Kinderärzte-Mangel: Heilbronner Mediziner spricht von absurdem Zulassungskriterium
Der Heilbronner Kinderarzt Hans Ulrich Stechele erklärt im Stimme-Interview, was sich in der Kinder- und Jugendmedizin verändern muss, um die Versorgung der jüngsten Patienten zu verbessern. Das Grundproblem sieht der Mediziner im Studium – vor allem darin, wer jenes nicht antreten darf.

Welche Konzepte gibt es gegen den Versorgungsnotstand in der Kinder- und Jugendmedizin? "Eine einfache Lösung habe ich auch nicht", sagt Hans Ulrich Stechele, Sprecher der Heilbronner Kinderärzte. Das Grundproblem sei, dass zu wenige Leute ins Medizinstudium gingen − und teilweise auch die falschen.
Was meinen Sie mit "die falschen Leute"?
Hans Ulrich Stechele: In der Kinder- und Jugendmedizin hat man sehr viel mit unterschiedlichen Menschen zu tun. Das muss man gern machen. Ich finde, ein Abischnitt von 1,0 oder besser fürs Medizinstudium ist angesichts dessen ein völlig absurdes Zulassungskriterium. Warum gibt man nicht mehr jungen Menschen die Möglichkeit zu studieren, die einen etwas schlechteren Schnitt haben, die aber bei den Pfadfindern oder in anderen sozialen Bereichen engagiert sind? Es gibt solche Ansätze, aber sie müssen ausgebaut werden. Zusätzlich müssen wir schauen, wie wir mehr Absolventen in den ambulanten Bereich bekommen.
Woran scheitert das?
Stechele: Die Norm ist, dass junge Mediziner zuerst ins Krankenhaus gehen, um ihre Ausbildung zu beenden. Mehr ambulante Ausbildungsabschnitte wären wichtig, damit sich junge Kollegen auch in den Praxen ausprobieren können und die Arbeit dort kennenlernen.
Wie läuft die Kooperation mit der SLK-Kinderklinik diesbezüglich?
Stechele: Inzwischen sind wir in guten Gesprächen. Die Organisation an der Schnittstelle zwischen ambulantem und stationärem Bereich ist generell mühsam. Es benötigt viel zusätzlichen Einsatz und guten Willen von allen Seiten. Aber es ist die einzige Chance, die wir haben, um junge Kollegen in die Praxen zu bekommen. Wir hoffen, dass noch dieses Jahr Kollegen aus der Kinderklinik für einen Weiterbildungsabschnitt in eine unserer Praxen rotieren können. Diese Weiterbildungsarbeit muss allerdings auch finanziell gefördert werden, was im Moment nicht gegeben ist.
Die Gesundheitskompetenz der Eltern zu stärken soll dabei helfen, die Kinderärzte zu entlasten, so ein Ergebnis des Stuttgarter Symposiums zu Kinder- und Jugendgesundheit vergangene Woche. Ein wichtiger Punkt?
Stechele: Die verantwortungsbewusste Inanspruchnahme der Ressource Gesundheitsversorgung ist ein großes Thema. Ich habe hier viele Kinder, für die ein Arztkontakt nicht nötig wäre. Insofern wäre es schon wichtig, dass Eltern sich überlegen, ob sie nach einem Tag mit 38 Fieber bei ihrem Kind wirklich zum Arzt müssen. Ich habe teilweise auch Leute, die fahren aus Wüstenrot her, um sich ein Rezept für einen Fiebersaft ausstellen zu lassen, für den sie in der Apotheke ohne Rezept 4,50 Euro zahlen würden. Da muss man schon die Sinnfrage stellen. Auch die Sache mit den Kindkrankbescheinigungen für Eltern ist schwierig.
Was meinen Sie konkret?
Stechele: Berufstätige Eltern, die ihr kleines Kind zu Hause betreuen, weil es wegen einer leichten Erkrankung nicht in den Kindergarten kann, brauchen in der Regel eine Bescheinigung für den Arbeitgeber. Für uns bedeutet das: Viele zusätzliche Sprechstunden-Kontakte, obwohl niemand medizinische Versorgung braucht. Wir wünschen uns, dass Eltern das für eine gewisse Anzahl von Tagen selbst entscheiden dürfen.
Was könnte Ihre Situation zudem verbessern?
Stechele: Funktionierende IT im Gesundheitswesen statt unausgegorener Konzepte für E-AU und E-Rezept zum Beispiel. Dass Kindermedikamente in Deutschland zuverlässig erhältlich sind. Mehr Geld im System. Viele unserer speziellen Leistungen wie aufwendige Elternberatung, Blutabnahmen beim Kleinkind und ein insgesamt oft höherer Aufwand werden in der Vergütung nicht abgebildet. Das Geld brauchen wir auch, um gutes Personal zu bezahlen, denn ohne Personal geht nichts und es ist ein harter Wettbewerb, auch mit den Kliniken, die teilweise höhere Löhne zahlen. Was uns bisher noch rettet, ist, dass der Job mit den Kindern viel Spaß macht und relativ beliebt ist. Was die Mitarbeiter übrigens am meisten stresst, ist, wenn sie Eltern am Telefon abweisen müssen, weil wir keine Kapazitäten für neue Patienten haben. Sie wollen ja gerne helfen.
Zur Person
Hans Ulrich Stechele ist Kinderarzt in Heilbronn und betreibt zwei Praxen. Zudem ist er Sprecher der Heilbronner Kinderärzte.
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