Schulen haben Fragen, Stuttgart antwortet nicht
Das Kultusministerium lässt Präsenzunterricht unter Einhaltung der Abstandsregeln zu. Aber was heißt das nun? Weiterführende Schulen planen trotzdem drauflos. Vielleicht liegen sie damit richtig, vielleicht aber auch nicht.

Mehr Schüler sollen ab Mitte März wieder Präsenzunterricht haben. Grundschulen sollen sogar ganz öffnen. Nur: Seit das Kultusministerium sich dazu vor wenigen Tagen geäußert hat, haben die weiterführenden Schulen Fragen. Wie hinter vorgehaltener Hand zu hören ist, stochern viele im Nebel und warten händeringend auf Klarheit. Die Fragezeichen der Kritiker sind verständlich, denn es geht um die wichtigste Frage: Wie viele Lehrer werden für den Präsenzunterricht benötigt, wie viele bleiben für den Fernlern-Unterricht übrig?
Die Schulleiter versuchen, das Schreiben aus Stuttgart zu deuten
Konkret geht es um die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln. Was ist denn nun mit Abstand gemeint? Marco Haaf, Sprecher der Direktoren der Gymnasien in der Region, versucht zu deuten, was das sein könnte. "Das Schreiben bezieht sich auf Regeln", sagt der Schulleiter des Albert-Schweitzer-Gymnasiums in Neckarsulm. Und weil es vermutlich um die zuletzt gültigen Regeln für Schulen gehe, überlegt er, müssten in den Klassenzimmern keine Abstände eingehalten werden - in den Gängen und auf dem Schulhof schon. "Die Kursstufen sind auch ohne Abstand da", sagt Marco Haaf. Und dann ergänzt er: "Das ist die Planungsgrundlage." Sprich: Damit rechnen die Schulleiter, ob sie richtig liegen, wissen sie nicht.
Sollten die Abstände auch im Unterricht eingehalten werden müssen, fordern Schulleiter Kürzungen an anderer Stelle
Für die Gymnasien, die Marco Haaf vertritt, bedeutet das: Wenn Fünfer und Sechser im Klassenverbund unterrichtet werden dürfen, sei das Konzept des Kultusministeriums machbar, sagt er. Anders sieht es allerdings aus, wenn auch in den Klassenzimmern jeweils eineinhalb Meter zwischen den Kindern liegen müssen. Es gibt kaum Räume, die so groß sind, dass ganze Klasse hineinpassen. "Wenn Klassen geteilt werden müssen, muss an einer andere Stelle gekürzt werden", betont Marco Haaf.
Das sagt das Kultusministerium
Auf Anfrage unserer Zeitung bleibt das Kultusministerium ebenfalls vage. "Da die Schulgebäude in weiten Teilen derzeit noch leer stehen, bestehen vor Ort schulorganisatorische Spielräume, um den Abstands- und Hygieneregeln Rechnung zu tragen", sagt Christine Sattler, Sprecherin des Kultusministeriums. Seien die nutzbaren Räume groß genug, "müssen die Klassen dafür nicht zwingend geteilt werden". Die Teilung und Verteilung auf unterschiedliche Räume sei aber durchaus möglich. "Dies hängt jeweils von der Situation vor Ort ab."
Halbe Klassen heißt, dass mehr Lehrer benötigt werden. Die Antwort dazu aus Stuttgart: "Die Schulämter und Regierungspräsidien stehen den Schulen beratend und unterstützend zur Seite, was etwa die Unterrichtsorganisation und Personalplanung betrifft", betont Christine Sattler. "Sollte es zu Personalengpässen kommen, sind die Staatlichen Schulämter und die Regierungspräsidien dazu angehalten, die Engpässe auszugleichen." Für zusätzliche Vertretungskräfte, die in diesem Fall zum Beispiel eingesetzt werden können, habe das Kultusministerium den Regierungspräsidien zusätzliche Mittel in Höhe von 16,5 Millionen Euro für ergänzende Vertretungsverträge in diesem Schuljahr zur Verfügung gestellt.
Mehr Lehrer einstellen - woher kommen die?
Vor Ort wundern sich die Verantwortlichen über diesen Optimismus in Stuttgart, Lehrer zu finden. "Es ist relativ schwierig, zusätzliche Personal zu bekommen", sagt Marco Haaf. "Das ist kein Baustein, auf dem man ein Konzept aufbauen sollte." Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) ist genauso ratlos und kritisiert die Pläne aus Stuttgart. "Das Ministerium geht davon aus, dass alle Schulen relativ große Klassenzimmer und kleine Klassen haben", sagt Harald Schröder, GEW-Sprecher im Raum Heilbronn.
Müssen eineinhalb Meter in den Klassenzimmern eingehalten werden, oder weniger? Klassen teilen und die beiden Gruppen zeitgleich von einem Lehrer in zwei Zimmern unterrichten zu lassen, gehe wegen der Aufsichtspflicht nicht. Und wenn man sie doch zusammensteckt? Letztendlich seien die Schulleiter verantwortlich, wie das Stuttgarter Schreiben zu deuten ist, sagt Harald Schröder. Wenn es dann zu einem Corona-Fall kommt, die Gruppen aber zu groß gewesen seien, seien die Rektoren schuld, sagt er. "Mich treibt es schon um", sagt der GEW-Sprecher.
Ab 15. März sollen die weiterführende Schulen die Fünfer und die Sechser unter Einhaltung der Regeln unterrichten, und gleichzeitig soll für die älteren der Fernunterrichten laufen. "So richtig rechtskonform klappt es nicht", befürchtet Harald Schröder. Auch er kann sich nicht vorstellen, dass zusätzliches Personal eingestellt werden kann. Denn die Bewerberlisten seien leer.





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