Heilbronner Muslime wollen Moschee-Neubau nicht abhaken
Pünktlich zum Ende des Ramadan nehmen Ditib und die komplette Rathausspitze den Gesprächsfaden wieder auf. Man suche nun nach Lösungen, heißt es. Die Muslime wollen ihre ambitionierten Neubaupläne nicht ad acta legen.

"Das ist unser Weihnachten", erklärt Yusuf Topal: Für 10.000 Muslime in Heilbronn, 5,5 Millionen in Deutschland und 1,8 Milliarden weltweit endet an diesem Mittwoch der Fastenmonat Ramadan. Nach vier Wochen Verzicht wären traditionell überall "Feste der Freude und Begegnung" angesagt.
Doch dieses Jahr ist alles anders. Erstens wegen Corona: "Zum Abschlussgebet mit dem Imam dürfen wir uns immerhin mit Hygieneregeln in der Moschee treffen", erklärt Erdinc Altuntas als Vorstand von 550 Mitgliedern der Türkisch-muslimischen Ditib-Gemeinde Heilbronn. Das klassische gemeinschaftliche Ramadan-Fest müsse aber flachfallen. "Jeder feiert nun für sich in der Familie." Doch zum Feiern sei den Gemeindemitgliedern von Ditib dieses Jahr sowieso nicht zumute. Nicht nur wegen Corona. Vielmehr wegen eines Beschlusses des Gemeinderats, der am 26. April den lange geplanten Bebauungsplan für eine neue Moschee am bisherigen Ditib-Standort an der Weinsberger Straße 7 , Ecke Paulinenstraße gekippt hat.
Ditib legt Widerspruch gegen Ratsbeschluss ein
Altuntas und Topal sitzen an einem blank geputzten Tisch in einem ziemlich abgelebten Raum ihrer alten Moschee. Vor ihnen liegen Stapel von Bauakten und Plänen, an den Wänden hängen faszinierende Visualisierungen, in der Ecke steht ein filigranes Holzmodell des gekippten Moschee-Neubaus. Nach zehn Jahren Planung und Vorleistungen in Höhe von einer Millionen Euro werde die Gemeinde ihr auf über zehn Millionen Euro beziffertes Großprojekt nicht einfach begraben. Sobald der amtliche Bescheid über den Ratsbeschluss vorliegt, werde man dagegen Widerspruch einlegen. "Dieses Recht steht uns zu, wir werden davon Gebrauch machen", unterstreicht Altuntas. Ob es zu der in einer "ersten, emotionalen Reaktion" angekündigten Schadensersatzklage kommt, hängt laut Altuntas "vom weiteren Verlauf ab".
Alle vier Bürgermeister sprechen mit der Gemeinde
Nach einem ersten Telefongespräch haben sich Ditib, Planer und alle vier Heilbronner Bürgermeister jetzt an einen Tisch gesetzt und auf Stimme-Anfrage einvernehmlich betont, den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen zu wollen. "Trotz aller Enttäuschung schauen wir nach vorne. Wir wollen Lösungen für die Probleme suchen", so Altuntas. Während OB Harry Mergel zunächst die Suche nach einem Alternativstandort in Aussicht gestellt hatte, will Ditib an seinem angestammten Standort festhalten. "Die Weinsberger Straße hat für uns Priorität", betont Altuntas. "Wir sitzen hier seit der Gründung 1987, sind hier verwurzelt. Das ist unser Umfeld, unsere Heimat."
Und Gemeindemitglied Topal schiebt nach: "Wir lassen uns doch nicht in ein Gewerbegebiet abdrängen, an der Rand der Gesellschaft? Nein, wir sind ein Stück Heilbronn, wir gehören dazu." Das habe Ditib mit seinen vielen Angeboten oft bewiesen: von Blutspendeaktionen über Sprachkurse bis zur Flüchtlingshilfe. Gerne würde man auch als Corona-Test- und gar Impfzentrum fungieren. Einer Stadt, in der die Hälfte der Bürger einen Migrationshintergrund hat, die zurecht stolz auf ihre Integrationbemühungen sei, stehe eine angemessene Moschee gut zu Gesicht, auch städtebaulich.
Mitten in der Stadt könne sie ein Signal setzen: "Heilbronn ist bunt, ist aufgeschlossen. Und wir Muslime gehören dazu", betont Altuntas, der übrigens Deutscher ist, vor 48 Jahren in Heilbronn zur Welt kam und als Entwicklungsingenieur bei Audi arbeitet, während der 51-jährige Topal als Baby nach Deutschland kam und als Fußballer und Versicherungsfachmann im Unterland gut vernetzt ist. "Gemeinsam", so betonen die beiden Heilbronner Muslime immer wieder, werde man nun an Lösungen arbeiten, aber auch Unschärfen in der Argumentation von Stadträten klarstellen.
Hier die drei Knackpunkte aus Ditib-Sicht
Baumasse: Für die Weinsberger Straße 7/1 gebe es bisher nur eine Ortsbausatzung von 1939 und zwei Baulinienpläne von 1954 und 1959, die nicht mehr auf Höhe der Zeit seien: ebenso wie die Nachkriegsgebäude der Moschee, das früher als Teppichgeschäft diente. In Abstimmung mit der Stadt habe Ditib deshalb 2012 einen Neubau ins Auge gefasst, übrigens nachdem Ditib der Stadt wegen des Stadtbahn-Baus einen Teil ihres nun nur 14 Ar großen Grundstücks überließ. 2014 folgte ein Architekturwettbewerb. Der Siegerentwurf von Bernardo Bader bleibe hinter der darin genannten - und von der Stadt empfohlenen - Kubatur zurück. Dies gelte auch für den von Architekt Müller verfeinerten Bebauungsplanentwurf. Die Nutzfläche der heutigen Moschee liege bei 1100 Quadratmetern, die der geplanten bei 1860. Statt zwei habe sie vier Geschosse, die Höhe mit 17 bis 20 Metern orientiere sich an der Nachbarschaft. Die Kubatur resultiere aus städtebaulichen und technischen Vorgaben, vor allem zum Brandschutz, "wobei uns viele Gutachten zu allen möglichen Aspekten attestieren, dass baurechtlich alles in Ordnung ist".
Nutzung: Im Prinzip ändere sich an den Nutzungen kaum etwas. Das neue Kultur- und Gemeindezentrum enthalte zwei Gebetsräume für Männer und Frauen (zusammen 636 Quadratmeter), Schulungsräume (300), einen trennbaren Multifunktionssaal (454), Verwaltung (85) und nur drei kommerzielle Bereiche für Gastronomie (60), Laden (65) und Büros (140), wobei die Miete hier in die Vereinskasse fließe.
Verkehr: "Völlig übertrieben" seien Angaben mancher Stadträte zur Besucherfrequenz. Von 800 könne selbst in Spitzenzeiten keine Rede sein. Zum obligatorischen Freitagsgebet kämen mittags bisher rund 200 Gläubige, unter der Woche zu verschiedenen Gebetszeiten maximal 30 und höchstens zum Ramadan- oder Opferfest "etwas mehr als 300". Gut die Hälfte käme zu Fuß, mit dem Rad, mit Bus oder Stadtbahn, schließlich liege die Haltestelle vor der Haustür. Am bisherigen Autoverkehr dürfte sich nichts ändern, zumal es auch im Umland einige Ditib-Moscheen gebe, also kein "Tourismus" zu erwarten sei. Die Zu- und Abfahrt führe wie bisher über die Weinsberger Straße. Die Abfahrt wäre - für Besucher von Nachtgebeten - zwischen 22 und 6 Uhr zum Lärmschutz abgeschirmt. Die Zahl der Parkplätze erhöhe sich von zwölf oberirdischen auf 41 in der eigenen Tiefgarage. Fest vorgesehen sei im weiten Umfeld ein Leitsystem, das Autofahrer auf bis zu 1500 Stellplätze hinweise, die keine 300 Meter vom geplanten Moschee-Neubau entfernt sind.