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Sozialverbände geben Gas beim Thema Sozialgipfel

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Um das Armutsrisiko für ganze Bevölkerungsschichten zu senken, braucht es langfristig neue Wege - und kurzfristig aus Sicht der Sozialverbände einen Sozialgipfel. Das Land Baden-Württemberg hält sich bislang bedeckt.

Rechnen, ob das Geld noch reicht. In vielen Familien ist das angesichts von Inflation und steigenden Energiepreisen zur ständigen Übung geworden. Sozialverbände fordern einen Sozialgipfel, um das Armutsrisiko zu senken.
Rechnen, ob das Geld noch reicht. In vielen Familien ist das angesichts von Inflation und steigenden Energiepreisen zur ständigen Übung geworden. Sozialverbände fordern einen Sozialgipfel, um das Armutsrisiko zu senken.  Foto: JackF/stock.adobe.com

Die sofortige Einberufung eines Sozialgipfels in Baden-Württemberg angesichts steigernder Energie- und Lebensmittelpreise, das hatte Stratos Goutsidis, Geschäftsführer der Awo Heilbronn, anlässlich der landesweiten Cleverländ-Kampagne zum Energiesparen gefordert. Sie hatte jüngst in Heilbronn Station gemacht.

Der psychische Druck in Familien ist enorm

Dringend müsse eine umfassende Strategie erarbeitet werden, um das Armutsrisiko für ganze Bevölkerungsschichten zu senken, hatte Goutsidis gesagt. Viele Menschen, die die Awo im Stadt- und Landkreis begleite, seien bereits jetzt von Armut bedroht. "Der psychische Druck, den wir in Familien beobachten, ist enorm."


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Auf Nachfrage der Heilbronner Stimme steht ein Sozialgipfel indes nicht auf der Agenda der Landesregierung. Eine Sprecherin des Sozialministeriums in Stuttgart verweist auf die Zuständigkeit des Bundes und das dritte Entlastungspaket, das sich in der Ausgestaltung befinde. Finanzielle Hilfen in Krisenzeiten müssten in erster Linie bundeseinheitlich über Sozialleistungssysteme ausbezahlt werden.

Ministerium will seinen Einfluss im Bund geltend machen

Ein Flickenteppich der Länder, das habe man bei Corona gelernt, könne nicht der Schlüssel zur Bewältigung nationaler Krisen sein. Gleichwohl mache das Ministerium seinen Einfluss im Bund geltend und bringe Forderungen vor. Im Bereich Armutsbekämpfung tausche man sich regelmäßig mit Wohlfahrtsverbänden und Kirchen aus. Hier würden die Erwartungen an die Lage diskutiert.


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Ob das reicht? Und ob das schnell genug geht? Hannes Finkbeiner von der Aufbaugilde in Heilbronn ist skeptisch. Er findet eine Kampagne, die offensiv auf Transferleistungen hinweist, mehr als überfällig. Die ein ehrenamtliches Lotsensystem etabliert und Antragsverfahren vereinfacht. Frank Stroh vom Sozialverband VdK sieht das genauso. "Beim Wohngeld und der Grundsicherung für Senioren erreichen wir die Hälfte der Berechtigten nicht. Wir brauchen Lotsenkonzepte, die mit Experten aus Sozialverbänden, Politik und Verwaltung schnell entwickelt werden", so der Vorsitzende des VdK-Kreisverbands Heilbronn.

Dass dem Sozialministerium die Problematik des Bürokratie- und Antrags-Dschungels bewusst ist, heißt es derweil in Stuttgart. Demnächst würden zwei zusätzliche Förderprogramme aufgelegt.

Nicht nur ein landesweiter, sondern auch ein kommunaler Sozialgipfel seien nötig

Weichenstellungen auf Bundesebene kosten wertvolle Zeit, bemängelt Finkbeiner. "Die Problematik ist, dass jedes Bundesland anders strukturiert ist. Bis das bei uns ankommt, dauert es viel zu lange. Und bis es auf Praxistauglichkeit geprüft ist und umgesetzt werden kann, auch." Diakonie und Aufbaugilde könnten eine solche Zusatzaufgabe nicht aus dem Ärmel schütteln. Nicht nur ein landesweiter sondern auch ein kommunaler Sozialgipfel seien nötig.

Aus diesem Grund will er lokale Verbandsstrukturen im kirchlichen und ehrenamtlichen Bereich nutzen, um ein Lotsensystems anzuschieben. SPD-Kreisvorsitzende Tanja Sagasser-Beil hat Unterstützung zugesagt. Sie möchte rechtlich prüfen lassen, wie sich Parteimitglieder zu Lotsen ausbilden lassen können, das Thema im Kreisverband einbringen und eine Arbeitsgruppe bilden. Auch andere Sozialverbände beschäftigten sich mit dem Thema.

Awo-Chef sieht die Träger an der Grenze des Machbaren

Stratos Goutsidis begrüßt, dass Minister Manfred Lucha den Landesbeirat zur Armutsbekämpfung und Prävention Baden-Württemberg zu Sondersitzungen einberufen hat. Doch seine Analyse des Ist-Zustands klingt ernüchternd: Anlaufstellen unter Druck, Fachkräfte, die am Limit arbeiteten und sich mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert sehen, und eine Teuerung, die die Träger an die Grenze des Machbaren bringe.

"Ohne das schnelle und entschlossene Handeln der Politik sind sozialer Zusammenhalt und Frieden in Gefahr", sagt der Awo-Chef. Auch er findet: "Es muss uns gelingen, Menschen, die Ressourcen an Zeit haben, wieder für ehrenamtliche Tätigkeiten zu gewinnen." 

Die Diakonie Deutschland weist darauf hin, dass auch Menschen, die bislang keinen Anspruch auf Grundsicherungsleistungen hatten, diesen durch die gestiegenen Energiekosten erlangen könnten. Darauf hatte bereits André Sommer von der diakonischen Bezirksstelle des evangelischen Kirchenbezirks Weinsberg-Neuenstadt aufmerksam gemacht.

Konkret betrifft das Auszubildende, Wohngeldbeziehende und Leistungsberechtigte nach dem Kinderzuschlag, so die Diakonie. Wichtig ist, dass der Antrag in dem Monat gestellt wird, in dem die Kosten anfallen. Es sei sinnvoll, bei Ablehnung Widerspruch einzulegen. Auch der Gang zum Sozialgericht stehe ohne Gerichtskosten offen.

 

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