Soll das Heilbronner Weindorf wegen der Traubenlese verschoben werden?
Württemberger Traubenlese und Heilbronner Weindorf überschneiden sich diesmal extrem. Heilbronner Wengerter haben Stress. Manche regen an, das Fest in Zukunft um eine Woche nach vorne zu verlegen.

Eigentlich müsste ich mich jetzt um meine Trauben kümmern", gibt Öko-Winzer Andreas Stutz zu verstehen, doch der Dienst im Wein-Villa-Stand gehe eben vor. Einige Meter weiter betreiben Annette und Peter Albrecht am Heilbronner Wengerterstand Kundenpflege und meinen: "Eigentlich müsste man das Weindorf eine Woche nach vorne verlegen." Andreas und Thomas Heinrich wollten erst nach dem Fest mit der Ernte beginnen, doch wegen des Fäulnisdrucks geht es schon diesen Donnerstag los.
Früher fiel der Startschuss zum Herbsten in der Regel Ende September, teils erst Anfang Oktober. Doch mit der Klimaerwärmung hat sich das seit den 1990er Jahren geändert. Frühe Sorten sind mitunter schon Ende August reif. So überschneidet sich das bis zu vierwöchige Herbsten mit dem elftägigen Heilbronner Weindorf, auch in diesem Jahr. Gerade für Familienbetriebe stellt das eine große Herausforderung dar. Und weil 2023 viele Trauben faulen, herrscht vielerorts Stress pur.
Zwei Heilbronner Weingüter sind schon abgesprungen
Zwei Prädikatsweingüter haben die Reißleine gezogen. Sie stellen keinen eigenen Stand mehr: Kistenmacher-Hengerer und Drautz-Able. Auf dem Weindorf sind sie aber mit einzelnen Weinen trotzdem noch vertreten, im Wein-Villa-Stand.
Steffen Schoch von der Heilbronn Marketing GmbH (HMG) hat trotz "intensiver Bemühungen und Gespräche" bis heute keine Nachfolger gefunden. Viele hätten neben wirtschaftlichen Aspekten als Begründung die hohe Belastung genannt, die ihnen zuletzt durch den Mitarbeitermangel sowieso zu schaffen mache - und während der Lese ganz besonders.
Wie es das Weingut Heinrich schultert
"Wir sind Gott sei dank familiär gut aufgestellt", berichtet Björn Heinrich. "Mein Bruder Tobias kümmert sich um die Weinberge und den Keller, ich um den Rest, also auch ums Weindorf." Beides unter einen Hut zu bringen, sei für die drei Generationen umfassende Familie trotzdem eine organisatorische Herausforderung.
"Das fängt schon mit dem Transporter an, den ich morgens fürs Leergut und für den Flaschen-Nachschub brauche, mit dem aber gleichzeitig auch die Lesleut in den Wengert gebracht werden müssen." Spätestens zum täglichen Festgeschehen zwischen 15 und 23 Uhr sollte sich zur Kundenpflege mindestens ein Familienmitglied im Stand blicken lassen. "Nach Torschluss ist dann noch Putzen angesagt. Also ich persönlich komme derzeit nicht vor 2 Uhr ins Bett. Man glaubt aber gar nicht, mit wie wenig Schlaf man auskommen kann."
WG-Wengerter müssen Leseplan beachten
Bei Genossenschaften lasse sich der Einsatz zwar auf viele Schultern verteilen, so Daniel Drautz von der Genossenschaftskellerei Heilbronn. "Aber auch bei uns stehen in fünf eigenen Ständen mit jeweils drei bis fünf Personen im Zweischichtbetrieb in der Regel Wengerter hinterm Tresen, die ihre Trauben und unseren Leseplan im Blick behalten müssen." Insgesamt aber betonen Drautz und Heinrich unisono, "alles in Allem macht das Ganze ja auch Spaß". Sie sprechen von "positivem Stress".
Kollission mit Nachbarorten?
Über die nicht nur von Familie Albrecht-Kießling ins Spiel gebrachte Verlegung gehen die Meinungen auseinander. Allen voran bricht Gastro-Sprecherin Hanne Schröter-Wagner eine Lanze "für unsere Wengerter". Sie ist dafür, "einfach um eine Woche nach vorne zu gehen, egal, ob sich das mit anderen Festen überschneidet".
Bisher wird der Reigen stets am letzten Donnerstag der Sommerferien eröffnet. "Einen eingeführten Termin zu verschieben, ist mit Risiken verbunden", warnt HMG-Chef Schoch. In Konkurrenz mit Veranstaltungen in der Nachbarschaft zu treten, provoziere gewiss "böses Blut". Gleichzeitig läge ein früherer Festtermin komplett in den Ferien und überschneide sich bei vielen potenziellen Besuchern mit dem Urlaub. Nicht zuletzt gelte auch im Klimawandel: "Jedes Jahr ist anders - vom Wetter und vom Termin her": 2024 beginnt das Fest schon am 5., 2025 erst am 11. September.
Weinlese im T-Shirt statt im Parka
Am Mittwoch war es etwas frischer. Aber bisher machte den Wengertern auch die Hitze zu schaffen. "Bei über 30 Grad in der prallen Sonne zu stehen, ist kein Zuckerschlecken", weiß Thomas Heinrich aus Heilbronn. Wie andere Kollegen lässt er einen Teil der Trauben deshalb nachts ernten, vom Vollernter unter Scheinwerfern. Ludwig Berthold aus Neckarsulm schickt die Lesleut in aller Frühe los und kühlt das Lesegut mit Trockeneis. "Zum Mittagessen sitzen wir im Wald, das hältst du sonst nicht aus", berichtet Peter Albrecht und witzelt: "Früher gingen wir im Parka zur Traubenlese, heute im T-Shirt."





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