Warum Baden-Württemberg kein Klima-Musterschüler ist
Seit mehr als zehn Jahren wird Baden-Württemberg von den Grünen regiert. Im Wahlkampf wurde deshalb der Vorwurf laut, das Land sei dennoch kein Musterschüler beim Klimaschutz. Wir haben überprüft, ob das stimmt.
Seit mehr als zehn Jahren bestimmt eine grün-geführte Landesregierung die Geschicke in Baden-Württemberg. Im Wahlkampf wurde deshalb der Vorwurf laut, das Land sei dennoch kein Vorreiter beim Klimaschutz. Wir haben für die drei wichtigsten Sektoren, Verkehr, Stromerzeugung und Haushalte, geprüft, ob er zutrifft.
Verkehr: Der Verkehr ist der klimaschädlichste Sektor Baden-Württembergs. Autos und Lkw verursachen ein Drittel aller Treibhausgas-Emissionen (33 Prozent). Während die Emissionen in anderen Sektoren seit 1990 gesunken sind, sind sie beim Verkehr gestiegen und lagen 2019 bei 24,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten. Erste Schätzungen des statistischen Landesamts gehen davon aus, dass die Corona-Pandemie zwar zu einem Rückgang auf 20,8 Millionen Tonnen geführt hat, das Ziel für 2020 wären aber eigentlich 15,7 Millionen Tonnen gewesen.
Stetig steigt die Zahl der Autos im Ländle
Ein Grund ist die Zahl der Pkw, die stetig zunimmt. Waren 2011 noch 5,7 Millionen Autos im Ländle unterwegs, sind es inzwischen 6,7 Millionen. Damit liegt Baden-Württemberg mit einer Pkw-Dichte von 744 auf 1000 Einwohner deutlich über dem bundesweiten Schnitt von 569. Auch die Aufteilung der zurückgelegten Wege auf Verkehrsmittel, der sogenannte Modal Split, ist nicht vorbildlich: In NRW, Bayern und Niedersachsen fahren etwa mehr Menschen mit dem Rad (Niedersachsen: 15 Prozent, NRW, Bayern: 11 Prozent, BW: 10 Prozent).
Welche Fortschritte hat die grün-geführte Landesregierung dann erreicht? Antworten hat Matthias Lieb, Vorsitzender des ökologischen Verkehrsclubs VCD. Er sieht, bei aller Kritik, viele Verbesserungen im Nahverkehr. "Erwähnt werden muss der Landestarif, der die Preise um rund 25 Prozent gesenkt hat. Das ist durch Corona und die Streiks etwas untergegangen."
Dabei sei die Anschlussmobilität eingeführt worden, mit der man im Start- und Zielgebiet ohne separaten Fahrschein fahren kann. Die Landesmittel für Busverkehr in Kommunen seien auf 50 Millionen Euro erhöht worden. Der Zugverkehr sei durch neues Wagenmaterial modernisiert worden und die Fahrradmitnahme vereinheitlicht worden, zählt Lieb auf. "Das Thema Radverkehr hat man mit Radschnellwegen vorangebracht. Bis die gebaut sind, dauert es eben noch eine Weile."
Koalitionspartner SPD und CDU waren laut Lieb Blockierer beim Klimaschutz
Warum steigen die Emissionen im Verkehr trotzdem? "Eine Verlagerung des Verkehrs hat man mit den bisherigen Maßnahmen nicht feststellen können", sagt Lieb. Oft hätten sich die Grünen nicht mit dem Koalitionspartner, SPD oder CDU, einigen können. "Bei Verbesserungen waren alle dabei, Belastungen für den Autoverkehr wurden aber verhindert."
So habe sich die CDU gegen eine von den Grünen geforderte City-Maut gestellt. Ob das Land sein Ziel, die Fahrgäste im ÖPNV bis 2030 zu verdoppeln, erreichen kann, wagt Lieb nicht vorauszusagen: "Man wird sich die Frage stellen müssen, ob die Verkehrswende nur mit Angebotsverbesserungen funktioniert oder ob man nicht auch mehr Vorgaben braucht."
Stromerzeugung: Die Stromerzeugung verursacht mit 15,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten (2018) rund 20 Prozent der Treibhausgas-Emissionen in Baden-Württemberg und belegt den zweiten Platz. Die erneuerbaren Energien machen einen Anteil von 27,4 Prozent aus. Ist Baden-Württemberg damit ein Vorbild beim Ausbau der Erneuerbaren?
Daten dazu hat Jürgen Quentin, Referent für Energiewirtschaft und Erneuerbare-Energien-Gesetz bei der Fachagentur Windenergie an Land. Demnach wurden seit 2011 unter der grün-geführten Landesregierung 408 Windräder gebaut. Insgesamt drehen sich 761 Windräder mit einer Leistung von 1673 Megawatt im Land. Das ist in absoluten Zahlen weniger als bei den Emissionsspitzenreitern NRW (1365 Anlagen seit 2011, 3685 Megawatt installiert), Bayern (794 Anlagen, 2093 MW) und Niedersachsen (2009 Anlagen, 5793 MW).
Saarland erzeugt auf gleicher Fläche vier Mal so viel Windkraft wie Baden-Württemberg
Aussagekräftiger ist laut Quentin jedoch der Vergleich mit Bundesländern, die eine ähnliche Siedlungsstruktur wie Baden-Württemberg haben, etwa Hessen und das Saarland. Baden-Württemberg kommt auf umgerechnet 47 Kilowatt pro Quadratkilometer. Das Saarland, das zwar in absoluten Zahlen wenige Windkraftanlagen hat, erzeugt pro Quadratkilometer, also auf der selben Fläche, jedoch viermal so viel Strom mit Wind wie Baden-Württemberg (204 Kilowatt/km²). In Hessen ist es doppelt so viel (108 Kilowatt/km²).
Zwei Prozent der Landesfläche will Grün-Schwarz in den nächsten Jahren für Wind- und Solarkraft zur Verfügung stellen. "Das unterscheidet sich etwa von Hessen. Dort sollen zwei Prozent der Landesfläche nur für Windenergie zur Verfügung stehen." Das sei auch in Schleswig-Holstein so.
Unter fünf Jahren Planung entsteht keine Windkraftanlage
Kernproblem beim Windkraft-Ausbau seien langwierige Planungs- und Genehmigungsverfahren. Mit unter fünf Jahren für eine Windkraftanlage dürfe man nicht rechnen, sagt Quentin. Das hat eine Studie der Agentur ergeben. Dass der Windkraftausbau in Baden-Württemberg besonders schnell vonstatten gehe, sei nicht erkennbar. "Der Unterschied liegt im Bereich der statistischen Fehlertoleranz."
Haushalte: Haushalte sind für 14 Prozent der Treibhausgase im Land verantwortlich und liegen auf Platz drei. 10,9 Millionen Tonnen CO2 waren es 2018, was nur knapp über dem Ziel für 2020 liegt (10 Millionen Tonnen). Der Wert erklärt sich laut Landesumweltministerium aber auch durch die milde Witterung im Jahr 2018. Im Haushaltssektor sinken Emissionen, wenn weniger mit fossilen Brennstoffen geheizt wird und die Energieeffizienz steigt, etwa durch Sanierungen.
Genaue Aufschlüsselung der Emissionen fehlt
Wie sich die Emissionen im Gebäudesektor zusammensetzen, ist jedoch nicht allzu genau aufgeschlüsselt. "Eine solche Auswertung hätten wir auch gerne", sagt Volker Kienzlen, Geschäftsführer der Landesenergieagentur Baden-Württemberg. Ein im Baumarkt gekauftes Stück Holz müsste genauso einfließen wie Maurerarbeiten eines Handwerksbetriebs. "Es ist schwierig, das konkret abzuschätzen."
Das Land wertet deshalb vor allem aus, wie oft Förderprogramme genutzt werden und welche Summen abfließen. Dabei ist Baden-Württemberg oft Spitzenreiter: Die Zahl der Energieberatungen steigt seit Jahren, während sie bundesweit abnimmt. Seit 2011 sind von 40 Millionen Euro Fördermitteln für Energieberatungen zehn Millionen ins Land geflossen.
Zu wenige Handwerker für Sanierungen, zu geringer CO2-Preis für Verdrängungseffekte
Das sei jedoch nicht genug, sagt Kienzlen. "Die Sanierungen in Baden-Württemberg reichen nicht aus, damit wir unsere Klimaziele erreichen." Um Schritt zu halten, bräuchte es, grob überschlagen, 10 000 Handwerker allein in Baden-Württemberg, was der Markt nicht hergebe.
Laut Kienzlen werde der steigende CO2-Preis für Verschiebungen sorgen. "Wer in eine neue Heizungsanlage investiert, sollte über deren Lebensdauer mit 100 Euro pro Tonne CO2 rechnen." Derzeit kostet sie 25 Euro, bald 65 Euro. Das sei nötig, um Anreize für Sanierungen zu schaffen. Aber auch die Förderungen seien hoch: Bei der Umstellung einer Ölheizung auf Wärmepumpe oder Photovoltaik und Pellets erstatte der Staat bis zu 40 Prozent. "Besser wird"s nicht", sagt Kienzlen.