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Sind neue Strategien zur Corona-Eindämmung nötig?

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Die Impfungen in der EU laufen nur schleppend an, während immer mehr Mutanten auftauchen. Wissenschaftler und Mediziner fordern angesichts dessen ein politisches Umdenken. Darum geht es beim No-Covid-Konzept und dem Tübinger Weg.

Eine elektronenmikroskopische Aufnahme des "U.S. National Institute of Health" zeigt das neuartige Coronavirus (Sars-Cov-2), das aus der Oberfläche von im Labor kultivierten Zellen austritt. Das Virus passt sich durch Mutationen ständig seinem neuen Wirt, dem Menschen an.
Eine elektronenmikroskopische Aufnahme des "U.S. National Institute of Health" zeigt das neuartige Coronavirus (Sars-Cov-2), das aus der Oberfläche von im Labor kultivierten Zellen austritt. Das Virus passt sich durch Mutationen ständig seinem neuen Wirt, dem Menschen an.  Foto: dpa

Angesichts der Bedrohung durch mutierte Formen des Coronavirus und des langsamen Impffortschritts in der EU ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob nicht nachhaltigere Strategien zur Bekämpfung der Pandemie notwendig seien. Wissenschaftler fürchten ansonsten eine Endlosschleife aus Lockdown, Lockerungen, drastischem Anstieg der Infektionszahlen und erneuten, noch härteren Beschränkungen. Auch der Sommer und das wärmere Wetter würden in diesem Szenario kaum Erleichterung bringen.

Der Charité-Virologe Christian Drosten warnte in einem aktuellen Interview mit dem Nachrichten-Magazin "Spiegel": "Wenn die alten Menschen und vielleicht auch ein Teil der Risikogruppen geimpft sein werden, wird ein riesiger wirtschaftlicher, gesellschaftlicher, politischer und vielleicht auch rechtlicher Druck entstehen, die Corona-Maßnahmen zu beenden. Und dann werden sich innerhalb kurzer Zeit noch viel mehr Leute infizieren, als wir uns das jetzt überhaupt vorstellen können. Dann haben wir Fallzahlen nicht mehr von 20.000 oder 30.000, sondern im schlimmsten Fall von 100.000 pro Tag."

 


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Eine Mitarbeiterin des Impfzentrums des Salzlandkreises spritzt einer Frau eine Impfdosis gegen das Coronavirus. Parallel zu den verschärften Corona-Regeln wurde im Kampf gegen die Pandemie in Sachsen-Anhalt das Impfen intensiviert. Am vergangenen Freitag wurden etwa 20 000 Impfdosen von Biontech/Pfizer nach Sachsen-Anhalt geliefert. +++ dpa-Bildfunk +++
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No Covid: Im Bemühen um eine passende Langzeit-Strategie ist "No Covid" seit einigen Wochen ein viel diskutierter Begriff. Die Initiative, deren Vorbild Länder wie Australien oder Neuseeland sind, geht zurück auf ein Papier einer Gruppe von Wissenschaftlern und Medizinern um die Helmholtz-Virologin Melanie Brinkmann. Die Initiatoren fordern ein neues Ziel in der Corona-Politik: Die Infektionszahlen sollen auf einen Wert unter zehn gesenkt und im nächsten Schritt auf Null gedrückt werden. Gegenden, in denen das gelungen ist, könnten demnach zu "Grünen Zonen" erklärt werden und die Menschen nach einer Beobachtungsphase wieder zur Normalität zurückkehren. Die Grünen Zonen sollen sich immer weiter ausdehnen, bis überall wieder Normalität herrscht. Gelingen soll das durch strikte Kontakt- und Mobilitätsbeschränkungen. Hinzu kämen strenge Quarantäne-Regeln, eine effiziente Teststrategie und Impfungen.

Die Zielmarken wären nicht zeitlich fixiert, wie das jetzt der Fall ist (Lockdown bis 14. Februar), sondern sie würden sich am Erreichten, also an den vereinbarten Inzidenzwerten, orientieren. Das bedeutet auch: Eine Region, die sich besonders anstrengt und das Ziel deshalb schnell erreicht, könnte früher zur Normalität zurückkehren.

Brinkmann betonte in verschiedenen Medien, wie wichtig es sei, der Bevölkerung eine positive Perspektive zu geben und die Strategie durch geschickte Kommunikation zu begleiten. Doch mit der Vermittlung ihres Ansatzes hat die Gruppe selbst Probleme – was sicher auch am Namen und der schwierigen Abgrenzung zur Initiative "Zero Covid" liegt, die ebenfalls im Netz kursiert und wesentlich radikaler ist.

So sind Politiker aufgeschreckt. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte vergangene Woche vor der Bundespressekonferenz, das sei nach seiner Auffassung keine Lösung für Deutschland. "Ich tue mich immer schwer mit Vergleichen insbesondere mit Inselstaaten." Es sei ein Unterschied, ob man in der Mitte eines Kontinents mit offenen Grenzen lebe oder auf einer Insel jeden testen könne, der per Flugzeug einreise. Eine Null als dauerhafte Zielmarke könne hierzulande nicht funktionieren.

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) warnte am Sonntag bei "Anne Will" davor, den Menschen weitere Einschränkungen zuzumuten. Dafür brächten diese vor allem angesichts sinkender Infektionszahlen kein Verständnis auf. Volkswirt Clemens Fuest, der die Initiative ebenfalls unterstützt, bemühte sich im ZDF-"Morgenmagazin", den Eindruck zu korrigieren, dass "No Covid" für Maßnahmen wie einen Lockdown der Industrie stehe. "Es wäre Wahnsinn, die Industrie jetzt stillzulegen." Es gehe stattdessen um ein Durchhalten, die wohl überlegte Rücknahme von Einschränkungen und eine regional differenzierte Strategie für Öffnungen.

 


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Schutz der Risikogruppen: Ein zweites, viel beachtetes Modell zur Eindämmung der Pandemie stammt aus Tübingen, wo die Ärztin und DRK-Chefin Lisa Federle früh mit breiten Corona-Schnelltests in Alten- und Pflegeheimen begonnen hat. Die Universitätsstadt ergreift zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Risikogruppen. So sind alle Bürger über 65 Jahre aufgefordert, den ÖPNV zu meiden, Taxifahrten sind für sie vergünstigt. Einzelhandel und Lebensmittelgeschäfte sollen am Morgen ein Zeitfenster vorhalten, in dem nur Covid-19-Risikogruppen einkaufen können. Zusätzlich gibt es inzwischen ein breites, kostenloses Schnelltest-Angebot für die Bevölkerung.

Oberbürgermeister Boris Palmer sieht sich auf seinem "Tübinger Weg" bestätigt, seit der Landkreis am 21. Januar als erster Kreis in Baden-Württemberg wieder unter die Inzidenzmarke von 50 Fällen pro 100.000 Einwohnern in sieben Tagen gerutscht ist. Von der Politik wird das Modell allerdings nicht als Vorbild für ganz Deutschland akzeptiert – unter anderem mit dem Argument, die Schnelltests seien zu unsicher. Federle hält dem entgegen: Es sei völlig klar, dass die AHA-Regeln trotz negativem Testergebnis weiter einzuhalten seien, die Getesteten würden darauf hingewiesen. Auch dass die breite Testung der Bevölkerung zu teuer und zu aufwendig sei, lässt sie nicht gelten. Gerade angesichts der Mutationen sei es notwendig, jetzt flächendeckende und effiziente Teststrategien auszuarbeiten, um Infektionsherde früh zu erkennen.

In Baden-Württemberg unterstützen ab dieser Woche Bundeswehr-Soldaten in Seniorenheimen und Pflegeeinrichtungen die Durchführung von Schnelltests, wie das Sozialministerium in Stuttgart am Montag mitteilte.

 


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Impfen: Das ist die Strategie, in die langfristig die wohl größte Hoffnung gesetzt wird. Gleichzeitig gibt es viele Rückschläge und Unsicherheiten. Wer zweimal geimpft ist, so die Überzeugung, dem kann das Virus kaum noch etwas anhaben. Allerdings fehlen nach wie vor Erkenntnisse darüber, wie lange der Schutz anhält und ob Geimpfte das Virus trotzdem weitergeben können. Viel Kritik gab es auch am schleppenden Impfstart in Deutschland mit wenigen verfügbaren Impfdosen der beiden ersten zugelassenen Hersteller Biontech/Pfizer und Moderna. Die Lage scheint sich weiter zuzuspitzen, nachdem Astrazeneca am Sonntag angekündigt hat, weniger Dosen als vereinbart an die EU zu liefern. Die Zulassung des Vektor-Impfstoffs des britisch-schwedischen Unternehmens in der EU wird in dieser Woche erwartet.

Das Impfen könnte sich im schlimmsten Fall zu einem Wettlauf gegen Mutationen entwickeln. Die Gefahr von Escape- (also Flucht-) Varianten besteht. Dabei wird das Virus zufällig so verändert, dass es Antikörpern und Immunzellen entkommt. Eine Impfung könnte damit im schlimmsten Fall wirkungslos werden.

 

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