Kampf gegen Leerstand: Zukunftskonzepte für Innenstädte gesucht
Der deutsche Handelsverband fürchtet zunehmend Leerstände in den Stadtzentren und fordert eine neue Gründungsoffensive. KAI in der Heilbronner Kaiserstraße gilt als positives Beispiel.

Der Handelsverband Deutschland (HDE) schlägt Alarm. Das Ladensterben werde sich auch in diesem Jahr nahezu unvermindert fortsetzen, prophezeit der Verband. "Angesichts der Zahlen müssen in allen Innenstädten und bei der Politik alle Alarmglocken läuten", warnte Alexander von Preen in diesen Tagen. Der HDE-Präsident geht davon aus, dass im laufenden Jahr rund 9.000 Ladengeschäfte in Deutschland für immer ihre Tore schließen werden. Damit schrumpfe die Zahl auf bundesweit noch 311.000 Geschäfte. Im Jahr 2015 waren es fast noch 373.000.
In den stark durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie geprägten Jahren 2020 bis 2022 war die Zahl der Geschäfte pro Jahr um 11.000 gesunken. In den Vorkrisenjahren bis 2019 lag dieser Wert nur bei rund 5.000 Läden.
Schuld an dieser Entwicklung seien die steigenden Energiekosten, der Kaufkraftverlust durch die anhaltende Inflation, die schwierige wirtschaftliche Lage und die Ängste in der Bevölkerung, die auf das Einkaufsverhalten durchschlagen würden. "Stirbt der Handel, stirbt die Stadt, denn ohne erfolgreichen Einzelhandel haben die Stadtzentren kaum noch Zukunftsperspektiven", unterstreicht Alexander von Preen. Um gegenzusteuern, regt er nun eine schnelle Gründungsoffensive im Land an: "Wir brauchen unbürokratische und schnelle Genehmigungsprozesse für Umbauten und optimale Bedingungen für Neuansiedlungen", lautet seine Formel.
Heilbronner Innenstadt biete gute Perspektiven
Damit rennt von Preen bei Johannes Nölscher offene Türen ein. "Es ist klar dass weitere Geschäfte schließen werden. Die Frage ist: Wie viele machen im Gegenzug neu auf?", betont der Einzelhändler und Vorsitzende der Stadtinitiative Heilbronn. "Wir müssen vor allem jungen Leuten eine Chance geben, ihr Geschäftsmodell zu verwirklichen", wirbt Nölscher. Damit es möglichst viele seien, müssten aber die Rahmenbedingungen stimmen. "Ich glaube, dass die Heilbronner Innenstadt insgesamt gute Chancen und Perspektiven bietet, allerdings muss sich die Stadt auch bemühen und neue Konzepte entwickeln ", betont Nölscher. Dafür sieht der Geschäftsführer der Schuh Kaufmann GmbH mit Sitz in der Fleiner Straße durchaus Ansätze, stellt aber auch klar, dass "Handel, Gastronomie und Dienstleister es nicht allein richten können". Deshalb fordert er schnell eine Verzahnung von Verwaltung und privaten Unternehmen. "Leerstandsbekämpfung ist Wirtschaftsförderung. Deshalb muss ein großer runder Tisch her", ist sich Nölscher sicher.
Einen vielversprechenden Ansatz sieht der Vorsitzende der Heilbronner Stadtinitiative im neuen KAI in der Heilbronner Kaiserstraße. Dort haben sich unter dem Motto Kultur, Ambiente und Inspiration fünf engagierte Einzelhändler zusammengeschlossen, um sich im seit Dezember 2020 leerstehenden ehemaligen Sporthaus Saemann ein neues attraktive Standbein aufzubauen.
Und die ersten vier Wochen nach der Eröffnung geben ihnen recht. "Es läuft super, wir sind sehr zufrieden", sprudelt es aus Jürgen Steinbauer förmlich heraus. "Am Eröffnungswochenende mit dem verkaufsoffenen Sonntag am 2. April hatten wir fast schon einen kleinen Tsunami", freut sich der Mitarbeiter im Kultiv, das von der Kirchbrunnenstraße in die Kaiserstraße übergesiedelt ist und Tischwäsche, Kissen, Lampen, Wohn- und Badaccessoires anbietet. "Die Leute, die von außerhalb zu uns kommen, sind ganz erstaunt", unterstreicht Steinbauer.
Echtes Großstadtfeeling
"Die Resonanz ist durchweg positiv. Viele Bürger sagen uns, das KAI hat richtig Großstadtfeeling", schildert Lena Happold, als Mitgeschäftsführerin der Gärtnerei Reinwald ebenfalls mit im Boot, ihre ersten Erfahrungen. Ergänzt wird das Angebot durch Haushaltswaren Tritschler, der in der Heilbronner Kaiserstraße bereits eine Filiale betreibt, Tee-Gschwendner und die Bio-Musterregion Heilbronner Land mit einem hochwertigen Lebensmittelangebot. Ein Cafe soll demnächst in den Räumen folgen. "Die Leute kommen zu uns und verweilen auch, weil es viel zu sehen gibt, und das tut auch der ganzen Straße gut", betont Happold. Weitere Ideen habe man bereits in der Pipeline, versprechen die Macher.
Für Johannes Nölscher kann das KAI, auch eine Abkürzung für Kaiserstraße, als ein Beispiel dafür stehen, wie Neuansiedlungen in Innenstädten funktionieren können. "Wir brauchen studentisches Leben, weitere Kulturangebote, Aufenthaltsqualität und mehr Grünflächen, und wir müssen auch ganz neue Akteure mit ins Boot holen", ist sich der Stadtverbandsvorsitzende sicher.
Viel Zeit für eine Trendwende bleibe allerdings nicht, mahnt der HDE. Denn der Verband fürchtet einen Domino-Effekt, wenn sich nichts ändert. Es müsse im Interesse aller Akteure in den Innenstädten sein, die Lücken in den Zentren schnellstmöglich zu schließen, sagt der Handel. "Ansonsten drohen Kettenreaktionen mit noch mehr Leerständen und einer Spirale nach unten", warnt Alexander von Preen.