frauenzimmern bei der Familie meines Sohnes gewohnt. Da war mir der Bäcker zu weit weg, mein Freundeskreis. Also bin ich wieder zurück nach Heilbronn.

 

Welche Ansprüche stellen Sie an eine Wohnung?

Poschmann: Sie muss gemütlich sein, dann mache ich es mir schon passend. Der Schrank im Flur stand in der Wohnung vorher im Badezimmer. Die Kommode im Schlafzimmer stand im Flur. So geht es mir mit vielen Schränken. Ich bin da flexibel. Meine Küche zieht seit 1992 mit mir um. Die ist noch in Ordnung.

 

Achten Sie bei Ihren Möbeln eigentlich auf Qualität?

Poschmann: Ich bin sparsam. Manche Teile sind auch recht billig. Aber ich habe keine Ikea-Möbel.

 

Als Profi im Wohnungsuchen: Wie hat sich der Wohnungsmarkt verändert?

Poschmann: In Kaufbeuren habe ich für eine möblierte Wohnung - zwei Zimmer, Küche Bad - 120 D-Mark bezahlt. Das liegt eine Weile zurück. Das war Mitte der 70er Jahre. Zehn Jahre später waren es 230 Mark warm. Inzwischen ist man bei einer vergleichbaren Wohnung unmöbliert bei fast 500 Euro. So eine Wohnung kann sich nicht mehr jeder leisten. Und die Suche ist wahnsinnig schwer geworden. Trotzdem hatte ich bisher immer Glück.

 

Sind Sie denn schon wieder kurz vor dem nächsten Wohnungswechsel?

Poschmann: Nein, hier fühle ich mich sehr wohl. Ich will hier bleiben. Da bin ich mir sogar ziemlich sicher.

 

Zur Person

Barbara "Bärbel" Poschmann (67) ist in Krefeld bei ihrer Großmutter aufgewachsen. Nach deren Tod kam sie nach Künzelsau zur Mutter. Nach einer Ausbildung zur Hauswirtschafterin in Stuttgart war sie vor allem in der Gastronomie beschäftigt, arbeitete in Neckarsulm in der Gaststätte Schwabenbräu der Familie Daxhammer, später in der Behördenkantine in Heilbronn, die Ralf Daxhammer inzwischen übernommen hatte. Barbara Poschmann hat zwei Töchter und einen Sohn, fünf Enkelkinder und eine Urenkelin.

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