Islamwissenschaftler: Schweigen der Muslime ist ein Fehler
Professor Michael Kiefer sieht die Stimmung in der Türkei als Grund für Nicht-Positionierung von Muslimen zum Hamas-Terror.

Mehr als einen Monat ist es her, dass die Hamas in Israel wahllos tötete, Juden aus dem Land verschleppte und seither mehr als 200 Menschen als Geiseln gefangen hält. Die Reaktionen in Deutschland und in der Region fielen seitdem unterschiedlich aus. Während viele Moscheen und muslimische Organisationen in der Stadt, im Landkreis Heilbronn und in Hohenlohe die Taten der Hamas nicht verurteilten, fallen propalästinensische Versammlungen und im Internet verbreitete Solidaritätsbekundungen von Muslimen auf.
Für den Osnabrücker Islamwissenschaftler Professor Michael Kiefer ist die internationale Stimmung in der islamischen Welt und insbesondere die Stimmung in der Türkei ein Grund für die Zurückhaltung in der Verurteilung des Terrors. "In der Türkei wird die Hamas als Widerstandsorganisation bezeichnet. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bezeichnet die Hamas als Freiheits- und Widerstandsorganisation." Die Religionsbehörde Diyanet, der die Ditib Moscheen unterstehen, verfolge eine ähnliche Richtung. Würde man den Angriff der Hamas verurteilen, würde man sich gegen die Position von Diyanet stellen, erklärt Kiefer. Das Diyanet ist eine staatliche Einrichtung zur Verwaltung religiöser Angelegenheiten und ist Erdogan unterstellt.
Angst vor Reaktionen der Moschee-Besucher
Ein weiterer Grund, weshalb Verbände den barbarischen Angriff der Hamas nicht verurteilen, sieht Kiefer in der Angst vor der Reaktion der Moschee-Besucher. "Ihnen werden über das Internet Bilder und Videos toter Kinder aus Palästina präsentiert. Das ist enorm emotionalisierend, besonders bei jungen Muslimen."
Es gebe aber auch viele Muslime, die den Angriff der Hamas ablehnten, so der Islamwissenschaftler weiter. Die allermeisten Muslime seien nicht organisiert und damit unsichtbar. Muslimische Theologen in Deutschland hätten die Hamas verurteilt, merkt Kiefer an. Allerdings: "Dass sich islamische Verbände nicht gegen die Angriffe auf Israel positionieren, ist ganz klar ein Fehler. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb sie das nicht tun."
Bilal: Eine salafistisch geprägte Moschee
Von dem, was in Moscheen passiert, dringt nur wenig nach außen. Das Landesamt für Verfassungsschutz in Baden-Württemberg (LfV) erklärt, dass Informationen aus Moscheen oder islamischen Verbänden nur gesammelt werden dürfen, wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet sei.
Die Bilal-Moschee in Heilbronn wird seit vielen Jahren vom LfV beobachtet. Dabei handele es sich um eine salafistisch geprägte Moschee. Sie gelte seit mehreren Jahren als Treffpunkt von Personen aus dem salafistischen und islamistischen Spektrum, teilt ein LfV-Sprecher mit. Die Volkssouveränität, das Prinzip der Gewaltenteilung, der Minderheitenschutz und die im Grundgesetz verbrieften Menschenrechte seien von Bilal nicht gewährleistet. Das LfV rechnet etwa 1200 Personen im Land salafistischen Bestrebungen zu.
Islamwissenschaftler Kiefer weist darauf hin, dass man differenzieren müsse - zwischen den normalen Gläubigen und den islamistisch motivierten Menschen. "Bei Letzteren ist der Antisemitismus integraler Bestandteil der Ideologie." Israel nehme dabei eine herausragende Bedeutung ein, sagt Kiefer. Es herrsche bei den islamistisch motivierten Menschen die Meinung vor, der Westen unterdrücke Muslime. Mit dieser Sicht werde versucht, möglichst viele Menschen auf die Straße zu bringen.
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