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Heilbronner Secondhand-Kaufhaus Aufbaugilde vor ungewisser Zukunft – "Die Leute haben Angst"

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In der Aufbaugilde, einem Secondhand-Kaufhaus in Heilbronn, sind überwiegend Langzeitarbeitslose beschäftigt. Wie es künftig mit der gemeinnützigen Einrichtung weitergehen soll, ist ungewiss. Das Problem weitet sich auf die Arbeitslosen aus.

Die Politikerinnen Beate Müller-Gemmeke (links) und Gudula Achterberg (rechts) mit Birgit Schenk, die die gespendeten Waren fürs Kaufhaus prüft und säubert. Foto: Ralf Seidel
Die Politikerinnen Beate Müller-Gemmeke (links) und Gudula Achterberg (rechts) mit Birgit Schenk, die die gespendeten Waren fürs Kaufhaus prüft und säubert. Foto: Ralf Seidel  Foto: Seidel, Ralf

Das Secondhand-Kaufhaus der Aufbaugilde in Heilbronn ist in seiner Existenz bedroht. Denn in der gemeinnützigen Einrichtung, in der schon morgens jede Menge Menschen einkaufen und der Parkplatz weitgehend belegt ist, sind zum Großteil Langzeitarbeitslose beschäftigt, bei denen das Jobcenter die Eingliederung fördert. Hier hat der Bund massiv gekürzt.

"Die Leute haben Angst. Die Situation ist für sie belastend." Jörg Kiefer, Leiter Märkte/Logistik bei der Aufbaugilde spricht mit ernstem Gesicht über die Stimmung vor Ort. Den Bereich Lager- und Versandservice musste das diakonische Sozialunternehmen schon aufgeben, 2022 haben hier noch 40 Menschen unter anderem Kartons gefaltet und Kleidung verpackt. Mit der Schließung sind die acht Personen, die zuletzt hier noch arbeiteten, in die Austraße gewechselt.

Situation um Secondhand-Kaufhaus Aufbaugilde bedroht zweiten Arbeitsmarkt

Nun richtet sich der bange Blick aufs Kaufhaus, eines der größten seiner Art in Deutschland, das auf 3000 Quadratmetern Verkaufsfläche vom gespendeten Hochzeitskleid bis zum Kinderbuch fürs kleine Budget praktisch alles bietet, was das Herz begehrt. Weil der Bund massiv bei Eingliederungsmaßnahmen für Arbeitslose, die hier im Einsatz sind, gekürzt hat, "droht der zweite Arbeitsmarkt zu kollabieren". Das sagt Aufbaugilde-Geschäftsführer Gerald Bürkert an diesem Morgen vor Vertretern der Wohlfahrtspflege, der Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke, und Gudula Achterberg, Mitglied des Landtags, beide Grüne.

Er will auf die prekäre Situation hinweisen, auf die folgenschweren Konsequenzen der Kürzungen für die Bürgergeldempfänger, denen ohne ihren Einsatz im Secondhand-Kaufhaus Tagesstruktur und Teilhabe fehle. Sein erklärtes Ziel: Das Secondhand-Kaufhaus soll gemeinnützig bleiben. "Unsere Mission ist es nicht, ein kommerzieller Betrieb zu werden."

Prekäre Lage des Secondhand-Kaufhauses in Heilbronn: "Wenn die Aufbaugilde leidet, leiden alle"

Karl Friedrich Bretz bringt es als Vorsitzender Liga der freien Wohlfahrtspflege Heilbronn auf den Punkt: Die Aufbaugilde sei einst auf Initiative der Wohlfahrtspflege gegründet worden, auch die Stadt Heilbronn ist Mitglied. Kurzum: "Wenn die Aufbaugilde leidet, leiden alle." Es gehe darum, die zu unterstützen, die die schwächste Position auf dem Arbeitsmarkt haben. "Um Teilhabechancen, um gelingendes Leben, Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt und die Würde der Menschen, die benachteiligt sind."

Aber wie soll das gehen, wenn es keine Maßnahmen mehr gibt? Georg Zipser, Geschäftsführer des Paritätischen in Heilbronn, sagt klar: "Wir sind am Bodensatz der Vermittlung angelangt." Der Zusammenschluss "lokaler Konsens" unter anderem mit Arbeitgeberverband, Verdi, IG Metall und Industrie- und Handelskammer aufrechtzuerhalten, mache kaum noch Sinn, wenn die Zahl der Plätze insgesamt von Stadt- und Landkreis von vormals mehreren Hunderten auf 80 geschrumpft sei. Dabei hätten auch Studien belegt, wie gut Beschäftigungsmaßnahmen wie das sogenannte Instrument 16 i gewesen seien. Ein geschützter Arbeitsmarkt tue not, "die Frage ist nur, wo kommt das Geld her?"

Situation ist besonders schwierig

Marc Hentschke, Geschäftsführer Neue Arbeit Stuttgart und Vorstandsvorsitzender Evangelischer Fachverband für Arbeit und soziale Integration, weist darauf hin, dass die Jobcenter derzeit mehr Geld für Personal ausgeben müssten, als für die Eingliederung Langzeitarbeitsloser übrig bleibe. "Die Situation, die wir im Moment erleben, ist besonders schwierig."

Für eine strukturelle Absicherung von Einrichtungen wie dem Kaufhaus plädiert Holger Fuhrmann als Geschäftsführer Fachverband Arbeitslosenhilfe Württemberg, auch mit Blick auf hohe Energiekosten für ein Gebäude wie das in der Austraße mit seinen insgesamt 6500 Quadratmetern Fläche.

Politikerin Gemmeke verspricht, um mehr Mittel zu kämpfen

Dass Bürgergeldempfänger stigmatisiert würden, thematisiert Kathinka Kaden als Wirtschafts- und Sozialpfarrerin. "Und zwar als faul." Sie leide unter der Diskussion ums Bürgergeld, so Beate Müller-Gemmeke. "Das ist eine toxische Debatte, und ich glaube, sie spaltet die Gesellschaft." Das Coaching, für das kein Geld da sei, sei für sie der "Dreh- und Angelpunkt" gewesen. Es gehe um die Menschen, aber auch um die Trägerschaft, "wenn Strukturen zerbröseln". Das Kaufhaus findet sie "sehr gelungen". Und verspricht: "Ich kämpfe für mehr Mittel."

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