Silvester ist eine gefährliche Nacht
Die Aussicht auf Feuerwerk versetzt Mediziner jedes Jahr in Sorge. Die Kliniken seien ohnehin überlastet, sagt der Bad Rappenauer Handchirurg Peter Hahn. Er mahnt zur Vorsicht.
In den vergangenen beiden Jahren durften in Deutschland keine Böller verkauft werden, und an bestimmten Orten waren private Feuerwerke verboten. Hintergrund war die Auslastung der Krankenhäuser in der Corona-Pandemie. In diesem Jahr sind solche rechtlichen Einschränkungen nicht absehbar.
Böllern ist schlecht für Umwelt und Klima
Ärztevertreter sehen das kritisch. Die "ungeregelte Knallerei" sei "schlecht für Umwelt und Klima und führt immer wieder zu schweren Verletzungen", sagte Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer jetzt der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Besonders Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis 25 Jahren seien von Knalltraumata betroffen, dazu kämen Verletzungen am Auge und Verbrennungen.
Und: "Das bedeutet eine starke zusätzliche Belastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kliniken, die ohnehin schon seit Monaten am Limit arbeiten", so Reinhardt weiter. Er wünscht sich auch angesichts der politischen Weltlage ein Umdenken. Es sei "vollkommen fehl am Platz, das neue Jahr mit Raketen zu begrüßen, während in Europa ein Krieg wütet", sagte er. "Bei zahlreichen Geflüchteten aus Kriegsgebieten löst die Silvesterknallerei schlimme Gefühle aus, bei manchen sogar Todesängste.
Kinder sollten kein Feuerwerk in die Hände bekommen, mahnen Unfallchirurgen
Auch die chirurgischen Fachgesellschaften warnen wieder eindringlich vor der unsachgemäßen Handhabung von Feuerwerk: "Keine Silvesterböller in Kinderhände", heißt es etwa von der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). "Das Unfallgeschehen in der Silvesternacht zeigt, dass Kinder immer wieder zu den verletzten Personen gehören", wird DGOU-Präsident Benedikt Friemert vom Bundeswehrkrankenhaus Ulm in einer Meldung zitiert. Kinder seien besonders gefährdet, da sie sich für Feuer und Flammen interessierten, aber nicht geübt seien im Umgang damit.
Nicht explodierte Böller sofort einsammeln
Auch Professor Peter Hahn, Handchirurg an der Bad Rappenauer Vulpiusklinik, sagt, qua Profession sei er gegen die Knallerei zu Silvester, auch wenn er als Jugendlicher selbst gern geböllert habe: "Natürlich sollen die Leute ihren Spaß haben, aber ist das sinnerfüllt?", fragt er. Wer partout nicht auf Feuerwerk verzichten wolle, dem rät Hahn unbedingt zur Einhaltung der Regeln: nur zugelassene Feuerwerkskörper verwenden, nicht selbst mit Sprengmaterialien experimentieren, auf keinen Fall in der Hand zünden, sondern sichere Abschussvorrichtungen wie mindestens eine schwere Flasche verwenden und Abstand halten. Die DGOU rät außerdem dazu, nicht explodierte Böller nicht noch einmal zu zünden, sondern sofort zu entsorgen. Das schütze auch Kinder und Jugendliche, die Blindgänger sammelten und versuchten, diese nachzuzünden.
"Klassische Silvesterverletzungen" gibt es laut Hahn nicht. Das Verletzungsmuster hänge stark davon ab, wie der Feuerwerkskörper gehalten und gehandhabt werde. "Das geht von oberflächlichen Verbrennungen bis hin zum Verlust von beiden Händen." Gravierend sei auch ein Verlust des Daumens, "ohne ihn können wir nicht greifen". Im schlimmsten Fall könnten Unfälle mit Böllern tödlich enden, mahnt er. Jedes Jahr kommt es in Deutschland zu tödlichen Unfällen mit Feuerwerk. Oft sind dabei illegale Feuerwerkskörper im Spiel.
Auch hunderte Augenverletzungen gibt es jedes Jahr, oft sind Unbeteiligte betroffen
Auch hunderte von Augenverletzungen könnten mit einem Böllerverbot vermieden werden, heißt es von der Deutschen Ophthalmologische Gesellschaft (DOG). Sie erfassen seit dem Jahreswechsel 2016/17 die Verletzungen, die in der Silversternacht an deutschen Augenkliniken behandelt werden. Wie Daten der DOG aus den vergangenen Jahren zeigen, sind etwa 60 Prozent der Verletzten unbeteiligte Zuschauer und Passanten, die teilweise erhebliche Verletzungen erleiden. "Silvester ist eine gefährliche Feier", das solle man sich immer wieder klarmachen, sagt Peter Hahn: "Explosionskörper sind unbedingt mit Vorsicht zu behandeln."
Krankenhäuser sind ohnehin überlastet
Ein Aspekt, der in der Debatte um Böllern an Silvester zudem zu bedenken sei, sei die Überlastung der Krankenhäuser, sagt Peter Hahn. "Die Versorgung schwerer Handverletzungen bindet unnötig Kräfte, die an anderer Stelle dringend gebraucht werden. Die Versorgung einer schweren Handverletzung kann schnell mehr als sechs Stunden in Anspruch nehmen. Die Nachsorge ist sehr aufwendig, unter Umständen mit weiteren operativen Eingriffen, Physiotherapie und Orthesen." Dafür werde Zeit und Energie gebunden, die dann anderweitig fehle.